Sternenfrau Eve. Edda-Virginia Hiecke
sich einprägen würden. Sie sind eher wie ein Hauch im Gezeitengefüge des Universums. Nicht immer verträgt man den Ruhmesdonner eines Nelson Mandela oder eines Albert Einstein oder Stürme, die Ludwig van Beethoven oder Johann Sebastian Bach hervorriefen. Meist sind es kleine Dinge im Leben, die einen vorwärts bringen, sogar, wenn man sie nicht bewusst wahrnimmt. Annie wurde von niemand bewusst wahrgenommen. Für alle war sie einfach vorhanden. Am Ende ihres Lebens würde sie nicht in einem bedeutenden Buch stehen, vielleicht in einem Schuljahrbuch, aber das ist nicht wirklich beeindruckend. Jedenfalls nicht in den Büchern, in denen Menschen stehen, die mit großem Getöse auf sich aufmerksam machten. Zumindest noch nicht.
Wie immer stand Annie früh auf, um sich noch ein wenig auf den Unterricht vorzubereiten. Den langen Weg zur Schule ging sie wie immer zu Fuß. Nach der Weihnachtszeit hatte sich das eine oder andere Pölsterchen auf ihrer Hüfte gebildet. Sie wußte, mit zunehmendem Alter würde es schwieriger, diese unerwünschten Polster wieder dahin zu verbannen, wo sie hingehören: ins Unsichtbare. Nicht, dass sich Annie allzu viele Gedanken darum machen musste, aber sicher ist sicher. Beim Bäcker um die Ecke kaufte sie ein ige kleine Müslibrötchen. Als sie aus der Tür trat, rannte sie in ein Hindernis.
„Sachte, sachte“, sprach das Hindernis sie mit sympathischer Stimme an. „Hier ist genug Platz für uns beide!“
Sie bemerkte den spöttelnden Ton sehr wohl, war jedoch ziemlich irritiert, als sie aufschaute, um den Spötter anzusehen. Was sie sah, verschlug ihr glatt die Sprache. Ein Mann, schlaksig, mit rotblondem Haar und seegrünen Augen schaute ihr fröhlich lächelnd ins Gesicht. Seine Mundwinkel gingen nach oben, als er sah,dass sie ganz offensichtlich nicht wusste, was sie sagen sollte. So eine Frechheit, dachte Annie, macht der sich etwa lustig über mich?
„Ja sicher, wenn Sie einen großen Bogen um mich herum machen, dürfte der Platz definitiv reichen!“, gab sie zurück und bemerkte, dass das breite Grinsen auf seinem Gesicht noch breiter wurde.
„Ja, könnte ich machen, aber offen gesagt, bei einem großen Bogen um Sie herum wären wir uns nicht so nahe gekommen und gerade das beginnt mir jetzt Spaß zu machen. Darf ich Ihnen behilflich sein, Ihre Brötchen wieder einzusammeln?“
Entsetzt bemerkte Annie ihr auf dem Boden liegendes Frühstück und spürte gleichzeitig ein Brennen auf ihren Wangen.
„Oh nein, mein Frühstück!“, stammelte sie und hoffte, dass sie nicht so rot geworden sei wie die Lichter der Ampeln an der Straßenecke.
„Die sind sowieso nicht mehr zu retten! Ich kaufe Ihnen als Entschädigung neue Müslibrötchen ja? Kommt sofort!“
Bevor sie auch nur etwas dazu sagen konnte, verschwand der Mann im Geschäft. Da dieses gerade leer war, hatte er im Handumdrehen neue Brötchen und stand so schnell vor ihr, dass eine Flucht nicht mehr möglich war.
„Hier, bitte sehr!“, sagte er höflich und hielt ihr eine Tüte hin.
„Das ist doch nicht nötig!“, war alles, was Annie einfiel. Der Mann lachte sie wieder an. Täuschte sie sich oder war auf einmal alles um sie herum so viel heller? Sie spürte ihr Herz flattern als sei sie ein junges Mädchen. Ihre Wangen brannten und sie hatte das unbezwingbare Bedürfnis, zurück zu lachen.
„Danke!“, fügte sie mit spitzbübischem Lächeln hinzu, „Ich glaube, Sie haben recht!“
Nun war es an ihm, sie erstaunt anzusehen. Konnte es sein, dass sie ihn auf den Arm nahm? Na so was aber auch.
