Zwei Ozeane auf Abwegen. Jenny Karpe

Zwei Ozeane auf Abwegen - Jenny Karpe


Скачать книгу
Die Popcorntüte war längst leer.

      Der Roboter schwieg zur Antwort. Es war so ruhig, dass er sogar Junipers Atem vernahm, obwohl er sich sonst nie auf solche Nebensächlichkeiten konzentrieren konnte.

      Die Forscherin hatte anscheinend beschlossen, nicht mehr auf Mortimers Äußerungen einzugehen. Augustin fühlte es ihr nach. Zu gerne würde er Mortimer seine Plastikfäuste auf den Kopf donnern und irgendetwas gegen das unternehmen, was hier vor sich ging. Die verlorene Seele zu finden, stand weit unten auf seiner Prioritätenliste, aber das musste er Juniper nicht mitteilen. Zumindest hoffte er, dass er sie überhaupt dazu verleiten konnte, ihm zu helfen. Hoffentlich half es, einen gemeinsamen Feind zu haben. Dieser drehte sich gerade auf seinem Stuhl herum und schaute in ihre Gesichter.

      »Jetzt schlägt endlich meine Stunde. Augustin – schön dableiben.« Er lachte. Augustin konnte nicht einmal mit einer Leuchtdiode S.O.S. morsen. »Und June, bitte behalte den Bildschirm im Auge. Ich habe Experiment 002 erstmal abgesperrt. Ich verbiete dir jeglichen Unsinn.«

      Dieser Tonfall stieß Augustin sauer auf, aber Juniper nickte. Ihr Kiefer zitterte dabei.

      Dann betrat Mortimer das Programm, was Augustins System direkt mitgeteilt wurde. Drinnen hieß der Administrator MF000, und soweit Augustin das richtig beobachtet hatte, hieß der Avatar der Forscherin JH002. Er fügte das seinen passwortgeschützten Notizen hinzu, obwohl er nicht wusste, wie privat sie tatsächlich waren. Besaß er überhaupt freie Gedanken? Andererseits – Augustin war eine menschliche Seele. Schwer zu glauben, dass die Wissenschaft sie ergründet hatte und ausnahmslos kontrollieren konnte. Für Mortimer war es leichter, ihn zu belügen, ihm Angst zu machen.

      Augustin wollte sich endlich wieder rühren, was natürlich nicht ging. Wütend stellte er sich vor, mit einem Fuß aufzustampfen, aber das hatte keinen befriedigenden Effekt. Mortimer hingegen bewegte sich, sein Kopf sank langsam nach unten. Juniper und Augustin sahen schweigend dabei zu, wie die Stirn auf der Tischkante aufkam.

      »Also«, begann Augustin. »Sie sind die Forscherin dieses Experiments?«

      Juniper wirkte etwas erschrocken darüber, von einem Roboter angesprochen zu werden, und trat sofort zwei Schritte zurück. »Ja.«

      »Und Mortimer darf dann derart ruppig mit Ihnen umgehen? Er behindert Ihre Arbeit.« Augustin hatte nur eine Gelegenheit hierfür, er durfte es sich nicht mit Juniper verscherzen. Leider klangen seine Worte durch die Stimmverzerrung deutlich harscher, als er es wollte.

      »Kommt manchmal vor«, antwortete sie, ohne sich von der Stelle zu rühren.

      »Und finden Sie das nicht … unangemessen? Sie beide sind doch ungefähr im selben Alter.«

      »Er ist mein Chef.«

      »Verzeihung, aber warum ist er Ihr Chef?«

      Sie schürzte die Lippen. »Sonst würde hier nichts mehr funktionieren.«

      Das war zwar eine Gelegenheit, um darüber zu berichten, was in den vergangenen zehn Jahren allein in Experiment 317 falsch gelaufen war, aber Augustin unterließ das. Er hatte nur wenige Minuten, bevor Mortimer wieder den Kopf hob.

      »Ich wollte nicht lauschen, wirklich nicht, aber das klang eben nicht so, als wäre hier alles fehlerfrei. Sie suchen eine verlorene Seele?« Er hatte problemlos verstanden, was hier vor sich ging, aber anders konnte er Juniper nicht auf Carla hinweisen. Sie war ihre Schwachstelle.

      »Wenn Mortimer sagt, dass er gerade keine Zeit für mich hat, dann hat er keine. Es gibt wichtigere Dinge bei Wyoming Wonders als meine persönlichen Belange.«

      »Dort draußen ist die Welt untergegangen, da kann man sich ruhig Zeit für die Menschen nehmen, die man liebt«, meinte Augustin. Wenn er seine echte Stimme besessen hätte, wäre sie ihm weggebrochen.

