Die Stunden der Nacht. Daimon Legion

Die Stunden der Nacht - Daimon Legion


Скачать книгу
Augen zu.

      „Ist er jetzt tot?“, war Danis berechtigte Frage.

      Langsam trat Jules näher an den Wolfsmann heran. Dieser rührte sich zwar nicht mehr, doch er befürchtete weiterhin, dass der Kerl abermals wie ein infernales Schachtelmännchen aufspringen und sich zusätzlich schaden könnte. Aber der Wolf blieb liegen und zum Glück fand sich bald ein schwacher Herzschlag.

      Sichtlich erleichtert atmete Jules durch und wollte seiner Freundin die Nachricht gerade zukommen lassen – als er Rauch roch.

      „Dani!“, rief er und zeigte panisch hinter sie.

      Diese sah gerade noch, wie ihre so arglos beiseite geworfene Winterjacke zu schwelen begann und dann mit einem Zischen gleich Feuer fing! Hektisch griff die junge Frau nach einem Sofakissen und versuchte, die Flammen zu ersticken. Doch als sie den Lichteinfall betrat, in dem das Kleidungsstück badete, fühlte sie, dass ihrer Haut, ihr Haar, ihre Hosen ebenfalls warm wurden und dampften. Nein, nicht direkt sie. Es war das Blut des Dämons, welches sich ähnlich Kerosin entzündete. Es verbrannte, sobald Sonnenlicht es berührte.

      Dani sprang zurück in den Schatten. Jules warf seinen Bademantel auf ihre Jacke, zog beides aus dem Licht und gemeinsam löschten sie den Brand.

      „Alles okay?“, japste er aufgeregt. Einen solchen Start in den Tag hatte er nicht für möglich gehalten. Ein aufgelesener Dämon mit hochentzündlichem Blut war der krasseste Wecker, den er je erlebt hatte.

      „Alles okay? Quatsch!“, schimpfte Dani aufgebracht. „Hier ist gar nichts okay, Jules! Ich bin voll mit Blut, das in der Sonne explodiert, und dieser Dreckskerl -“

      „Aber du bist sicher!“, durchfuhr er ihre Anschuldigungen. „Dir passiert nichts, solange du nicht im Licht bist. Damit hast du selbst gespürt, wieso diese Wesen das Tageslicht fürchten. Es ist nicht ihre Haut, die brennt. Es ist ihr Blut! Es verbrennt sie von innen heraus! Ist das nicht Wahnsinn?“

      Seine wissenschaftliche Euphorie konnte Dani nicht teilen. Zornig betrachtete sie den Mantel, unter dem es noch nach verkohltem Stoff stank und fluchte: „Ja, es ist Wahnsinn! Wahnsinn, was ich mir dabei gedacht habe, dieses Arschloch hier anzuschleppen! Wieso hatte ich nur mit dem Kerl Mitleid? Der hatte schließlich auch keins mit mir!“

      „Na ja, du fühlst dich halt schuldig, soweit hab ich verstanden. Sieh es positiv!“, sagte Jules grinsend und tätschelte ihr die Schultern. „Zumindest musst du dir keine Gedanken um Spuren machen. Dort draußen wird jeder Tropfen Blut, den er bis hierher verloren hat, bis zur Mittagsstunde verschmort sein.“

      Beim Gedanken an den verschmutzten Hof war ihr das tatsächlich ganz recht.

      „Was wir jetzt erst mal brauchen, ist eine Menge Verbandszeug“, schmiedete der Professor Pläne und blickte zu dem Dämon hinüber, der bewusstlos liegen geblieben war. „Und ich würde jetzt endlich gern erfahren, in was für ein Chaos du mich hier geritten hast, Dani.“

      9

       Der dämonische Patient

      Zu der Wand unter der Gitteretage, wo die Küchenzeile stand, gehörten auch zwei Türen, welche in die ehemaligen Personalbereiche der Fabrik führten. Die hinterste brachte den Besucher in die Mitarbeiterkantine. Neben verbeulten, aufgebrochenen und verstaubten Spinden, waren hier auch Duschen und Toiletten zu finden, die ein Freund von Dani glücklicherweise wieder an das Netzwerk der Stadt anschließen konnte, sodass Kalt- und Warmwasser flossen und die Heizung funktionierte.

      Sollte der Winter einmal kälter ausfallen als gewöhnlich, konnte das Paar in die Kantine umziehen, ohne Sorge zu haben, erfrieren zu müssen. Da die Räume aber noch baufälliger waren als der Arbeitsbereich, blieb es bisher nur bei einer Notlösung, statt gänzlich darin zu hausen. Es würde nach wie vor viel Arbeit und Geld nötig sein, wenn das Gebäude den Bewohnern ein gemütliches Heim werden sollte.

