Die Stunden der Nacht. Daimon Legion

Die Stunden der Nacht - Daimon Legion


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er ihr vor, der ein lang ersehntes Spielzeug endlich erhalten hatte.

      „Acht Zehen“, hörte sie Jules murmeln, „zehn Finger. Gut, er hat neun …“, bedachte er den Stumpf.

      „Hatte er schon damals“, seufzte sie verstimmt und ließ sich aufs Bett fallen, dessen Federn hell quietschten, „deswegen war eine Verwechslung auch ausgeschlossen. Früher konnte ich halt nur nicht sagen, was mir an dieser Pfote so seltsam auffiel.“

      „Vielleicht ist er mal in eine Falle getreten“, stellte er eine Vermutung auf.

      „Dann hätte der Jäger ihn besser aufs Korn nehmen und abknallen sollen …“

      Als er daraufhin vielsagend durchatmete, platzte ihr der Kragen.

      „Jules, das Ding dort ist nicht unser neues Haustier! Bestenfalls ist er unser Gefangener! Dieser Wolf hat meine Eltern grausam getötet und es hat ihm auch noch Spaß gemacht! Wer weiß, wie viele Menschen er schon gerissen hat – Männer, Frauen und Kinder! Er ist eine brutale, gewissenlose Tötungsmaschine, ebenso wie der Rest seiner verdammten Art! Die haben heute Nacht ein Baby getötet, einfach so! Für einen Dämon ist ein Menschenleben nichts von Wert, vergiss das mal nicht!“

      „Tu ich doch gar nicht!“, gab er sich entrüstet. „Ich habe es nicht vergessen! Aber vielleicht hat er ja auch seine Gründe, warum -“

      „Warum er kleine Kinder tötet, ja? Vielleicht ist er ein Gourmet und steht mehr auf zartes Fleisch!“, war sie zornig, sprang auf und trat mit ihrem Stiefel gegen das Bettgestell, um es gegen die Wand scheppern zu lassen. Dann stampfte sie mit energischen Schritten aus dem Raum und schimpfte: „Pflege mal schön dein mörderisches Hündchen weiter! Ich geh duschen! Ich will diese stinkende Brennpaste loswerden, die der verdammte Mistsack mit sich rumschleppt!“

      „Dani, ich hab es doch nicht böse gemein-, na, jetzt warte mal kurz!“, hielt er sie auf und traute sich wiederum kaum, seine nachkommenden Worte vorzubringen, so aufgebracht, wie sie ihn anblickte. Zögerlich hob er den schwarzen Fellmantel vom Boden auf und reichte ihn ihr zu.

      „Könntest du das Teil bitte auswaschen? Ich denke nicht, dass es ein Fall für die Waschmaschine ist und wenn es weiter hier rumliegt, stinkt es auch nur …“

      Die Punkerin brüllte laut auf, um ihrer Frustration Luft zu machen. Trotzdem entriss sie ihm den Mantel mit einer rabiaten Bewegung und fluchte: „Fein! Ich hoffe, der Kaftan geht ein!“

      Der Flokati stank wahrlich wie nasser Hund, als sie ihn unter einen Duschstrahl legte. Mit nackten Füßen trat sie darauf herum, um das Fell zu walken und schwarzes Wasser verschwand im Abfluss. Es fühlte sich widerlich unter ihren Sohlen an. Genervt hockte sie sich nieder und benutzte doch die Hände.

      Die Innenseite des schwarzen Fells war von einer dünnen Membran bezogen, die sich glatt, elastisch und weich anfühlte, als darüber das Wasser lief. Die Haare selber stachen darin wie in einer zweiten Haut. Kein Reißverschluss, keine Knöpfe. Schon vorhin hatte sie sich gewundert, wie Jules den Mantel hatte öffnen können. Zog er sich einfach auf?

       Ach, wen juckt’s?, schimpfte sie stumm, rang das Bündel aus und schleuderte es fort. Es rutschte über die olivgrünen Fliesen, in den hinteren Teil des Duschraums. Dort wollte sie es auf einer Leine aufhängen, die für diesen Zweck zwischen den ungenutzten Armaturen gespannt war. Zu mehr waren die hiesigen Sanitäranlagen nicht zu gebrauchen. Verkalkt, verrostet und/oder undicht. Sollte sie irgendwann im Lotto gewinnen, fiel der Startschuss zum Ausbau der Fabrik.

      Seifenschaum und Wasser spülten den Schmutz der Nacht von ihrem Körper fort.

      Immer wieder fuhren ihre Finger über die raue Narbe.

      Jules wünschte sich Vergebung …

      Sie wusste keinen Weg dahin.

