Die Schiffe der Waidami. Klara Chilla

Die Schiffe der Waidami - Klara Chilla


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bei seinen zwei Treffen mit Torek bereits großen Einfluss über ihn gewonnen.

      „Nein, natürlich nicht.“ Shemar antwortete langsam und dehnte jedes Wort unnatürlich aus, während er Torek ansah, als hätte er einen völlig Fremden vor sich stehen.

      Sein Sohn nickte beruhigt und sah dann an sich herunter, als bemerkte er erst jetzt, dass seine Kleidung immer noch voller Schmutz war.

      „Ich werde mich jetzt erst einmal waschen. Dann packe ich meine Sachen zusammen. Bairani möchte, dass ich oben in den Höhlen wohne.“

      Das Lächeln, das den Worten folgte, zog Nolani den Boden unter den Füßen weg. Sie konnte sich gerade noch zurückhalten bis Torek in der Hütte verschwunden war. Dann keuchte sie entsetzt auf und griff verzweifelt nach Shemar, der sie nur ansah und direkt zu ihr eilte, um sie zu stützen.

      *

      Er hatte es gewusst. Wütend zog Torek sich die schmutzigen Sachen aus und warf sie achtlos auf den Boden neben seine Schlafstatt. Bairani hatte vollkommen Recht gehabt, als er ihn vor seinen eigenen Eltern gewarnt hatte. Glaubten sie denn wirklich, er hätte die Blicke nicht bemerkt, die sie miteinander getauscht hatten? Dass sein Vater nicht wirklich beeindruckt sein würde, hatte er erwartet. Ihm war er noch nie kräftig genug gewesen. Immer sprach er mit Begeisterung von Jungen wie Recam und seinen Freunden, die sich bereits jetzt für die Prüfung zum Wächter in einem Jahr vorbereiteten. Aber seine Mutter? Sie hatte eher ängstlich reagiert, als mit Stolz. Torek schlüpfte in eine blassbraune Hose und warf sich ein Hemd über, bevor er mit hastigen Griffen ein weiteres Hemd packte und zusammenrollte. Suchend blickte er sich um. Nein, mehr besaß er nicht. Und die schmutzige Kleidung konnte er bei einem Besuch mitnehmen, wenn seine Mutter sie gewaschen hatte. Wenn er sie besuchen würde, das wusste er im Moment nicht mit Bestimmtheit. Er würde sowieso bald den grauen Umhang der Seher tragen dürfen. Dann brauchte er keine andere Kleidung mehr. Torek schob sich das Bündel unter den rechten Arm und wandte sich zur Tür, um hinauszugehen. Seine Mutter stand im Eingang und beobachtete ihn mit traurigem Lächeln. Der Junge schluckte, denn es schmerzte ihn trotz seiner Wut, sie so zu sehen. Wahrscheinlich hatte sie nur Angst davor, ihn gehen zu lassen. Aber er war kein kleines Kind mehr. Dennoch beschloss er, ihretwegen wieder zu kommen.

      Langsam ging er auf sie zu und umarmte sie. Sie schlang ihre Arme um ihn, als könnte sie ihn mit dieser Geste zurückhalten.

      „Leb wohl, Torek“, sagte sie schlicht und ließ ihn widerstrebend los.

      „Leb wohl, Mutter.“ Torek bemerkte verärgert, dass seine Stimme leicht zitterte, und er ging rasch an ihr vorbei.

      Vor der Hütte stand sein Vater neben Durvin im Schatten und sah ihm verhalten entgegen. Er hielt ihm eine Hand hin, die Torek zögernd ergriff.

      „Gehe sorgsam mit deinen Fähigkeiten um, mein Sohn. Nimm dir deinen Onkel als Vorbild.“

      „Das werde ich, Vater.“ Torek nickte und ging mit einem gemurmelten Gruß an Durvin vorbei, der ihn ernst anlächelte. Dann beeilte er sich, aus dem Schatten der Hütte zu treten und schritt den Pfad zurück, den er gerade erst gekommen war.

      *

      Noch lange, nachdem Torek bereits auf dem Pfad außer Sichtweite geraten war, stand Durvin mit dessen Eltern vor der Hütte und starrte ihm hinterher. Keiner sagte ein Wort, nur Nolani seufzte von Zeit zu Zeit aus tiefstem Herzen. Shemar hingegen hielt sie mit steinernem Gesicht im Arm, unbeugsam, so wie Durvin ihn kannte.

      „Ihr müsst euch damit abfinden, dass Torek an Bairani vorerst verloren ist“, sagte er sanft und legte begütigend eine Hand auf Nolanis Schulter. „Es geschieht genau, wie es dein Bruder vorhergesagt hat, Shemar.“

      Shemar wandte ihm das Gesicht zu und nickte. Seine braunen Augen durchbohrten ihn, als wollte er ihn bestrafen.

      „Habt ihr niemals daran gedacht, ihn zu töten?“, fragte er leidenschaftslos.

      Durvin ignorierte das entsetzte Aufkeuchen Nolanis und nickte stattdessen ernst.

