Die Rebellenprinzessin. Anna Rawe
mich am liebsten auf der Stelle in Luft aufgelöst hätte.
„Ruby, steh doch dort nicht so herum.“ Grannie wedelte mit der Hand. „Du siehst doch, dass sie ganz nass ist. Hol ihr frische Sachen.“
An der Art, wie Rubina die Lippen verzog, bevor sie sich umdrehte und die Treppe hinaufstieg, war nicht der leiseste Hauch von Freundlichkeit. Grannie schien das überhaupt nicht zu bemerken. „Na komm, Schätzchen, setz dich erst mal.“
Zögernd blieb ich stehen. „Ich … Ich will wirklich nicht stören“, startete ich halbherzig einen Versuch, „Wenn ich vielleicht einfach kurz ihr Telefon benutzen dürfte …“ Verständnislos sah Grannie mich an. „Wovon sprichst du, Kleines?“
„Ihr Telefon“, wiederholte ich, „Wenn ich kurz meine Eltern anrufen könnte …“
Genau in dem Moment stieß Rubina wieder zu uns, im Arm einen Stapel Kleidung.
„Das ist leider nicht möglich“, antwortete sie anstelle ihrer Großmutter barsch und drückte mir den Stapel in die Hand, „Links neben der Tür ist ein Raum, wo du dich umziehen kannst.“
Ich musste mich beherrschen, nicht direkt aufzuspringen. „Danke“, brachte ich gerade noch heraus, bevor ich so unauffällig wie möglich in besagtem Raum verschwand.
Erst, als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, atmete ich durch. Wo zur Hölle war ich denn hier gelandet? Ein Haus ohne Telefon? Grannie schien ja nicht einmal zu wissen, was ein Telefon überhaupt war. Und dann dieser feindselige Blick Rubinas. Als wäre ich eine Serienkillerin, die ihre Großmutter entführen wollte. Ja, zugegeben, ich war einfach in ihr Haus gestürmt. Und mein Anblick musste auch nicht unbedingt vertrauenserweckend sein. Aber mich so zu behandeln? Ich schüttelte den Kopf. Es wurde höchste Zeit, dass ich hier wegkam.
Mit vor Kälte zitternden Fingern fummelte ich nach dem Smartphone in meiner Jacke. Es kam einem Wunder gleich, dass es noch immer funktionierte, doch als ich die Anzeige betrachtete, hätte ich trotzdem heulen können. Kein Empfang. Nicht ein einziger Balken. In welchem gottverlassenen Nest saß ich hier eigentlich?
„Evangeline?“ Das war Rubinas Stimme auf der anderen Seite der Tür. „Ist alles in Ordnung?“ Sie klang besorgt, allerdings ahnte ich, dass es ihr dabei weniger um mich ging als vielmehr darum, ob ich hier drin eine Bombe bastelte oder mein MG zusammensteckte. Wahrscheinlich hätte ich schon vor fünf Minuten fertig sein sollen.
„Mir geht’s gut“, gab ich schließlich zurück, „Ich brauche nur noch ein paar Minuten.“ Draußen herrschte einige Sekunden lang Stille, dann entfernten sich Rubinas Schritte. Erleichtert atmete ich auf und sah mich zum ersten Mal genauer im Raum um. Es schien eine Art Badezimmer zu sein, mit einem altmodischen Waschtisch, auf dem ein Krug voll Wasser und eine Schüssel standen. Die Ecke schmückte eine schlichte Bank und gegenüber gab es eine schmale Toilette. Alles in allem eher minimalistisch, aber ich hatte sowieso keine Zeit, mich länger hier aufzuhalten.
Auf der Bank legte ich die frischen Sachen ab, bevor ich endlich aus meiner nassen Kleidung schlüpfte. Im Licht der flackernden Öllampe betrachtet, sahen meine Sachen noch schlimmer aus als erwartet. Die Jeans war hinüber, das Shirt völlig verdreckt und meine Schuhe waren so durchnässt, dass es sich anfühlte, als stünde ich auf Schwämmen.
Seufzend breitete ich den tropfenden Stoff über die Bank und faltete anschließend den Stapel auseinander, den Rubina mir in die Hand gedrückt hatte. Er entpuppte sich als ein langer, schlichter Rock, in den eine helle Bluse und dünne Lederschuhe eingewickelt waren.
