Holzperlenspiel. Irene Dorfner
Chef, es wurden keine weiteren Holzperlen gefunden. Außerdem konnten wir den persönlichen Rosenkranz von Bruder Benedikt sicherstellen, bei dem keine Holzperle fehlt. Wie viele Holzperlen hat nochmal ein Rosenkranz?“
„59“ kam es einstimmig im Chor – alle wussten das, nur Leo nicht.
„Wie dem auch sei,“ sagte Krohmer, „es handelt sich auch aufgrund der Holzperle um einen christlichen Hintergrund.“
„Oder wir sollen genau das glauben,“ sagte Leo, der gegenüber solchen Spuren immer skeptisch war, denn das war zu offensichtlich.
„Wie auch immer. Warten wir ab, was die Spezialisten dazu sagen. Wann bekommen wir den Bericht der Gerichtsmedizin und der KTU?“
„Beide dürften heute Abend, spätestens morgen früh hier sein.“
„Sehr gut, hoffentlich sehen wir dann klarer.“
„Eine weitere kleine Spur haben wir allerdings noch. Eine Frau hat in letzter Zeit offenbar des Öfteren nach Bruder Benedikt verlangt. Die Überwachungsbilder aus der Klosterumgebung dürften schon hier sein, vielleicht haben wir Glück und wir finden diese Frau.“
„Das hört sich doch gar nicht so schlecht an, wie ich ursprünglich angenommen hatte. Machen Sie sich an die Arbeit! Ich möchte Sie bitten, in dem Fall behutsam vorzugehen. Der Guardian Bruder Paul ist ein alter Schulfreund und ich habe ihm versprochen, dass wir diskret vorgehen. Das Ansehen eines Klosters ist in der heutigen Zeit nicht besonders hoch und die Klöster haben Nachwuchsprobleme. Wenn ein Kloster mit einem Mord in Verbindung gebracht wird, sind die Folgen jetzt überhaupt noch nicht abzusehen.“
„Die sind doch selbst schuld mit ihren verstaubten Ansichten,“ rief Leo, der zwar von der Hingabe und der Arbeit der Klosterbrüder durchaus beeindruckt war, die Grundfeste der Klöster aber nicht verstand. „Damit meine ich nicht nur das Zölibat an sich, das meiner Meinung nach total veraltet ist und längst abgeschafft gehört. Für mich macht das ganze Klosterleben an sich keinen Sinn. Denn warum soll man sich diesen Regeln beugen und sich an einem veralteten Tagesablauf orientieren? Man kann doch auch ohne ein Kloster zusammenfinden, die Bibel lesen, beten und Gutes tun. Was mir auch stinkt ist vor allem die Rolle der Frauen in der katholischen Kirche, die meiner Meinung nach immer noch vollkommen am Rande mitlaufen und untergebuttert werden – das ist nicht richtig und absolut nicht zeitgemäß. Auch bei den Katholiken dürfte zwischenzeitlich angekommen sein, dass Männer und Frauen gleichbehandelt werden müssen. Aber was rege ich mich auf, das funktioniert doch nicht mal im normalen Leben. Immer noch werden Frauen ungleich behandelt und es ist immer noch die Rolle der Frau, zuhause das Haus zu hüten und sich um die Kinder zu kümmern, während der Mann Karriere macht, finanziell abgesichert ist und beides hat: Karriere und Familie. Und wenn der Mann dann Karriere gemacht hat, die Frau frustriert ist, wird sie einfach durch ein jüngeres Modell ausgetauscht, mit der der Mann dann angeben kann. Jetzt schaut mich nicht so an! Wie oft haben wir das Muster schon miterlebt?“ Leo hatte sich völlig in Rage geredet, denn diese Ungleichbehandlung begegnete ihm immer wieder und regte ihn maßlos auf.
„Da bin ich ganz bei dir Leo. Und man sollte nicht vergessen, dass in den meisten Berufen Frauen immer noch weniger verdienen als Männer, obwohl sie die gleiche Arbeit machen oder sogar noch besser, qualifizierter sind.“ Auch Werner Grössert ärgerte sich über diese Tatsache und dachte eigentlich, dass die Menschen in der heutigen Zeit aufgeklärt und modern wären – ein Trugschluss, wenn es um solche grundsätzlichen Dinge ging.
„Aber wir sind doch jetzt nicht hier, um über Politik und Gesellschaftsprobleme zu sprechen,“ beschwichtigte Krohmer, der absolut der gleichen Meinung war. Er selbst würde eine Ungleichbehandlung auf seinem Polizeirevier niemals dulden und wurde seinen Vorgesetzten gegenüber immer ungemütlich, wenn so ein Fall in seiner Behörde vorkam – und er schaffte sie ab oder umging sie elegant.
Viktoria Untermaier hätte ihren Lebensgefährten Leo am liebsten umarmt, denn er sprach ihr aus der Seele. Trotzdem war hier nicht der richtige Ort für solch eine Diskussion, Krohmer hatte wie immer Recht.
