Die Rebellenprinzessin. Anna Rawe

Die Rebellenprinzessin - Anna Rawe


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Ich hörte ihn aufheulen, so dicht hinter mir, dass ich seinen kalten Atem spürte. Panik erfasste jede Faser meines Körpers. Um Hilfe schreiend sprintete ich weiter durch den Schlamm. Schneller, schneller. Noch zwanzig Meter. Noch zehn. Ich würde es schaffen, ich konnte … Ein Schrei, ein Donnerschlag.

      Er packte meinen Fuß, mein Bein, meine Hüfte.

      Und riss mich an sich. Mit sich. Nach oben.

      Ich schluckte Staub und Gras und Dreck und hustete und bekam keine Luft und konnte nicht schreien. Überall war Wind, war Sturm, war Luft und oben und unten verschwand.

      Ein Blinzeln und ich sah die Scheune, das Tor, den Spalt, der sich entfernte. Eine Sekunde und etwas Hartes knallte gegen meinen Kopf.

      Ein Schrei entrang sich meiner trockenen Kehle, ein Krächzen. Vor meinen Augen drehte sich alles. Für einen winzigen Moment erkannte ich etwas.

      Ein Tier, einen Wolf, einen heulenden Wolf, den Kopf zum Himmel erhoben. Schneidend gelb traf mich der Blick aus seinen Augen. Eine Sekunde, ein Blinzeln.

      Dann wurde alles schwarz.

      Kapitel 3

      Das erste, was ich spürte, war die Kälte.

      Klamme, eisige Kälte, die mich bis auf die Knochen durchdrang. Vor meinen Augen nahm die Welt nur langsam Gestalt an. Mein Schädel dröhnte. Unscharf erkannte ich Stämme um mich herum, Blätter und Äste und Moos, auf dem ich lag.

      Stöhnend setzte ich mich auf. Jeder Knochen meines Körpers schmerzte, als hätte mich ein Lastwagen überrollt und die Schürfwunden an Knie und Armen sprachen für sich.

      Ich war im Wald. Nur langsam kehrte die Erinnerung zurück. Der Brief und das Gewitter, der Tornado, die Scheune und … der Wolf.

      Tropfen berührten meine kalte Haut. Es regnete noch immer. Dann konnte ich nicht allzu lang bewusstlos gewesen sein. Suchend sah ich mich um. Keine Spur von meinem Fahrrad oder der Scheune, nicht einmal ein Waldweg war zwischen den himmelhohen Bäumen zu erkennen.

      Ich musste irgendwo zwischen den Feldern und dem Elbow River sein, in dem schmalen Waldstück, das das Flussufer säumte. Hatte mich der Tornado bis hierher mitgerissen? Wahrscheinlich. Die abgerissenen Blätter und Zweige der umstehenden Bäume sprachen eine ziemlich eindeutige Sprache. Der nächste Windstoß, der sie aufwirbelte, ließ auch mich erzittern. Die Kälte schien meine durchnässte Kleidung zu Eis zu gefrieren.

      Fröstelnd holte ich mein Handy aus der Innentasche meiner Jacke.

      „Komm schon“, flehte ich, während das Display zum Leben erwachte, „Oh, bitte!“

      Doch das Zeichen in der rechten oberen Ecke blieb bei seiner Aussage. Kein Empfang. Ich hätte heulen können. „Einmal“, fluchte ich, während ich das Handy zurück in meine Jackentasche steckte, „Ein einziges Mal hätte ich dieses Drecksding wirklich gebrauchen können. Und dann …“

      Entkräftet rappelte ich mich auf. Die Muskeln in meinen Beinen schmerzten bei jedem Schritt, doch der immer stärker werdende Regen ließ mir keine Wahl. Ziellos irrte ich zwischen den Stämmen umher, unsicher, welche Richtung ich einschlagen sollte. Als der Wind schließlich auffrischte und mir die Tropfen direkt ins Gesicht trieb, beschloss ich, dass die Richtung egal war, solange ich einfach nur aus diesem gottverdammten Wald herauskam.

      Also lief ich. Spornte meinen erschöpften Körper ein weiteres Mal an.

      Mittlerweile knallten die eisigen Tropfen wie Neun-Millimeter-Geschosse auf mich nieder. Ich rannte. Hastete zwischen den Bäumen hindurch, in dem verzweifelten Versuch, mich dem Regen zu entziehen.