„Bei einem großen Bogen“, sprach sie weiter, „hätten Sie mich nicht getroffen, mein Frühstück wäre nicht zu Boden gegangen und Sie hätten keine Möglichkeit gehabt, den Kavalier zu geben!“
Er schaute sie verblüfft an und bemerkte ein kleines Grübchen neben den kleinen roten Wangenflecken, die sich, je weiter er sie betrachtete, immer stärker in ihrem Gesicht ausbreiteten. Schon schaute sie verlegen auf den Boden, als wäre sie eben zu weit gegangen, doch ein herzliches Lachen ließ sie wieder aufschauen.
„Touché!“, prustete er, „dann erlauben Sie mir doch, mein Kavaliersein zu erweitern, indem ich Sie ein wenig begleite!“
Meinte er das im Ernst? fragte Annie sich stirnrunzelnd.
„Oh nein, nicht runzeln bitte, das vertreibt diese netten Grübchen und ich möchte auf keinen Fall dafür verantwortlich gemacht werden!“
Grübchen? Sagte er gerade Grübchen? Ich hab doch keine Grübchen, schoss es Annie durch den Kopf. Belustigt sah er, wie sich das Rot in ihrem Gesicht vertiefte.
„Ich wette, es hat Ihnen noch nie jemand von diesen Grübchen erzählt, oder?“
Grübchen? Braucht der eine Brille?
„Ich habe das dumme Gefühl, Sie machen sich über mich lustig!“, blaffte Annie den immer noch lachenden Mann an.
„Nein!“, war die kurze Antwort.
Verblüfft starrte Annie den Mann an, als sei er nicht ganz richtig im Kopf. Sie konnte wirklich nicht erkennen, ob er sich über sie lustig machte oder nicht. Also entschied sie, es geflissentlich zu übersehen. In einer Stadt wie New York konnte man nie so genau wissen, was sich in den Köpfen der Leute abspielte.
„Ich kann alleine gehen und brauche keine Begleitung!“
Just in diesem Moment kamen ein paar grölende Jugendliche um die Ecke gebogen, die den Eindruck machten, als hätten sie die Nacht durchgemacht. Einer hielt eine braune Tüte in der Hand, in der sich, so sah es aus, eine Flasche Schnaps befand. Immer wieder blieb er stehen, um sich einen Schluck zu genehmigen. Dann reichte er die Tüte mit der Flasche den anderen, die ebenfalls daraus tranken.
„Ich glaube, jetzt sollte ich Sie erst recht begleiten!“, flüsterte ihr der Unbekannte zu. „Die sehen so aus, als könnten sie Stunk machen!“
Annie sah es genauso, ergriff schnell den angebotenen Arm des Fremden und ließ sich über die Straße geleiten. Da es sich um ein unverhofft wohliges Gefühl handelte, beschützt zu werden, erlaubte sie ihm doch tatsächlich, sie bis zur Schule zu begleiten.
„Ich danke Ihnen vielmals für Ihre fürsorgliche Begleitung, aber ich bin nun am Ziel und Sie können mich wieder loslassen!“
Der Fremde überlegte.
„Also, offen gesagt, würde ich Sie sehr gerne wiedersehen. Könnten Sie sich mit dem Gedanken anfreunden?“
Annie zögerte kurz, doch bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, entfuhr ihr:
„Ich glaube, der Gedanke könnte mir gefallen!“
Oh nein, hab' ich das eben gesagt? Ich kenne den Kerl doch gar nicht, schoss es ihr kurz durch den Kopf. Doch nun war es heraus und zu spät, es zurück zu nehmen.
„Das ist wunderbar! Dann hole ich Sie von der Schule ab. Wann sind Sie fertig?“
Heute? Meint er das wirklich? Was mache ich denn jetzt? Trotz der auf sie einstürzenden Bedenken antwortete sie:
„Um 16:00 ist Schulschluss, dann muß ich noch eine kleine Konferenz mitmachen, also wäre ich um ca. 17:00 Uhr fertig.“
„Ich werde hier sein!“, versprach er, drehte sich um und ging. So schnell, wie er in ihrem Leben aufgetaucht war, verschwand er auch wieder.
Ist das gerade wirklich passiert? Habe ich mich gerade mit einem wildfremden Mann verabredet? Ach was Annie, wach auf!
„Wer war denn das?“
„Was, wer?“
„Na der himmlisch gut aussehende Mann, mit dem du gerade hier angekommen bist!“
Oh, doch nicht geträumt! Er war wirklich hier. Annie registrierte nun ihre Kollegin Margaret, die sie immer noch fragend anschaute.
„Ich habe keine Ahnung, wer er ist, aber ich glaube, ich habe mich gerade mit ihm verabredet!“ gab sie zurück.
„Du hast was!?“, rief Margaret aus.
„Na, mich mit ihm verabredet, nun tu doch bitte nicht so, als wäre das ein neuntes Weltwunder!“ gab