LUME - Wo das Licht den Schnee berührt. Gabriella Gruber
sonst werde ich verrückt.
„Warum zappelst du denn so?“, zischt Markus mich an.
„Ich muss zum Pausenverkauf, direkt nach dem ersten Gongschlag.“
Markus schüttelt mit dem Kopf. „Warum? So hungrig?“
„Fuchs! Mayer! Ruhe!“, unsere Lehrerin starrt uns mit finsterer Miene an, als sie unsere Nachnamen ausspricht.
Ich zucke kurz zusammen, während ich die neuen Matheformeln von der Tafel in mein Heft abschreibe.
Markus haut mir seinen Ellenbogen in die Seite. „Hör auf zu zappeln!“
Ich stöhne vor Schmerz kurz auf, was erneut die Aufmerksamkeit unserer Lehrerin auf uns lenkt, doch dieses Mal schweigt sie. Ich will weiter abschreiben, doch dann ertönt endlich der Gongschlag!
Ich springe auf, mein Ziel direkt vor Augen. Das Mädchen hat schon fünf Minuten Vorsprung. Wenn ich mich beeile, sehe ich sie vielleicht noch!
„Herr Mayer!“
Ich zucke zusammen und bleibe stehen. „Ja, Frau Hauser?“
„Haben Sie alles mitbekommen, was ich gerade eben gesagt habe?“
Ich zögere.
„Der Pausenverkauf hat heute erst in der zweiten Pause geöffnet. Es gab ein Problem mit der Logistik. Es tut uns leid.“
Als Antwort auf ihre Aussage knurrt der Magen von Markus so laut, dass sogar ich, am anderen Ende des Klassenzimmers, ihn noch hören kann.
Ich habe schon den Türgriff in der Hand, bereit ihn zu betätigen. „Ich wollte sowieso nur auf die Toilette gehen.“ Ich öffne die Tür und lasse Frau Hauser und meine Klasse hinter mir zurück.
Melissa „Oh man, ich habe so Hunger! Warum hat uns niemand gesagt, dass der Verkauf noch geschlossen hat?“
Ich zucke als Antwort auf Eva Marias Frage nur mit den Schultern.
„Gut, dass ich nie etwas mitnehme“, bemerkt sie ironisch.
„Ich kann dir was von meiner Breze abgeben“, schlage ich ihr vor.
„Gerne! Also, wenn das keine Umstände macht und du dann auch noch was zum Essen hast ...“
„Nein, das macht gar nichts“, beruhige ich sie.
Wir trotten wieder den breiten Gang entlang. Ehe ich registriere, was vor sich geht, ertönt der Gong und alle Klassenzimmertüren werden aufgerissen und lassen ihre Schülerinnen und Schüler auf den Gang stürmen. Bis auf eine Tür, weiter vorne.
Wir bewegen uns zügig vorwärts und kommen dieser Tür immer näher. Als wir direkt vor ihr stehen, wird sie aufgerissen.
Lukas Als ich nach draußen auf den Gang schaue, glaube ich zu träumen! Sie steht direkt vor mir! Das neue Mädchen, das mir seit gestern nicht mehr aus dem Kopf geht. Einfach so!
Ich bleibe mitten vor der geöffneten Tür stehen und kann gar nicht anders, als sie einfach nur anzusehen. Ihre Augen strahlen mir schüchtern entgegen. Ihr Blick ist dennoch selbstsicher auf mich gerichtet, als würde sie mich genauso mustern, wie ich sie.
Melissa Mir stockt der Atem: Es ist der fremde Junge, der seit gestern durch meinen Kopf geistert. Und jetzt steht er schlicht und einfach vor mir. Er sieht mich direkt an, funkelt mir mit seinen wundervollen blauen Augen entgegen, aber er sagt kein Wort. Er ist genauso sprachlos wie ich.
In diesem Moment weiß ich ...
Lukas ... dass es mich sowas von erwischt hat!
Ihrer Begleitung scheinen unsere Blicke aufgefallen zu sein. Schließlich ist das fremde Mädchen kurz stehen geblieben, um mich anzusehen. Um mir direkt in die Augen zu sehen!
Es waren nur ein paar wenige Sekunden, in denen wir uns gegenüberstanden, doch tief in meinem Inneren, hat sie noch etwas anderes angestellt. Ich weiß nur noch nicht, was genau.
