Schein und Schuld. Anna Katharine Green

Schein und Schuld - Anna Katharine Green


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vermöchte es nicht zu beschwören.«

      »Glaubten Sie es wenigstens?«

      »Es ist möglich; gerade als ich im Einschlafen begriffen war, erinnere ich mich dunkel, etwas wie das Rauschen eines Gewandes und Fußtritte vernommen zu haben; doch es machte keinen besonderen Eindruck auf mich, und bald war ich eingeschlafen.«

      »Weiter nichts?«

      »Etwas später erwachte ich plötzlich, als hätte mich etwas erschreckt; was es aber gewesen ist, vermag ich nicht zu sagen. Ich weiß nur noch, daß ich mich im Bett aufrichtete und mich rings umschaute. Da ich jedoch weder etwas hörte, noch sah, versank ich bald wieder in Schlaf und erwachte erst heute morgen wieder.«

      Nachdem Harwell die Aussagen des Hausmeisters in allen Einzelheiten bestätigt hatte, fragte ihn der Coroner, ob er den Tisch im Bibliothekzimmer bei seinem Weggange in Augenschein genommen habe.

      »Ein wenig wohl,« lautete die Antwort.

      »Was befand sich darauf?«

      »Die gewöhnlichen Gegenstände: Bücher, Papier, eine Feder mit eingetrockneter Tinte, die Flasche und das Weinglas, aus welchem der Ermordete vorher getrunken hatte.«

      »Sonst nichts?«

      »Nicht, daß ich wüßte.«

      »Bezüglich des Glases,« fiel hier einer der Geschworenen ein, »sagten Sie ja wohl, daß es in demselben Zustande aufgefunden worden sei, in welchem es war, als Sie Herrn Leavenworth verließen?«

      »Jawohl.«

      »Und doch pflegte er sonst das Glas ganz auszutrinken?«

      »Gewiß.«

      »Es muß also gleich nach Ihrem Weggange eine Unterbrechung stattgefunden haben?«

      Eine fahle Blässe überzog plötzlich das Gesicht des jungen Mannes; er zuckte zusammen und sah einen Moment lang aus, als habe ihn ein schrecklicher Gedanke ergriffen. »Das folgt gerade nicht daraus,« brachte er endlich mühsam hervor. »Herr Leavenworth mag –« hier brach er ab, als sei es ihm unmöglich, weiter zu sprechen.

      »Fahren Sie fort, Herr Harwell, und lassen Sie hören, was Sie noch zu sagen haben,« bemerkte der Coroner.

      »Ich habe Ihnen nichts mehr hierüber mitzuteilen,« bemerkte der Sekretär, als kämpfe er mit einer heftigen Erregung.

      Mehrere der Anwesenden warfen sich bei dieser Antwort argwöhnische und bedeutsame Blicke zu, als glaubten sie, in der Aufregung des jungen Mannes einen Schlüssel zur Lösung des Geheimnisses gefunden zu haben.

      Der Coroner nahm indessen keine weitere Notiz davon und fuhr in seinem Verhör fort: »Wissen Sie, ob der Schlüssel zum Bibliothekzimmer, als Sie dasselbe gestern abend verließen, im Schlosse steckte oder nicht?«

      »Ich habe nicht darauf geachtet.«

      »Sie sind aber der Ansicht, daß er darin war?«

      »Ich muß es allerdings annehmen.«

      »In jedem Falle war aber die Thür heute morgen verschlossen und der Schlüssel verschwunden?«

      »Jawohl, mein Herr.«

      »So muß also derjenige, der den Mord begangen hat, beim Verlassen des Zimmers die Thür verschlossen und den Schlüssel mitgenommen haben.«

      »Es hat den Anschein.«

      Der Coroner schaute die Geschworenen mit ernsten Blicken an. »Meine Herren,« sagte er, »das Verschwinden des Schlüssels ist ein Geheimnis, das notwendigerweise aufgeklärt werden muß.«

      »Erlauben Sie mir eine Frage,« ließ sich jetzt der kleine Geschworene wieder vernehmen, »man erzählt uns, daß beim Aufbrechen des Bibliothekzimmers die beiden Nichten des Herrn Leavenworth Ihnen in das Gemach folgten; war dem so, Herr Harwell?«

      »Nur eine begleitete uns: Fräulein Eleonore.«

      »Ist diese die voraussichtliche Universalerbin des Ermordeten?« forschte der Coroner.

