Die Stunden der Nacht. Daimon Legion

Die Stunden der Nacht - Daimon Legion


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Mit letzter Kraft musste sich der Verwundete in den schmalen Spalt zurückgezogen haben. Anscheinend war er noch klar genug bei Verstand, um zu wissen, dass er dort sicher war vor dem schnell heraneilenden Morgenlicht.

      Oder er suchte bloß einen ruhigen, unbehelligten Ort zum Sterben.

      Geistesgegenwärtig nahm Dani den alten Kehrbesen zur Hand, der quer beim Schuppen lag und schlich sich an den mit Holz verkleideten Korb heran. Sie musste auf dem besudelten Boden in die Knie gehen und sich bückten, um unter das Balkongestell zu sehen. Erschrocken wich sie für einen Moment zurück. Der Anblick, der sich ihr bot, verstörte die junge Frau ungeahnt heftig.

      Tatsächlich lag dort die schwarze Kreatur, zu einer riesigen Pelzkugel zusammengekrümmt im schützenden Dunkel. Unmengen von Spinnweben, Rattendreck, welkes Laub und Abfall verklebte das zottige, stinkende Fell, das die Gestalt umwickelte wie ein altmodischer Flokatimantel.

      Nachdem sie sich beruhigt hatte, musste Dani auch stutzen. Das, was sie von dem Monster erkannte, sah irgendwie verändert aus. Noch konnte sie nicht mal sagen, woran sie das festmachte, doch der Lichtfänger wirkte auf sie … dünner als vorher. Groß war er geblieben, natürlich, jedoch auch … anders. Schmaler. Tapfer atmete sie durch, packte den Besenstiel fester und stieß den Körper mit dem Borstenkopf an.

      Eine Reaktion blieb aus.

      Von dem Berg aus Fell ging offenbar keine Bedrohung mehr aus.

       Lebt er noch?, schätzte sie die Situation ab. Der Alpha sagte ja, sie hätten etwas unter sich zu klären. Die Strafe des Verräters? Hat er mit seinem Leben bezahlt, weil er mich damals nicht getötet hat?

      Noch einmal stieß sie zu, doch der Dämon rührte sich wieder nicht. Unter dem gerollten Leib hatte sich eine Pfütze aus schwarzem Blut gebildet.

       Wie viel muss er davon verlieren, um zu sterben?, stellte sie sich die Frage und sah diesen Giganten aus Knochen, Fleisch und Haaren mit gemischten Gefühlen an. Sie konnte hören, wie die Wunden tropften.

       Er ist tot. Der grauäugige Teufel, der meine Familie zerstört hat, ist tot. Elendig verreckt am Blutverlust.

      Wieso stimmte sie das nicht fröhlich? Müsste sie sich nicht freuen? Ihr Plan hatte doch wie erhofft funktioniert und der Lichtfänger wurde von seinem eigenen Rudel zerfleischt. Er hatte gebüßt. Die gerechte Strafe erhalten.

      Aber Dani war damit nicht glücklich.

      Ein drittes Mal stach sie das Fellbündel an und rief: „Hey!“

      Als keine noch so geringe Antwort kam, kroch sie ebenfalls unter den Balkon. Das zähflüssige Blut weichte ihre Kleider durch, ließ den Stoff an der Haut kleben. Auf den Unterarmen robbte sie sich näher an den Körper heran und streckte die Hand nach dem Monster aus. Ihre Finger fassten in die dichten, glitschig-nassen Haare hinein. Sie unterdrückte ihren aufsteigenden Ekel, bis sie etwas Greifbares fand und kraftvoll daran zog. Das Geschöpf geriet unweigerlich in Bewegung, willenlos gleich einer kaputten Puppe.

      Mit einmal hielt Dani ein nacktes Handgelenk fest. Irritiert musterten ihre Augen die erstaunlich menschlich wirkende Gliedmaße.

      Eine blasse, grauhäutige, blutverschmierte Hand. Mit scharfen Krallen statt Nägel an den schlaffen, einstmals starken Fingern. Der Ringfinger fehlte. Wo er mal war, gab es nur einen vernarbten Stumpf.

      Angewidert ließ sie die Hand auf den dreckigen Boden fallen.

      Ein leises Röcheln kroch aus dem Fell. Der Wolf atmete flach und ein plötzlicher Hustenanfall schüttelte den ganzen Leib. Die Geräusche aus seinem Brustkorb klangen, als würden Samen in einer Kapsel rasseln.

       Er lebt also.

       Noch.

      Einen Moment lang dachte Dani daran, dem ein Ende zu setzen. Diese verfluchte Bestie hätte bei der Entscheidung sicher nicht gezögert. Monster töteten schließlich ohne Gnade oder Moral. Sie würden nicht mal denjenigen schonen, dem sie etwas schuldig wären.