      Gekleidet in ihren eigenen roten Bademantel und ein Handtuch um die nassen Haare gewickelt, ging Dani zurück zum Kühlraum. Ihr Freund war gerade mit der Arbeit fertig geworden. Sein teuflischer Patient glich inzwischen einer Mumie mit all den Bandagen und Pflastern. Eine fast zwei Meter große, drahtig gebaute, muskelbepackte, bald wieder zum Leben erwachende Mumie mit gefährlichen Reißzähnen und Klauen.

       Hallo, Doktor Frankenstein, Igor ist zur Stelle, scherzte sie für sich ironisch.

      „Kannst du mir bitte helfen, ihn aufs Bett zu legen? Mir allein ist er zu schwer …“, sprach Jules betroffen. Seiner eigenen Schwäche war er sich schmerzhaft bewusst, wie sie an seiner Stimme hörte.

      Weil sie keinen neuen Streit heraufbeschwören wollte, tat Dani ihm den Gefallen, fasste die breiten Schultern Amons, während der Professor die leichteren Füße nahm. Im Gegensatz zu ihm ließ sie den Wolfsdämon unsanft auf das gespannte Laken fallen. Die Federn ächzten weit mehr unter seinem Gewicht als dem ihren.

      Ihrer Grobheit nahm Jules nichtssagend hin. Zum Abschluss seiner medizinischen Leistung klemmte er die Anschlüsse der Autobatterie gleich einer Infusionskanüle an den freiliegenden Handrücken fest und schaltete den Strom ein. Nachdem sich keine negativen Anzeichen bemerkbar machten, ging er davon aus, dass alles seine Richtigkeit hatte. Er zog die raue, braune Zudecke über den Körper und atmete aus.

      „Zufrieden?“, wollte Dani pikiert von ihm wissen.

      „Ich hoffe, er schafft es“, meinte er ehrlich. „Wie gesagt, es kann ja sein, dass ich einen anatomischen Fehler gemacht habe. Allerdings muss ich auch sagen, dass das, was ich von seiner Struktur erfahren habe, einem Menschen in vielerlei Hinsicht ähnelt. Ein paar kleine Unterschiede in Farbe und Form, ja, aber so …“

      „Der ist kein Mensch.“

      „Weiß ich doch“, schmollte er halblaut.

      Kurz standen sie schweigend nebeneinander und sahen auf ihren unwillkommenen Gast herab. Dessen Atmung wirkte jetzt etwas gleichmäßiger. Die geschlossenen Augenlider waren dunkel unterlaufen, weswegen der Kopf mehr an einen bleichen Schädelknochen erinnerte. Das wahre Gesicht des Todes.

      Gähnend streckte Dani sich aus.

      „Ich bin müde. Ich werde mich jetzt hinlegen.“

      Jules nickte und gab ihr einen Kuss auf die Wange.

      „Und du passt solange auf ihn auf?“, fragte sie unsicher.

      „Das krieg ich schon hin. Er rührt sich ja nicht. Ich werde später noch die Verbände wechseln, das schaffe ich aber allein.“

      Von seiner ungewohnten Selbstständigkeit überrascht, hob Dani zwar die Brauen, dachte sich jedoch nichts dabei. Zu erschöpft von der Nacht, wankte sie Richtung Bett.

      Jules wartete, bis sie eingeschlafen war. Dann zog er sich rasch Straßenkleidung an, griff nach seiner Börse und verließ schnellen Fußes die Fabrik.

      Kalt und sonnig begrüßte ihn der Januarmorgen und eilig rannte er über drei Straßen, um eine Kaufhalle zu betreten. Schnurstracks suchte er die sonst so verschmähten Fleischwaren auf. Nicht für sich, sondern für den Dämon.

      Ihm war klar, dass Amon einige Zeit bei ihnen verbringen würde. Und ein so großer Wolf gäbe sich bestimmt nicht mit Tofu oder Spiegelei zufrieden. Hungern lassen wollte er ihn auch nicht, weswegen er versorgt werden müsste. Dem Haushund servierte man ja auch keinen Brokkoli …

      Sein schweifender Blick fiel auf Schnitzel, Rouladen und Rollbraten mit Zwiebel. In seinem jetzigen Zustand wäre Amon das Reißen und Beißen zu anstrengend. Jules entschied sich für Schweinehack, auch weil Schwein dem Geschmack eines Menschen vielleicht recht nahe kommen sollte. Als er mit dreimal Ein-Kilo-Paketen auf dem Arm zur Kasse ging, fühlte er sich wie ein Betrüger Dani gegenüber.

      Wenn sie das Fleisch sah, würde sie kotzen. Wenn sie erfuhr, dass er den verhassten Mörder ihrer Familie fütterte, würde sie ausrasten!

       Seufzend legte er die Ware auf das Band und sagte sich immer wieder im Kopf: Was sein muss, muss sein. Doch plötzlich spielten ihm die Augen einen Streich; dass er gerade im Begriff stand, ein totes Kleinkind – fein säuberlich


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