„Machen wir uns an die Arbeit. Bruder Andreas kommt in zwei Stunden, bis dahin sollten wir die Überwachungsbilder gesichtet und sortiert haben.“
Rudolf Krohmer ging wieder in sein Büro und dachte über das Gespräch mit Bruder Paul nach, den er aus der Schule kannte. Natürlich war Bruder Paul bemüht, Schaden von seinem Kloster abzuwenden und Krohmer musste ihn mit Engelszungen davon überzeugen, dass seine Beamten einen Mord aufzuklären hatten und ihre Arbeit machen mussten. Bruder Paul schien keineswegs beschwichtigt und Krohmer kannte ihn: Er würde seine Kontakte spielen lassen und alle Hebel in Bewegung setzten, das gab ganz bestimmt noch Ärger. Krohmer stöhnte laut auf, dieser Fall gefiel ihm überhaupt nicht. Trotzdem vertraute er seinen Leuten, sie würden schon wissen, wie sie vorzugehen haben.
Es folgte eine für alle Beamten langweilige Aufgabe, denn es galt, alle Bilder von verschiedenen Überwachungskameras durchzusehen und zu ordnen, was sich nicht nur als langweilig, sondern als sehr anstrengend herausstellte. Bis Bruder Andreas eintraf, waren sie zum Glück fertig. Zu ihrem Erstaunen hatte Bruder Siegmund seinen Glaubensbruder begleitet. Es war schon ein ungewöhnliches Bild, wie die beiden Brüder in ihren Habits vor dem Bildschirm saßen und gebannt darauf starrten. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis Bruder Andreas schließlich die Frau erkannte – die Beamten hatten bereits die Hoffnung aufgegeben.
„Das ist die Frau,“ rief er aufgeregt. „Ganz bestimmt, das ist die Frau.“
Alle warfen einen Blick auf die betreffende Person und Werner Grössert ging sofort an seinen Computer. Er rief die Bilder der Frau auf, gab einige Informationen ein, markierte das Gesicht an einigen Punkten - und ließ sie über ein Gesichtserkennungsprogramm laufen. Werner hatte hart um dieses Programm gekämpft und vor einem Monat hatte sich Krohmer endlich dazu überreden lassen, dieses anzuschaffen. Werner hielt große Stücke darauf, ganz im Gegensatz zu seinen Kollegen, die sich nur lustig darüber machten. Jetzt hatte er die Möglichkeit zu beweisen, dass dieses Programm nicht nur hilfreich, sondern in Zukunft unverzichtbar sein würde.
„Jetzt brauchen wir nur noch warten, bis das Programm die Person gefunden und identifiziert hat,“ sagte er stolz.
„Aber auch nur, wenn die Frau bisher irgendwie polizeilich in Erscheinung getreten ist,“ sagte Hans Hiebler, der keinen engeren Bezug zu Computern hatte und froh war, wenn er die gängigsten Programme bedienen konnte.
Bruder Andreas wäre am liebsten wieder sofort gegangen, er fühlte sich hier sehr unwohl, aber Bruder Siegmund sah sich neugierig um und reagierte nicht auf dessen Drängen. Für ihn als Krimifreund und äußerst neugierigen Menschen war das eine einmalige Chance, hinter die Kulissen der Polizei zu blicken. Wann bekam man denn schon diese Möglichkeit? Außerdem war das hier eine willkommene Abwechslung zu seiner sonstigen Arbeit im Klostergarten und in der Klosterküche, die er zwar sehr gerne und mit Eifer ausführte, aber das hier war doch viel interessanter. Seine Bäckchen glühten geradezu und seine strahlenden Augen wanderten aufmerksam hin und her.
„Eigentlich sind wir fertig mit Ihnen. Ich möchte mich ganz herzlich für Ihre Mühe bedanken,“ sagte Viktoria. Leo konnte das Zögern von Bruder Siegmund förmlich spüren, der alles um sich herum geradezu aufzusaugen schien.
„Wie sind Sie beide eigentlich hergekommen? Hat Ihr Kloster ein Auto?“ Leo hatte keine Ahnung vom Klosterleben und fragte daher einfach darauf los.
„Wir haben ein Auto, aber wir beide haben keinen Führerschein. Wir sind mit dem Zug gekommen, auf kurzen Strecken kostet uns das nichts, ein Entgegenkommen der Bahn.“
„Ach was,“ bemerkte Leo erstaunt, der noch nie davon gehört hatte, dass Klosterbrüder umsonst im Zug mitfahren durften. Es war ihm auch neu, dass die Bahn so kulant war. „Dann warten Sie hier, ich organisiere, dass Sie zurückgefahren werden. Natürlich nur, wenn Sie damit einverstanden sind.“
„Und ob wir damit einverstanden sind. Das ist sehr freundlich und aufmerksam von Ihnen, vielen Dank. Denken Sie, dass es eventuell möglich ist, mit einem richtigen Streifenwagen mitzufahren? Aber nur, wenn es keine Mühe macht.“ Bruder