      »Wie bitte?« Jetzt kam Juniper einen Schritt näher. »Wyoming Wonders kümmert sich darum, die Welt dort draußen zu retten. Es ist bei weitem nicht alles verloren, ja?«

      Augustin kannte nur einen Bruchteil der Wahrheit, aber das genügte ihm. Er hatte erst in der vergangenen Nacht die Außentemperatur am eigenen Roboterleib zu spüren bekommen.

      »Okay, hören Sie. Wir haben nicht viel Zeit, und ich fürchte, Sie verstehen die Dringlichkeit nicht. Ich bin eine verlorene Seele wie Ihre Carla, ich stamme aus Experiment 317. Ihr Chef hält mich gegen meinen Willen gefangen und jagt meinen Sohn Aaron und seine Freundin Kira durch das Programm.« Auf Junipers Gesicht breitete sich Erkenntnis aus, also sprach Augustin weiter. »Kira haben Sie eben persönlich kennengelernt. Ihretwegen wissen Sie, dass ich nicht lüge.«

      »Das … klingt kompliziert«, murmelte die Frau und legte ihren Kopf schief. »Ich habe meine Prinzipien, Augustin. Warum sollte ich mich unnötig in Gefahr begeben, wenn ich abwarten kann, dass Mortimer sein Projekt beendet? Ich kann ihn in Ruhe auf Carla ansprechen.«

      »Ihre und meine Carla ist dieselbe Person«, behauptete Augustin. »Wir haben beide dasselbe Problem, und wenn Sie Ihre Carla wiedersehen wollen, müssen Sie mir helfen. Dieser Mann quält und beseitigt Seelen. Sorgen Sie dafür, dass er mich nicht mehr kontrollieren kann.«

      »Das kann ich nicht, er ist der Admin—«

      »Ich will ihm ungern körperlichen Schaden zufügen, ich will nur aus diesem Labor raus.« Er starrte sie so eindringlich an, wie es nur Roboter können.

      »Da gäbe es einen Ort, aber … ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Ich kann dich nicht allein gehen lassen.«

      »Ich würde Sie nicht mit diesem Irren zurücklassen, niemals. Letzte Nacht habe ich ganz andere Probleme gelöst, von denen ich Ihnen gerne später erzähle. Wenn wir die Zeit dafür haben.«

      Immer wieder schaute Juniper von den Bildschirmen zu Augustin, während ihr Kiefer mahlte. Sie umschloss ihre Arme.

      »Wenn ich Carla retten will, ist es tatsächlich logischer, mit dir zu verschwinden«, murmelte sie. Sie huschte an Mortimers Seite und betrachtete die beiden leuchtenden Felder an seinen Armen. Sie gab einen kurzen Befehl ein, was einem Streicheln ähnelte, dann waren Augustins Fehlermeldungen verschwunden.

      »Komm!«, zischte sie und winkte ihn heran.

      »Können wir das Labor von außen abschließen?«, fragte er im Näherkommen. Sein klobiger Körper fühlte sich noch träger an als normalerweise.

      »Das würde er problemlos wieder öffnen, lauf einfach schneller. Diese alten Modelle sind ein einziger Witz.«

      »Entschuldigung«, zischte Augustin. »Ich habe mir das nicht ausgesucht.«

      »Was sagtest du, woher du kommst?«

      »Insel 317.«

      »Irgendetwas sagt mir diese Nummer«, überlegte sie laut, während sie die Tür hinter dem Roboter schloss. Mit einer eindeutigen Handbewegung scheuchte sie Augustin in Richtung des Aufzugs.

      »Wenn Sie mit Carla Frenton zu tun hatten, hatten Sie auch mit meiner Insel zu tun.« Wie sollte er ihr das nur erklären? Selbst für eine Mitarbeiterin von Wyoming Wonders musste es vollkommen irre klingen. Andererseits konnte er sie jetzt nicht mehr anlügen – das würde seine neugewonnene Freiheit in Gefahr bringen.

      Der Aufzug wartete dort, wo Mortimer und seine Geisel ihn vor wenigen Minuten zurückgelassen hatten. Die Türen hatten sich nicht einmal geschlossen. Drinnen drückte Juniper auffällig hastig auf mehrere Nummernfelder.

      »Ja, es ist ein Code für ein verstecktes Stockwerk«, erklärte sie, als sich die Türen schlossen.

      »Ich wollte gar nicht fragen«, entgegnete Augustin und merkte sich die Ziffernfolge 3-1-18-12-1.

      »Lügner.« Sie schmunzelte zwar, aber ihr Tonfall wurde ernst. »Augustin, warum bist du ein Roboter?«

      Er hielt einen Moment inne. »Die Kurzfassung ist hoffentlich nicht zu kompliziert. Meine Seele war Teil eines Experiments und … wir haben die Kontrolle an uns gerissen und unsere Forscher ins Programm übertragen.«

      »Forscher?


Скачать книгу