      »Nein, das ist Fräulein Mary.«

      »Auch ich möchte Herrn Harwell eine Frage vorlegen,« ließ sich jetzt ein Geschworener vernehmen, der bisher noch nicht gesprochen hatte. »Man hat uns eine ausführliche Schilderung von der Auffindung der Leiche gegeben; nun wird aber doch niemals ein Mord ohne bestimmte Absicht verübt. Weiß der Sekretär vielleicht, ob Herr Leavenworth einen geheimen Feind gehabt hat?«

      »Das kann ich Ihnen nicht sagen.«

      »Stand jedermann im Hause mit ihm auf gutem Fuße?«

      »Ja, mein Herr.« Doch kam die Antwort ein wenig zögernd heraus.

      »Lag kein Schatten zwischen ihm und irgend einem Mitglied der Familie?« fragte der Geschworene.

      »Das kann ich mit Bestimmtheit nicht sagen,« erwiderte der Zeuge ängstlich und scheu, »es mag vielleicht ein Schatten –«

      »Zwischen ihm und wem?«

      Eine lange Pause entstand; endlich antwortete der Sekretär: »Und einer der Nichten.«

      »Welcher?«

      »Fräulein Eleonore.«

      »Können Sie uns den Grund davon angeben?«

      »Nein, mein Herr.«

      »Sie öffneten Herrn Leavenworths Briefe?«

      »Das that ich allerdings.«

      »Können Sie sich nicht erinnern, daß in einem der jüngst an den Ermordeten eingelaufenen Schreiben etwas gestanden hat, das einiges Licht auf diese dunkle That werfen könnte?«

      Es hatte fast den Anschein, als wollte der Zeuge darauf überhaupt nicht antworten; überlegte er nur seine Antwort, oder war er wirklich wie in Stein verwandelt?

      »Herr Harwell!« drängte der Coroner, »haben Sie die Frage des Geschworenen nicht vernommen?«

      »Gewiß! Ich dachte nur über dieselbe nach. – Mein Herr,« erwiderte er endlich, indem er dem Geschworenen voll in das Gesicht sah, »ich habe wie gewöhnlich auch in den letzten Wochen Herrn Leavenworths Briefe geöffnet, vermag mich aber nicht zu entsinnen, in denselben etwas gefunden zu haben, was mit diesem Verbrechen auch nur im geringsten in Verbindung stände.«

      Der Mann log, das merkte ich sofort; seine linke Hand zitterte, als er diese Aussage machte; dann aber ballte sie sich fest zusammen, als sei er zu einem Entschluß gekommen.

      »Das mag nach Ihrer Meinung wahr sein, Herr Harwell,« warf der Coroner ein; »man wird indes die Korrespondenz des Ermordeten ganz genau darnach durchforschen.«

      »Das finde ich vollständig in der Ordnung,« lautete die ruhige Entgegnung des Sekretärs.

      Diese Bemerkung beendete Harwells Verhör für heute, und als er sich niedersetzte, notierte ich mir vier Punkte: Harwell hegte aus einem nicht angegebenen Grunde irgend einen Verdacht, den er nicht einmal sich selbst gestehen mochte. Ein weibliches Wesen war mit in die That verwickelt, wie aus dem Rauschen des Gewandes und den Fußtritten, welche der Zeuge gehört hatte, hervorging. Vor nicht langer Zeit war hier im Hause ein Brief eingetroffen, der wahrscheinlich einiges Licht in das Dunkel des Geheimnisses warf; und endlich kam der Name Eleonore Leavenworth nur zögernd von den Lippen des Sekretärs, so oft er gezwungen war, denselben zu nennen.

      Viertes Kapitel.

       Ein Schwur.

      Jetzt wurde die Köchin des Hauses aufgerufen, eine stattliche, wohlgerundete Gestalt mit rotem, gutmütigem Gesicht.

      Als sie mit großer Eilfertigkeit vortrat, prägten sich in ihren Zügen Neugier und Furcht aus, und es fiel den Anwesenden schwer, beim Anblick dieser komischen Person ein Lächeln zu unterdrücken.

      »Ihr Name?« fragte der Coroner sofort.

      »Katharine


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