      Die vorderste Tür war ein außer Betrieb genommener Kühlraum für die hier einmal fabrizierten Lebensmittel. Heute diente er größtenteils als Lager für Kartoffeln, Zwiebeln und Ähnliches, was sich halten ließ. Auch Konserven in Regalen, schwere Farbeimer, Tapeten, ein metallischer Tapeziertisch, verschiedene Werkzeuge wie Pinsel und Zangen, allerlei gefundener Krimskrams, der sich noch irgendwie verwerten ließ, und Holzplatten zum Verbauen standen herum.

      Jules wählte diesen Raum als provisorisches Krankenzimmer aus zwei Gründen.

      Erstens war die Außentür sehr massiv und ließ sich nicht von drinnen öffnen.

      Und zweitens gab es im kargen Inneren keine Fenster, durch die eventuell Sonnenlicht einfallen und dem Verletzten Verbrennungen zufügen konnte. Die einzigen Lichtquellen waren demnach die Neonröhren an der grob verputzten Zimmerdecke.

      Eine solch beachtliche Fürsorge um das kümmerliche Leben des Mörders ihrer Eltern, bereitete Dani Bauchschmerzen. Die Rache in ihr nagte am schlechten Gewissen. Beide Emotionen lieferten sich einen heftigen Schlagabtausch. Einerseits wollte sie den Wolf leiden und sterben sehen – andererseits fühlte sie sich nicht gut dabei, einen ohnehin geschwächten Teufel noch leiden und sterben zu lassen.

      Ihren Freund hatte sie schließlich weitestgehend von den Ereignissen der Nacht unterrichtet, während sie eine Nachricht an Robert schickte, dass sie sich nicht wohlfühle und heute im Bett bleiben würde. Was nicht ganz gelogen war, dennoch störte es sie persönlich, wegen diesem zerlumpten Flohteppich einen guten Freund und Chef zu belügen.

      „Ganz schön clever von dir“, lobte Jules, der inzwischen die Isolierplane auf dem Kachelboden neben dem Niedergestreckten auslegte, „in einer solchen Situation dermaßen die Nerven zu behalten, dass sogar noch ein Vorteil für dich bei rausspringt.“

      „Na ja“, teilte sie nicht ganz seine Meinung und packte den Lichtfänger unter den Armen, um ihn auf die Plane zu ziehen. Zusammen zerrten sie den Körper auf dem improvisierten Schlitten an den Lichteinfällen vorbei in die alte Kühlkammer. Die Anstrengung ließ Dani schwitzen, da sie schnaufend gestand: „Ich hatte schon Angst! Dieser Alphawolf war echt nicht ohne! Hätte er nicht selbst den Vorschlag gemacht, mich laufen zu lassen, wäre ich jetzt sicher ähnlich zugerichtet wie der hier!“

      „Tja“, ächzte der schmächtige Jules, „und du wärst tot! So hat der allein seinen Kopf für dich hinhalten müssen. Macht euch das nicht irgendwie quitt?“

      „Träum mal weiter!“, grimmte sie und ließ die Plane los, kaum dass sie die Raumgrenze überschritten hatten.

      „Nicht?“

      „Als wenn ich einem Killer je verzeihen könnte!“ Wütend stapfte sie in die Küche, um einen Plastikeimer mit warmem Wasser zu füllen, den sie neben den Wolfsdämon abstellte. Dani half ihm nicht seinetwegen, sondern weil Jules sie darum gebeten hatte. Der suchte währenddessen unter dem gemeinsamen Bett seine etwas in Vergessenheit geratene Arzttasche aus Zeiten des Studiums und kam mit dieser zurück.

      Er lächelte scheu und begann vorsichtig damit, diesem Amon das dreckige Fell komplett wie einen Overall abzuziehen. Derweil holte Dani die gewünschte Autobatterie. Ihr Kumpel Luke hatte ihnen diese überlassen, nachdem er seinen alten Seat zum Schrotthändler gebracht hatte. Er selber konnte wenig mit dem Ding anfangen und hätte sicher nicht gedacht, dass sie mal nützlich wäre, um einem Dämon zu retten.

      Mit dem Wasser wischte Jules das Blut und den übel riechenden Schleimfilm vom grauen Leib seines Patienten und desinfizierte die klaffenden Wunden mit einem brennenden Spray, was aber der Ohnmächtige nicht spürte. Mit Skalpell und Zange wurden die geborstenen Knochen gerichtet und die zerrissene Haut mit Nadel und Faden wieder zusammengezogen, ehe Mull Rolle um Rolle alles sauber verband.

      In der Zwischenzeit wühlte Dani das klappbare Gästebett hervor und stellte es auf.

      Ab und an sah sie zu dem Professor hinüber, der äußerst rücksichtsvoll für das furchtbare Monster sorgte. Gerade wickelte er den verarzteten Oberschenkelknochen und eine grob stabilisierende Stange mit mehreren Schichten Gaze-Bandagen ein. Seine ganze


Скачать книгу