Sternenfrau Eve. Edda-Virginia Hiecke
„Ich ergebe mich! Ich habe Sie mir gerade in einer Kochschürze vorgestellt, wie Sie die Kochlöffel schwingen!“
Jetzt musste auch er lachen und mit scherzhaft empörtem Gesicht rief er: „Meine Kochschürze ist mir heilig! Ich habe sie von meiner Großmutter geschenkt bekommen! Sie ist taubengrau und hat einen riesigen Kochtopf vorne drauf. Nicht zu vergessen die feine Spitze am Rand!“
„Also, die muss ich sehen!“ Annie konnte nicht mehr vor lachen.
„Das werden Sie bestimmt. Ich werde Sie beim nächsten Treffen in meiner Schürze bekochen. Worauf Sie sich verlassen können!“
Hatte er gerade beim nächsten Treffen gesagt? Annie spürte ihr Herz hüpfen. Ein nächstes Treffen. Ja das wollte sie. Sie kam sich jetzt schon wie ein Backfisch vor, der sich nach dem nächsten Rendezvous sehnt und hatte das Gefühl, sie könne die ganze Welt umarmen.
„Gut, ich lasse mich gerne bekochen und diese Schürze darf ich mir auf keinen Fall entgehen lassen!“ Sie strahlte, als sie sah, wie er sich darüber freute.
„Ich muss nun leider gehen, seien Sie bitte so freundlich und geben mir Ihre Telefonnummer, damit meine Schürze und ich Sie erreichen können!“
Sie tat es und bekam an der Tür einen leichten Kuss auf ihre Wange.
„Gute Nacht Annie, ich seh' Sie bald wieder. Versprochen!“ Weg war er.
David lief die Treppe hinunter und freute sich, diese Frau getroffen zu haben. Irgendetwas sagte ihm, dass sie DIE EINE war. Nicht, dass sie die erste gewesen wäre. Bei seinem Geld und seinem Aussehen konnte er die schönsten Frauen haben und er hatte viele, doch immer hatte er nach einer Weile das Gefühl, dass etwas fehlte. Jetzt wußte er, was es war. Annie war eine Frau, die ihn so sah, wie er wirklich war, ihr musste er nichts beweisen. Er konnte nicht sagen, warum er das wußte, aber es war so. Sein Beruf brachte es mit sich, dass er oft Wochen, sogar Monate nicht zu Hause war. Doch das störte ihn nicht, denn die Arbeit erfüllte ihn und machte ihm Spaß. Er sah mehr von der Welt als seine eigenen vier Wände und konnte gleichzeitig ein finanziell sehr komfortables Leben führen. Als Kind hatte er morgens vor der Schule seinem Vater geholfen, den Hotdog-Stand des Familienbetriebes an eine gut besuchte Stelle zu fahren. Sein Vater hatte sich kaputt geackert, nur um am Ende jedes Monats festzustellen, dass es mal wieder knapp für die Miete und die Standgebühren reichte und der Rest für einen mageren Lebensunterhalt der Familie. Tag für Tag stand Vater an seiner Ecke und verkaufte Hotdogs, ob es regnete, schneite, oder die Sonne so stark schien, dass er schon am Vormittag durchgeschwitzt und schweißverklebt seine Kunden bediente, die meist wie aus dem Ei gepellt vor ihm standen. David musste die abgetragenen Hosen und Hemden seines zwei Jahre älteren Bruders tragen, denn neue Kleidung gab es nur selten. Bei aller Arbeit fand sein Vater abends immer Zeit, mit seinen Söhnen zu lernen und sie in der Schule voranzutreiben.
„Ihr lernt, damit aus euch einmal etwas besseres wird als ein alter Mann wie ich, der nur Würstchen in ein Brötchen stopfen kann!“, mahnte er sie oft.
Doch David war stolz auf seinen Vater und auch sein älterer Bruder Jonas versäumte keine Gelegenheit, zu erzählen, dass sein Vater die besten Hotdogs der Stadt machte. Jonas war klug, er bekam ein Stipendium und konnte studieren. Schließlich wurde er Rechtsanwalt. Dann war da noch Karen, das Nesthäkchen. Wann immer sie Zeit hatte, lief sie zum Stand und half, Hotdogs zu verkaufen. „Hooootdooogs, leckere Hooootdoooogs!“ rief sie laut und lachte.
„Die besten Hotdogs der Stadt. Senf, Käse, Zwiebeln, Gurken, Ketchup, wie er nirgends besser schmeckt, kommen Sie, die müssen Sie essen!“
Die Leute kamen und standen Schlange, vielleicht auch ein bisschen, um dem hübschen Mädchen eine Freude zu machen. Manchmal tanzte sie auch und summte ein Liedchen vor sich hin. Dieses fröhliche Kind war unwiderstehlich. Wenn sie einmal nicht da war, fragten die Leute nach ihr und ihr Vater musste beteuern, dass sie bald wiederkäme. Karen erlernte später die Kunst des Marketing und heute hat sie zwanzig eigene Hotdogstände in der ganzen Stadt und ein kleines Lokal, wo es immer noch die Hotdogs nach dem Geheimrezept ihres Vaters gibt.