Jetzt gehen sie weiter, bis zum Ende des Gangs und dann die Treppe hinunter. Kurz bevor sie aus meinem Sichtfeld verschwindet, dreht sie sich nochmal nach mir um.
Melissa Jetzt ist es amtlich: Ich mag diese Schule! Obwohl der Pausenverkauf ausfiel, der mich sowieso nur zu 50 Prozent kümmert. Schließlich habe ich Eva Maria die Hälfte meiner Breze geschenkt.
Sie nagt gerade vergnügt am Mittelstück und fragt mich über den fremden Jungen aus. „Seit wann kennst du ihn?“
„Gar nicht. Wir sind uns nur gestern auch schon kurz auf dem Gang begegnet.“
„Bei ihm hat‘s ja sowas von gefunkt! Er hat richtig gestrahlt, als er dich gesehen hat!“
Ich schaue sie an. „Ja, findest du?“
„Ja, der steht total auf dich!“, Eva Maria ist völlig aus dem Häuschen und lässt dabei ihre rotblonden Locken aufgeregt auf ihrem Kopf tanzen.
„Ich weiß nicht ...“
„Ach, Melissa! Das haben alle in drei Kilometer Entfernung genau gesehen!“, sie schluckt das Stück Breze runter. „Wie sieht‘s denn mit deinen Gefühlen aus, hm?“
Ich zögere, bevor ich antworte. „Er ist schon ganz süß ...“
„Schon ganz süß? Wenn du ihn nicht nimmst, schnappe ich ihn mir!“
Sofort unterbreche ich das Kauen und schaue sie entsetzt an.
„Ha! Erwischt! Du stehst auf ihn!“
Lukas Klar denken ist gerade unmöglich. Selbst während der zweiten Mathestunde bei Frau Hauser. Ich sollte mich endlich auf andere Dinge konzentrieren, sonst komme ich gleich von Anfang an mit dem Unterrichtsstoff nicht mehr mit.
„Die Kleine steht auf dich“, zischt Markus neben mir.
Mein Puls beschleunigt sich. Wie hat er das mitbekommen? Ich ignoriere aber seine Worte. Ich will mir keinen weiteren Ärger mit unserer Mathelehrerin einhandeln.
Ich werde diese Schule hier erfolgreich abschließen, mir das fremde Mädchen schnappen, studieren, dem Mädchen meine Welt zeigen, einen Job ergattern, sie heiraten, Kinder bekommen, glücklich und alt mit ihr werden! Aber um das zu schaffen, muss ich einen Schritt nach dem nächsten gehen: Gute Noten schreiben und sie ansprechen.
Gute Noten klappen nur während des Unterrichts, Ansprechen innerhalb der Pausen. Heute ist Mittwoch, vielleicht hat sie heute auch Nachmittagsunterricht? Ich werde Ausschau nach ihr halten.
Melissa Heute haben wir Sport am Nachmittag. Das ist die erste Schule, an der wir nachmittags Sport haben!
Voller Aufregung ziehe ich mich um. Schulsport war noch nie mein Ding. Ballsportarten schon, Leichtathletik geht auch noch einigermaßen, aber Geräteturnen? Nein, danke!
Als unsere Sportlehrerin verkündet, dass wir heute, an diesem warmen Tag des Spätsommers, raus auf den Hartplatz gehen und Ballspiele machen, bin ich total erleichtert.
„Was ist denn mit dir los?“, fragt mich Eva Maria vergnügt, während sie ihre Haare zu einem dicken Zopf zusammenbindet.
„Ach, ich bin froh, dass kein Geräteturnen stattfindet“, antworte ich.
Eva Maria kichert. „Noch nicht!“
Lukas
Meine Laune ist im Keller, allerdings nicht wegen BWR, sondern, weil ich sie in der Pause vor dem Nachmittagsunterricht, die ja meistens etwas länger angesetzt ist, nirgends gesehen habe. Eine Kantine haben wir nicht, nur einen Supermarkt in der Nähe. Wir waren wohl einfach nicht zur gleichen Zeit am gleichen Ort.
„Wenn ihr letztes Jahr in BWR gut aufgepasst habt, wird dieses Jahr ein Kinderspiel“,