LUME - Wo das Licht den Schnee berührt. Gabriella Gruber

LUME - Wo das Licht den Schnee berührt - Gabriella Gruber


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damals gespürt, als ich meine Ausbildung bei ihm begonnen habe. Dieser Berufsweg ist einfach nicht meine Welt. Es hat mich einiges an Kraft und Zeit gekostet, es meinem Vater so einfach wie möglich beizubringen, dass ich einen anderen Weg einschlagen möchte. Er hat es inzwischen ganz gut verkraftet, aber unsere Beziehung ist seitdem nicht mehr so wie vorher. Zudem ist er trotzdem noch etwas eingeschnappt, dass er mit mir nicht mehr vor anderen als sein „Sohn und Nachfolger seines selbst aufgebauten Imperiums“ prahlen kann.

      Voller Vorfreude betrete ich meinen Musikraum im gemütlichen Keller des Hochhauses. Es ist so entspannend, nach der Schule ein paar gute Songs zu spielen, um wieder runter zu kommen, und sich den angestauten Stress des Alltages von der Seele zu spielen.

      Ich habe vor, an „In The Air Tonight“ von Phil Collins weiter zu üben. Das Lied habe ich auch als Klingelton auf meinem Handy. Es gibt für mich keinen besseren Song.

      Ich überlasse meinen Drums das Reden und spiele zum Aufwärmen frei aus dem Herzen heraus. Ich verliere mich ganz in der Musik. Mit jedem Schlag, den ich auf dem Instrument ausübe, spüre ich die Kraft durch meine Adern fließen. Es fühlt sich an, als wäre ich eins mit den Klängen, die ich erzeuge. Das ist die ideale Ablenkung für mein Bewerbungsgespräch morgen.

      Melissa Der Donnerstag vergeht ohne besondere Vorkommnisse. Wir erfahren alles über unser Praktikum: Auf was sollen wir achten? Was sind unsere Aufgaben? Wir bekommen sogar schon das Berichtsheft, in dem wir unsere Tätigkeiten im Unternehmen protokollieren und jede Woche, als Nachweis für unsere erbrachten Leistungen, unseren Chef oder Chefin unterschreiben lassen müssen. In drei Wochen wird uns ein Betrieb zugeteilt. Um die richtige Wahl treffen zu können, müssen wir einen Fragebogen für die Lehrer ausfüllen. Es betrifft den gewünschten Ort des Praktikums sowie die persönlichen Interessen.

      Bei „Wo“ schreibe ich: Flussberg, Eisenthal und Umgebung. In Flussberg steht unsere Schule, in Eisenthal wohne ich.

      Bei „Interessen“ schreibe ich: Tiere, Bücher, Musik, Kunst und Betriebswirtschaft.

      Ich bin gespannt, welches Praktikum für mich ausgewählt wird. Ich bin da völlig offen für Neues und lasse mich überraschen. Bei dem Gedanken daran, für insgesamt neun Wochen pro Halbjahr nicht hier zu sein, zieht sich bei mir der Magen zusammen. Das bedeutet, dass ich den niedlichen fremden Jungen für insgesamt 18 Wochen nicht sehen werde.

      Lukas Jetzt ist es soweit: Es ist Freitagnachmittag und die Schule für diese Woche ist abgeschlossen. Leider habe ich das neue Mädchen heute nicht gesehen. Weder in der Früh, noch in den Pausen oder bei der Bushaltestelle.

      Dafür stehe ich jetzt vor unserer örtlichen Buchhandlung. Es ist 15:00 Uhr und mein Vorstellungsgespräch startet jeden Moment. Bin ich aufgeregt? Nein. Okay, vielleicht ein wenig.

      Die Schiebetür öffnet sich automatisch und ich schreite in das Geschäft. Sofort huscht mir der vertraue Ladenduft in die Nase und die Dame an der Kasse winkt mir erfreut zu. „Herr Mayer?“

      Ich bin überrascht, dass sie mich gleich erkannt hat. „Ja?“

      „Gehen Sie einfach hoch in den ersten Stock. Sie werden bereits erwartet.“

      „Danke“, ich schlucke mehrfach einen Kloß im Hals hinunter. Ich darf das auf gar keinen Fall vermasseln! Buchhändler zu werden, ist schon mein Traumberuf seit Kindheitstagen. Die Tortur mit der 13. Klasse mache ich eigentlich nur, um mir alle Türen offenzuhalten. Schließlich ist diese freiwillig und ich kann sie abbrechen. Und man weiß ja nie, wie das Leben so läuft.

      Melissa Ich habe ihn heute nur ganz kurz gesehen. Beim Nachhauseweg. Er ist auch zur Bushaltestelle gegangen. Nur mit dem Unterschied, dass er in den Stadtbus gestiegen ist, nicht in den Linienbus nach Eisenthal.

