Der Politiker. Geri Schnell
«Ich kann jetzt nicht weg, das sehen sie doch.»
«Ich habe meine Befehle, beeilen Sie sich.»
Was ist denn jetzt los? Wird er für den Fehler zur Verantwortung gezogen? Er beeilt sich und rennt förmliche durch den Gang. Er hat Angst, er weiss, dass der Ingenieur mächtig unter Druck von oben steht, muss er jetzt dafür büssen? Er wäre nicht der Erste.
«Was gibt es so dringendes?»
«Schmitz hinsetzen», befiehlt der Ingenieur und wartet bis der Mechaniker das Büro verlassen hat.
«Ich habe eben im Radio gehört, dass in Amerika die Hindenburg in Flammen aufgegangen ist.»
«Die Hindenburg», stammelt Willi vor sich hin, «aber das ist doch nicht möglich.»
«Doch, beim Anlegen in Lakehurst gab es ein Explosion, danach brannte das Luftschiff lichterloh und stützte ab, es gibt sicher Tote, ob jemand die Katastrophe überlebt, weiss man noch nicht!»
«Ich kann das nicht glauben, die Hindenburg war der Stolz von Friedrichshafen.»
«Ich befürchte, dass ist das Ende der Luftschiffe bedeutet.»
Willi erinnert sich an zahlreiche Diskussion mit dem Ingenieur. Der hat immer die Meinung vertreten, dass Luftschiffe zu gefährlich sind, während Willi sie verteidigte und ihnen im Langstreckenpersonenverkehr eine grosse Zukunft voraussagte.
«Wie geht es jetzt weiter?»
«Das werden die nächsten Wochen zeigen, sicher muss man die Ursache herausfinden, danach könnte ich mir vorstellen, dass es das war. Hitler setzt sowieso auf Flugzeuge, die eignen sich im Krieg besser.»
«Aber wir haben ja keinen Krieg.»
«Noch nicht! Wolf, noch nicht, wenn Hitler die enormen Ausgaben für die Wehrmacht rechtfertigen will, muss er früher oder später einen anzetteln, fragt sich nur gegen wen.»
«Meinen sie?»
«Warten wir ab, wie läuft es mit den Tragflächen?»
«Die Lochabstände für die Verankerung sind ausser Toleranz, aber wir haben noch im Lager, sie können ausgetauscht werden. Danach müssen wir einen Rumpf bestellen, bei dem die Bohrungen auf Mass angefertigt werden. Ich hasse solche Übungen.»
«Ich auch, aber wenigstens geraten wir nicht in Rückstand. Los Wolf, das ist alles, die Arbeit wartet.»
«Zu Befehl!», Willi schlägt die Füsse zusammen und salutiert, «ein Scheisstag ist das heute.»
«Ganz richtig bemerkt, wegtreten.»
Im Laufschritt rennt er zurück in die Halle. Was wird jetzt mit seinem Praktikum in Friedrichshafen? Das kann er vermutlich vergessen. Zum Glück ist er mit dem Austauschen der Flügel gefordert, so vergisst er sein Problem mit dem Zeppelin. Der Besuch bei Rita fällt sowieso in Wasser.
Die Befürchtung bezüglich der Zukunft der Luftschiffe bestätigt sich mit jedem Bericht den er in den Zeitungen liest. Es gab insgesamt 36 Todesopfer. Von den vielen Verletzten ganz zu schweigen. Niemand wird sich mehr freiwillig in einen Zeppelin setzen. Da sorgen schon die Zeitungen dafür. Damit ist für Willi ein Berufstraum geplatzt, er muss sich neu orientieren.
Er trifft mit dem Ingenieur eine Abmachung, dass er nach seiner Entlassung aus der Wehrmacht, als ziviler Mitarbeiter in der Fabrik weiter arbeiten kann, bis das Studium beginnt. So kann er sich noch etwas Taschengeld verdienen.
Mit einer feierlichen Zeremonie wird der letzte Tag in der Wehrmacht begangen. Zum Zeitpunkt seiner Entlassung bekleidet Wolf den Rang eines Obersturmbannführers. Noch ein letztes Mal Salutieren und Willi ist wieder ein Zivilist. Noch sind die Wehrmänner nicht endgültig entlassen, sie können bei Bedarf als Reservisten aufgeboten werden, aber davon geht keiner aus. Die meisten hoffen, dass sie ihr Studium abschliessen können.
Noch am gleichen Tag fährt er nach Worms und besucht seine Eltern. Die arbeiten immer noch in der Lederfabrik. In Worms scheint die Zeit stillzustehen. Er hofft auf ein zufälliges Treffen, wird aber enttäuscht. Gabi muss er vergessen. Er freut sich auf die Zeit in Aachen, wer wird noch da sein? Vorerst geht es zurück nach Rostock. Rita erwartet ihn und er ist gespannt, welche Arbeit ihm der Ingenieur zuweist, er tat sehr geheimnisvoll.