      „Ronam und ich wollten Torek bereits bei seiner Geburt töten, aber Tamaka hielt uns davon ab. Er sagte, dass jeder Mensch eine Rolle in unserem Gefüge hat, und wenn wir Torek beseitigten, würden wir nicht wissen, wer statt seiner die Fähigkeiten deines Bruders erben würde. – Tamaka war sich sicher, dass in Torek ein Kern verwurzelt ist, den Bairani nie für sich wird beanspruchen können, und er vielleicht am Ende dahin zurückfindet.“ Durvin zuckte mit den Schultern. „Er war auch davon überzeugt, dass ihr weiterhin für Torek wichtig sein würdet, und ihr ihn unbedingt immer als Sohn willkommen heißen solltet.“

      „Ich hätte ihn nicht zur Zeremonie schicken sollen, damit habe ich alles nur in Gang gebracht.“ Nolanis Gesicht war von Selbstvorwürfen zerfurcht und wirkte um Jahre gealtert.

      „Du hattest keine andere Wahl. Die Gefahr war zu groß, Bairani hätte Torek sonst von alleine entdeckt und wäre schnell auf uns aufmerksam geworden.“

      „Aber was ist, wenn Torek unsere Visionen ansieht?“

      „Bairani wird ihn gezielt einsetzen. Ich denke, er wird dafür kein Interesse und keine Zeit haben.“

      Nolani sah Durvin an. Sie schüttelte verzagt den Kopf und deute mit beiden Armen auf ihr Heim.

      „Aber, wie kann ich ihn hier willkommen heißen, wenn ich doch weiß, dass er zu einem grausamen Mann heranwachsen wird. Wie kann ich ihn anlächeln, wenn ihr über seinen Tod nachdenkt?“ Ihre Stimme versiegte zu einem kaum wahrnehmbaren Flüstern, und sie starrte auf den hellen Lehmboden zu ihren Füßen.

      Durvins Herz war schwer, er war mit den beiden befreundet, seit er denken konnte. Früher waren sie immer fröhlich gewesen, aber seit Gorlun, der Bruder Shemars, die Vision über Torek gehabt hatte, war nichts mehr wie zuvor.

      Sie alle warteten nun schon so lange auf die Gelegenheit, Bairani zu stürzen. Mit den Visionen über Jess Morgan war diese in greifbare Nähe gerückt. Doch Torek sollte zu einer neuen Figur in diesem Spiel werden, die auf Bairanis Seite schwer wog und der Zukunft so viele Facetten gab wie ein geschliffener Diamant.

      Durvin seufzte und sah Nolani hinterher, die mit gebeugten Schultern in die Geborgenheit ihrer Hütte verschwand.

      „Sie wird es schon schaffen, Durvin. – Wir schaffen das!“, sagte Shemar fest. Er schlug Durvin kameradschaftlich auf die Schulter und folgte dann seiner Frau in die Hütte.

      Navigator

      Die Tsunami fuhr langsam in den Hafen von Changuinola ein. Die Segel wurden eingeholt, und der Anker rauschte klatschend in das trübe Wasser des Hafenbeckens.

      Lanea beobachtete unsicher die Männer in der Takelage, die mit geübten Griffen ihre Arbeit durchführten, und ließ dann den Blick suchend über die ankernden Schiffe gleiten.

      „Die Monsoon Treasure liegt dort vorne.“

      Captain Makani war unbemerkt neben sie getreten und zeigte auf ein Schiff, das am südlichen Pier lag und sofort dadurch auffiel, dass es einen wesentlich schlankeren Rumpf besaß als die anderen Schiffe. Ihrem Bug entsprang eine Galionsfigur in der Form einer schaumgekrönten Welle, als wäre das Schiff ein untrennbarer Bestandteil des Meeres.

      Ein klammes Gefühl breitete sich in Lanea aus. Was würde sie an Bord dieses Piratenschiffes erwarten?

      Sie wurde zur Schiffshalterin erzogen, seit sie denken konnte. Auch wenn sie sich immer dagegen gewehrt hatte, hatte sie doch immer gewusst, dass sie eines Tages als Navigator auf einem Schiff der Waidami-Piraten mitsegeln musste, um die Positionen der versenkten Schiffe durchzugeben. Sie hatte immer wieder versucht, den Gedanken zu vermeiden. Lanea hatte große Furcht vor den Piraten und war von ihren Eltern immer wieder darauf hingewiesen worden, wie falsch das Leben der Waidami inzwischen war. Es war falsch, Schiffe mit unschuldigen Menschen zu überfallen. Sie konnten nichts für das Leid, das ihr Volk in der Vergangenheit erlitten hatte. Es gab keine Rechtfertigung dafür, selbst zu morden und zu plündern. Doch ihre Familie konnte nicht offen gegen den Obersten Seher Bairani aufbegehren. Er war ein gefährlicher Mann, der Hindernisse schnell beseitigte. Ihr Vater hatte ihr versichert, dass sich eines


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