       Leben und Leben lassen kennen die Typen nicht.

      Sie jedoch war ein Mensch.

      Und ein Mensch handelte nicht wie ein Ungeheuer.

      8

       Schuldtilgung

      Jules fiel fast aus dem Bett, als er Danis Schläge gegen die Metalltür hörte. Umgehend zog er sich seinen alten grauen Bademantel über den ausgeleierten Schlafanzug und fuhr mit den Füßen in die Großvater-Pantoffeln. Einen kurzen Augenblick hielt er inne und dachte mit Schaudern daran, wie steil es mit seiner Jugend bergab ging, bis das donnernde Hämmern der Tür ihn wieder an seine Freundin erinnerte.

      „Hast du den Schlüssel verloren?“, gähnte er, während er ihr öffnete und schreckte sogleich zurück.

      Schweißgebadet, mit rotem Kopf und knirschenden Zähnen stand Dani vor ihm im schwachen Licht des neuen Tages und er musste keinen Abschluss in nonverbaler Kommunikation haben, um ihre Verbitterung und Erschöpfung zu verstehen. Was ihn aber noch mehr entsetzte, war die schwarze Schmiere, die ihr Gesicht und ihre Kleidung besudelte. Und das riesige Geschöpf, welches sie schulterte. Zuerst sah er nur langen Pelz, pechschwarz und zerlumpt. Schließlich eine Art Maske … ein Wolf?

      „Bei allen Göttern!“, entfuhr es ihm augenblicklich und er schlug die Hände über seinem Kopf zusammen.

      „Die kannst du später noch anrufen!“, keuchte Dani gereizt. „Hilf mir, den Mistkerl reinzutragen! Der ist verdammt schwer!“

      Obwohl er lieber eine Erklärung von ihr gehört hätte, ging Jules schnell ihrem Wunsch nach, trat ihr zur Seite und nahm den anderen Arm des Dämons auf seine schmalen Schultern. Wieso sah der Lichtfänger eigentlich aus wie ein Mensch? Ein Mensch mit Wolfsmantel und Wolfsmaske, als wäre er unterwegs zu einer Faschingsparty! Hinter der leer erscheinenden Schädelhülle des noch immer mit Zähnen gespickten Mauls erblickte er einen schmallippigen Menschenmund. Dazu klebte dieses schwarze Zeug an ihm wie … Blut! Schwer war der außerdem wirklich! Jules schätzte das Gewicht auf gut hundert Kilo – und das bestand sicher nicht aus Körperfett.

      Als beide den Wolfsmann schwer atmend durch die Tür in den Wohnbereich hievten, konnte Jules sich den Spott an der Situation irgendwie nicht verkneifen und scherzte: „Kannst du nicht wie jede andere Frau eine Katze auflesen? Oder einen kleinen Streuner? Aber nein, du schleppst um sieben Uhr in der Frühe ein hünenhaftes Monster an! Echt mal, Dani, wir sollten darüber reden …“

      „Das kann warten!“, stöhnte sie genervt und steuerte das grüne Sofa an.

      Jules allerdings stoppte ihr Vorhaben mit dem Argument: „Willst du etwa das gute Polster mit den Flecken versauen?“

      „Fein, ist mir auch recht! Hauptsache ist ja, ich bin mit dem raus aus der Sonne!“ Und an Ort und Stelle ließ sie den Verwundeten gleich einem nassen Sack lieblos auf den ramponierten Perserteppich fallen. Weil Jules ihn nicht allein tragen konnte, musste er ebenfalls loslassen.

      Nun lag ein ausgewachsener Dämon regungslos zu ihren Füßen.

      „Was zur Hölle ist dort draußen passiert?“, wollte Jules laut werdend endlich wissen. „Ich dachte, du wolltest so einen umbringen! Stattdessen schleppst du den Werwolf hier an! Lebt der noch? Hast du den derart zugerichtet? Mädchen, wir sollten deine Aggressionen besprechen! Was denkst du dir eigentlich dabei? Abgesehen davon, wieso ist der ein Mensch -“

      Stöhnend zog Dani mit angeekelter Miene die beschmierte Jacke aus und warf diese von sich.

      „Ach, was weiß ich denn?“, maulte sie barsch und stampfte wütend auf. „Ich hab das Rudel aufgespürt, hab den Kerl gefunden, der meine Eltern gekillt hat und dafür gesorgt, dass er das Fell gegerbt bekommt! Und doch kann ich irgendwie den Typen nicht verrecken lassen!“

      „Nicht -“, leuchteten Jules ihre Worte ein. „Der lebt also?!“

      „Vielleicht,


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