Die Überraschung ist riesig, als ihm der Ingenieur den Auftrag erteilt, das eben fertiggestellte Flugzeug, zu einem Fliegerhorst in Bayern zu fliegen. Auf dem Fliegerhorst muss er noch eine kurze Einführung für die neuen Piloten durchführen, am Abend wird er noch zu einer kleinen Feier eingeladen.
Am nächsten Morgen fährt er mit der Eisenbahn zurück nach Rostock. Damit ist seine Aufgabe für die erste Woche erledigt. Er hatte genügend Zeit, sich von Rita verwöhnen zu lassen.
Noch zwei andere Piloten haben die gleiche Aufgabe. So muss er meistens einen Auslieferflug pro Woche durchführen, da bleibt viel frei Zeit. Da die Maschinen nicht immer an den gleichen Fliegerhorst geliefert werden, lernt er Deutschland sehr gut kennen. Doch schon bald musste er von Rita Abschied nehmen. Sie versprechen sich zu schreiben, aber beide wissen, dass sie einander schnell vergessen werden. Nach einem kurzen Aufenthalt in Worms, reist er nach Aachen.
Wir sind die Grössten /1938
Die Rückkehr ins Studentenleben ist für Willi nicht einfach. Nach einem Monat ist es bereits wieder zu Ende. Den Studenten werden Aufgaben zugeteilt, welche sie zu Haus selbstständig bearbeiten können und anschliessend zu einem Bericht zusammenfassen müssen. Dieser Bericht wird entscheiden, ob es im Frühling, mit dem Studium weiter geht.
Bereits Ende September trifft Willi wieder in Worms ein. Er geht selten in eine Kneipe. Die meisten Leute sind zu Arbeitseinsätze eingeteilt. Gemeinsam isst Familie Wolf das Abendessen. Willi hilft der Mutter beim wegräumen, dann geht er auf sein Zimmer und arbeitet an seinem Bericht weiter. Er ist nicht sicher, ob er das richtige Thema gewählt hat, alle reden vom Krieg und er untersucht die Möglichkeiten, einer zivilen Fliegerei.
Seinen vierundzwanzigsten Geburtstag feiert Willi nur mit der Familie. Die Freunde sind entweder in der Wehrmacht oder im Arbeitsdienst. Es wird eine kurze Feier. Mutter Rosa kocht Willis Lieblingsgericht, obwohl es bei gewissen Zutaten schwierig war, sie zu beschaffen.
Jemand hat Willi bei der Stadtverwaltung gemeldet jetzt muss auch er zum Arbeitseinsatz in die Lederfabrik. Vater und Sohn fahren jeden Morgen gemeinsam zur Arbeit. Willi wird im Lager eingesetzt. Rosa leistet immer noch ihr reduziertes Pensum beim Nähen von Handschuhen.
Als das Radio berichtete, ein Jude hätte in Paris den Delegationssekretär Rath der NSDAP angeschlossen, schickte die SA ihre Männer los, welche grölend durch Worms und andere deutschen Städte zogen.
Zwei Tage später, das Radio hatte eben den Tod von Rath gemeldet, brennt die Synagoge in Worms. Das Feuer wird schnell entdeckt und kann gelöscht werden, später wird der Rabbiner verhaftet und die Synagoge erneut angezündet. Die SA steht diesmal bereit und verhinderte, dass das Feuer gelöscht werden kann. Die Synagoge brannte bis auf die Grundmauern nieder. Danach formiert sich die SA zu einem Saubannerzug und zieht plündern durch Worms. Alles was jüdisch aussieht, wird angegriffen. Diesmal machte der wütende Mob auch vor privaten Häusern der Juden nicht halt. Auf dem Platz vor dem Stadthaus werden sie zusammengetrieben. Einige werfen mit Abfall auf die verängstigten Leute, andere werfen mit Steinen, einige Juden bluten am Kopf. Ein SA Mann beginnt unter dem Jubel der Menge, mit einer Schere die Haare einer jüdischen Frauen abzuschneiden. Wer sich beklagte, wird brutal zusammengeschlagen.
Als Willi mit seinem Vater auf dem Platz vorbeikommt, meint er: «Jetzt bekommen sie ihre Strafe.»
Sie schauten noch eine Weile zu, dann fahren sie nach Hause. Am Radio wird berichtet, dass in ganz Deutschland die Synagogen brennen. Der Volkszorn entlädt sich nach dem feigen Anschlag in Paris. Jetzt geht es mit den Juden ab ins KZ. Sie haben es nicht anders gewollt. Meldet der Sprecher. Nun werden die Juden nicht nur boykottiert, jetzt werden sie eingesammelt