Und David? David liebte es schon als Kind, hinter der Mutter zu stehen und ihr beim Kochen zuzuschauen. Dabei löcherte er sie mit Fragen. Wie lange braucht der Braten? Welche Soße gibt man an Rucola? Wie verdickt man die Suppe? Fragen über Fragen. Seine Mutter war eine begnadete Köchin. So war es dann auch nicht verwunderlich, dass David Koch lernte und schon früh erfolgreich war. Die kleine Küche, in der er lernte, bekam hin und wieder Cateringaufträge, die der Küchenchef an David abgab. Bald schon waren seine Kanapees gefragt und weil es ihm Spaß machte, leckere Kleinigkeiten für den kurzweiligen Genuss zuzubereiten, dauerte es nicht allzu lange, bis er sich mit einem eigenem Cateringservice selbständig machen konnte. So schafften es die drei Kinder, ihren Eltern einen schönen Lebensabend zu ermöglichen. Sie kauften ihnen eine schöne Wohnung in der Nähe des Central Park und besuchten sie, so oft es ihre Arbeit ermöglichte. Karen und Jonas waren beide verheiratet und neckten David wegen seiner oft viel jüngeren Freundinnen. Wenn er so darüber nachdachte, musste er ihnen recht geben.
„Irgendwie finde ich nicht die richtige für mich“, gab er dann meist zurück, „wer will schon jemanden haben, der ständig unterwegs ist?“
„Ich glaube, du suchst nicht einmal richtig“, sagte Jonas einmal zu ihm, „es sieht aus, als ob du vor etwas davonläufst, nur weiß ich nicht, was das sein sollte?“
David wusste es auch nicht. Dann traf er Annie, rannte förmlich in sie hinein und fühlte sich wie von einem großen Laternenpfahl geschlagen. Der berühmte Wink mit dem Zaunpfahl war eine Frau? Das musste er ergründen. Spontan beschloss er, sie wiederzusehen. Er ärgerte sich, weil er ihre Verabredung vergessen hatte, wollte er doch so schnell wie möglich wissen, was es mit dieser Frau auf sich hatte. Als er dann am Abend bei ihr war, konnte er nur über sie staunen. Sie war so unbeholfen und stark zugleich. Nach Verlassen der Wohnung hatte er noch den Geruch ihres Parfüms in der Nase und er spürte den Hauch ihrer Haare, die seine Wangen streiften, als er sie küsste.
Am nächsten Tag bestieg er den Flieger nach San Francisco. Eine kleine Independent Production drehte eine Dokumentation über die San Francisco Giants, ihre Geschichte und ihre Spieler und er sollte sie im Stadion verköstigen, da die Interviews längere Zeit in Anspruch nehmen würden. Er machte seine Arbeit sorgfältig, aber er hatte das Gefühl, dass die Zeit viel zu langsam verging. Seine Gedanken waren ständig bei Annie und ein Ende der Arbeit nicht in Sicht.
„Sag mal George, ist hier irgend ein Ende in Sicht?“ maulte David, als schon wieder die Klappe für die Aufnahme einer Filmszene fiel. Immer wieder musste er mit ansehen, wie ein und dieselbe Szene wiederholt wurde. Sicher war er kein Experte in Regie, aber ihm kam es so vor, als würde heute jede Szene genauso aussehen wie die vorherige. Doch der Regisseur fand ständig etwas neues, das ihm nicht gefiel. Das Licht, der Winkel, die Schatten, irgendeine blöde Falte an einer Hose und so standen sie in der brütenden Hitze und sahen ihr Essen langsam aber sicher zu unansehnlichen Klumpen zerschmelzen, die jeden Appetit im Keime erstickten. George zuckte mit den Schultern und verkniff sich lieber jeden Kommentar. Er hatte schon längst bemerkt, dass David noch ganz andere Sachen störten, als hier herumzustehen und ganz sicherlich hatten diese wenig mit ihrer Arbeit zu tun. David war schon oft genug auf Filmsets gewesen um genau zu wissen, dass es manchmal seltsame Gründe gab, warum ein Dreh noch einmal wiederholt werden musste. Da es dem Geschäft aber nicht schadete, im Gegenteil, je mehr Zeit sie am Set verbrachten, desto länger wurden sie ja bezahlt, hatte David bisher noch nie gemault. Schon als sie in San Francisco ankamen, bemerkte George, dass David sich anders verhielt als sonst und es wurde immer schlimmer je länger die ganze Sache dauerte. Er machte einen unkonzentrierten Eindruck und wurde sowohl mit sich selbst als auch mit anderen immer ungeduldiger. George arbeitete nun schon sehr lange mit David zusammen und in all den Jahren hatte George seinen Chef noch nie so erlebt. Da sie auch noch Freunde waren, nahm sich George vor, nach dem heutigen Arbeitsende David bei einem gemeinsamen Drink zu befragen.
David dachte an Annie. Ich will sie so schnell wie möglich wiedersehen. Ich will in ihre Augen schauen und herausfinden, was mich so an ihr fasziniert. Annie! Er konnte nicht verhindern, dass ein kleiner Seufzer seinem Mund entfloh. Ah, dachte George, das klingt eindeutig nach verliebt sein