      Gespenstisches Wispern stieg zwischen den Stämmen auf. Rauschen und Flüstern, wie von tausenden Stimmen, zwischen denen ich allein blieb. Immer lauter erscholl die seltsame Sprache zwischen den Blättern, zerteilte die Luft um mich herum mit einer messerscharfen Klinge. Äste brachen, schlugen vor mir auf den Weg, sodass ich Mühe hatte, auszuweichen. Ich hielt mir die Ohren zu, doch der Wald gab nicht auf. Er streckte seine Arme nach mir aus und riss blutige Striemen in meine Haut. Dornen gruben sich tief in meine Beine und versuchten mich festzuhalten. Und überall flogen Blätter durch die Luft; umhüllten mich wie eine Gewitterwolke und tanzten einen schaurigen Reigen. Der Wind frischte auf, fuhr mir durch das nasse Haar und versuchte, mich mit sich fortzutragen. Ich schrie. Schrie gegen den Wind an, versuchte die Stimmen in meinem Kopf zu übertönen, die Panik und Angst und Entsetzen in allen Sprachen der Welt flüsterten.

      Ein Knall. Grollend und dröhnend zerriss er den Himmel und bohrte sich mit all seiner Kraft in die Erde. Donnernd folgte ein Zweiter. Blitze erhellten den Wald für Sekundenbruchteile, ließen sich von der grölenden Lautstärke des Donners begleiten.

      Schützend erhob ich die Hände über dem Kopf und sandte ein Stoßgebet gen Himmel, während ich um mein Leben rannte.

      Unvermittelt blitzte ein Licht auf.

      Etwas rechts von mir, zwischen den Bäumen. Nur für einen Augenblick. Und dann für einen zweiten. Eine Böe traf mich mit voller Wucht und riss mich zur Seite. Ich fing mich ab, stolperte weiter, fand das Licht. Und lief darauf zu.

      Der Wald weitete sich. Konturen schälten sich aus den Schatten, hoben sich zwischen den Stämmen ab, bis ich schließlich erkannte, woher das Licht kam. Da war ein Fenster! Ein Haus!

      Ich bot meine letzten Kräfte auf und setzte zu einem Endspurt an. Mit einem markerschütternden Knall prallte ich gegen die Tür, riss sie auf und stürmte ohne zu klopfen hinein.

      *****

      Ein spitzer Aufschrei empfing mich. Erschrocken knallte ich die Tür hinter mir ins Schloss und fuhr herum.

      „Grannie?“ Eine Stimme erklang irgendwo über mir, dann polternde Schritte. Mein Blick erfasste eine Person am anderen Ende des Raums. Die Frau war vielleicht um die siebzig, mit hellgrauen Locken. Völlig perplex starrte sie mich an. Das Strickzeug war ihr vor Schreck auf den Tisch gefallen.

      „Grannie, was ist passiert?“ Eine Gestalt rauschte an mir vorbei die schmale Holztreppe hinunter, wo sie zum Stehen kam. Der Blick der jungen Frau blieb an mir hängen. Schweigend taxierte sie mich.

      „Ich … ich kann das erklären“, begann ich. Auffordernd blickte die junge Frau mich an, sagte jedoch kein Wort. Ich schluckte. „Ich habe mich verlaufen.“

      Sie nickte, während sie an mir herabsah. „Darauf wäre ich von allein überhaupt nicht gekommen“, meinte sie säuerlich. Verwirrt folgte ich ihrem Blick über meine dreckige Jacke, in der sich ein halber Strauch verfangen hatte, bis zu meinen zerrissenen, schlammbespritzten Jeans. Meine Schuhe standen in einer großen Pfütze.

      „Ich … Das tut mir leid.“ Ich wurde rot. „Dieses Gewitter da draußen … ich habe das Licht hier gesehen und bin …“ Ich verstummte, als ich die Miene der jungen Frau bemerkte. Na ganz toll, Eline, schimpfte ich in Gedanken, Sprich ruhig weiter in zusammenhanglosen Wortfetzen mit der Frau, deren Haus du gerade gestürmt hast. Macht bestimmt einen guten Eindruck.

      „Ruby, Schätzchen“, schaltete sich da die ältere Frau ein, „Hör doch auf, sie so anzustarren. Das arme Ding hat doch wirklich niemandem etwas getan.“ Sie schien ihren Schock ganz gut überwunden zu haben. Erstaunlich flink kam sie auf mich zugelaufen. „Du musst doch ganz durchgefroren sein, Kleines. Wie heißt du?“

      Unter dem neugierigen Blick der Frau wischte ich mir die nassen Strähnen aus dem Gesicht. „Evangeline. Evangeline MacKay.“

      Sie schenkte mir ein warmes Lächeln. „Herzlich willkommen bei uns, Evangeline. Mich kannst du Grannie nennen und das hier …“ Sie zeigte auf die junge Frau, die nur einige Meter entfernt stand. „Das ist meine Enkelin Ruby.“

      „Rubina“, kam es sofort aus ihrer Richtung, „Nenn mich Rubina.“

      Grannie neben mir schüttelte den Kopf, während sie mir eine Hand auf den Rücken legte. „Keine Sorge, Schätzchen“, murmelte sie gerade laut genug, dass Rubina


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