      Vielleicht wohnt er ja in Flussberg oder hatte noch Besorgungen fürs Wochenende zu machen? Ich würde ihn gerne näher kennenlernen, aber ich traue mich nicht. Ich bin viel zu schüchtern. Vor allem, wenn er so gut aussieht. Er hat bestimmt schon längst eine Freundin. Außerdem, was will er schon von mir? Dem kleinen Mädchen mit null Erfahrung?

      Ich habe extra meine Kapuze hochgezogen, denn meine braunen Haare sind vereinzelt mit natürlich roten Strähnchen durchzogen und dadurch sehr markant. Er hätte mich so bestimmt schnell wiedererkannt. Das wollte ich nicht. Meine Absicht war, ihn einfach nur heimlich zu beobachten, um mir selbst über meine Gefühle klar zu werden.

      Je mehr ich nach meinem Empfinden für ihn forsche, desto sicherer bin ich mir, dass er mehr sein könnte, als nur ein Junge aus der 13. Klasse. Er ist ... Es fühlt sich fast an, als wäre eine Art magisches Band zwischen uns. Ich hatte fast den Eindruck, als würde er nach mir suchen, als er sich beim Warten auf den Bus nach allen Richtungen umgedreht hat. Und wir haben den gleichen Kleidungsstil! Seine Lederjacke ist wundervoll und meiner sehr ähnlich.

      Am liebsten möchte ich ihn umarmen und nie wieder loslassen, aber das geht frühestens wieder am Montag, falls ich es schaffe, über meinen eigenen Schatten zu springen, der sich so krampfhaft an mir festhält.

      Lukas Das Bewerbungsgespräch verlief gut. Sie haben mir die üblichen Fragen gestellt, mit denen ich schon gerechnet hatte:

      Wie stellen Sie sich Ihre Stelle hier vor?

      Warum wollen Sie im Buchhandel arbeiten?

      Welche Qualifikationen bringen Sie mit?

      Wie stellen Sie sich Ihren Berufsalltag vor?

      Sie haben mich auch nach meinen Interessen befragt. Von meiner Leidenschaft fürs Schlagzeug waren alle sichtlich beeindruckt. Ich könne doch bei der Betriebsfeier spielen. Natürlich schlage ich so einen Vorschlag bei einem Vorstellungsgespräch nicht aus, aber mir ist schon etwas mulmig beim Gedanken daran, vor einem größeren Publikum zu spielen. Wäre mein Lampenfieber nicht, wäre vielleicht auch eine Karriere als Rockstar gar nicht so schlecht für mich.

      Danach gab es noch einen Wissenstest. Das Thema: Geschichte. Offenbar wollten sie sichergehen, dass ich mich auch wirklich für das interessiere, was ich vorgebe.

      Jetzt sitze ich im Hause meiner Eltern am Esstisch und unterhalte mich mit ihnen über den Schulstart und mein eben erlebtes Bewerbungsgespräch. Das neue Mädchen lasse ich weg. Ich rede mit ihnen ungern über Liebesthemen. Meine Mutter steigert sich sonst wieder in etwas rein, was noch überhaupt nicht sicher ist.

      Melissa Ich sitze in meinem Zimmer. Mein Handy liegt neben mir, in den Händen halte ich ein Buch: eine Liebesgeschichte. Irgendwie ist mir momentan total nach Lovestorys zu Mute. Vielleicht, weil sich gerade selbst eine Liebesgeschichte bei mir abzuspielen scheint. Wer weiß das schon?

      Auf jeden Fall weiß ich, dass mir mein Lesestoff langsam ausgeht. Ich habe schon fast alle Bücher gelesen, die sich im Laufe der Zeit in meinem Bücherregal so angesammelt haben. Ich sortiere sie je nach Lust und Laune neu. Aktuell sind sie nicht nach Autor, sondern nach Farben eingeordnet. Die Farbtöne des Regenbogens lassen mein Zimmer so freundlicher und heller erstrahlen, aber ich glaube dennoch, dass ich sie bald wieder neu sortieren werde. Mit neuem Lesestoff! Ich muss unbedingt in den Buchladen in Flussberg und mir neue Bücher kaufen.

      Meine Mutter ruft mich. Zeit zum Abendessen!

      Ich sprinte nach unten ins Esszimmer und rieche bereits den Duft meines Lieblingsessens. „Schnitzel mit Pommes?“, frage ich aufgeregt in die Runde.

      „Richtig!“, ruft meine Mutter als Antwort.

      Voller Freude setze ich mich an den Tisch und genieße mit meinen Eltern und meiner kleinen Schwester Clara das Abendessen. Es ist Sonntag. Folglich bin ich ziemlich aufgeregt wegen morgen.

      „Melissa, warum zappelst du denn so?“, fragt mein Vater.

      „Zapple ich?“

      Clara nickt aufmerksam. „Ganz doll!“, ruft sie.

      Ich schaue hilfesuchend zu meiner Mutter. „Alles in Ordnung, Schatz?“

      Ich nicke. „Ja, ich bin nur aufgeregt.“


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