Altmodisch, war mein erster Gedanke, Wie in diesen Historiendramen, auf die Dad steht.
Doch ich stand hier in Unterwäsche und selbst wenn vor mir ein neonpinkes Paillettenkostüm gelegen hätte, wäre das um Längen besser gewesen als meine eigenen nassen, verdreckten und zerrissenen Klamotten. Also zögerte ich nicht lang, sondern schlüpfte in die angenehm trockenen Stoffe. Die Bluse war bequem und fiel locker über den Bund des Rocks und die Schuhe waren erstaunlich weich. Schnell kämmte ich mir noch mit den Fingern durch die nassen Strähnen und steckte mein Handy in den BH. Wenn diese Frauen nicht einmal wussten, was ein normales Telefon war, was würden sie dann wohl erst von einem modernen Smartphone halten?
Als ich das Bad wieder verließ, hörte ich die beiden miteinander diskutieren. Rubina gestikulierte wild, während Grannie vergeblich versuchte, sie zu beruhigen. Es dauerte höchstens Sekunden, bis sie meine Anwesenheit bemerkten und Rubina verstummte.
„Da bist du ja!“ Freudestrahlend winkte Grannie mich zu sich. Ich zögerte. Am liebsten wäre ich direkt wieder umgedreht. Oder im Erdboden versunken.
„Na komm.“ Grannie lächelte ermutigend. „Setz dich zu uns. Wir beißen schon nicht.“
Sie vielleicht nicht, entgegnete ich in Gedanken, Aber bei Ihrer Enkelin wäre ich mir da nicht so sicher.
Ich brachte gerade noch ein schmales Lächeln zustande – eher das Aufblitzen eines Lächelns – als ich mich zu ihnen setzte. Rubinas Blick fühlte sich an wie ein Todesstrahl, mitten durch meinen Kopf hindurch.
„Du bist sicher hungrig, Schätzchen.“ Als wäre das hier nichts anderes als ein gemütliches Familientreffen, machte Grannie sich fast sofort an einer offenen Feuerstelle an der linken Wand zu schaffen. Im flackernden Licht der Holzscheite erkannte ich einen großen Kupferkessel, aus dem sie etwas Flüssiges, sicherlich Suppe, in eine Schüssel schöpfte.
„Das haben wir gleich“, hörte ich sie noch murmeln, dann kam sie auch schon mit einem Löffel und der Schüssel zurück, die sie vor mir abstellte. „Lass es dir schmecken, Kleines. Es ist noch mehr da.“
Einen kurzen Moment lang starrte ich in die Flammen unter dem Kupferkessel und fragte mich, ob Zeitreisen nicht doch real waren. Aber spätestens als der köstliche Duft der cremigen Suppe meine Nase erreichte und mein Magen in freudiger Erwartung ein leises Gurgeln von sich gab, waren meine Zweifel Nebensache. Die Suppe war köstlich, heiß und mit einem unglaublichen Geschmack nach Apfel und Zwiebel. Sofort breitete sich angenehme Wärme in mir aus. Eine Gänsehaut überlief meinen durchgefrorenen Körper.
„Danke.“ Erst, als die Schüssel bis auf den letzten Rest leer war, brachte ich wieder ein Wort hervor. „Das war wirklich köstlich.“
Grannie lachte. „Freut mich, dass es dir geschmeckt hat, Schätzchen.“
„Und jetzt, wo du satt bist, Schätzchen, kannst du uns ja auch endlich erzählen, was du bei diesem Gewitter mitten im Wald gesucht hast.“ Rubinas Tonfall troff nur so vor Angriffslust. Grannie zischte etwas in ihre Richtung, doch Rubina ignorierte sie. Erwartungsvoll bohrte sie ihren Blick stattdessen in mich.
„Ich … also das ist eine ziemlich lange Geschichte … Ich bin sicher, Sie wollen nicht …“
„Wir haben Zeit“, fiel Rubina mir ins Wort und blickte zum Fenster, „Das Gewitter zieht so schnell nicht mehr weiter.“
„Und sag doch bitte Du zu uns, Schätzchen“, fügte Grannie hinzu. Ich nickte bloß, während ich Rubinas Blick zum Fenster folgte. Draußen heulte der Sturm noch immer und dicke Regentropfen klatschten an die kleinen Fenster des Hauses. Rubina hatte recht. So schnell würde ich hier nicht mehr wegkommen.
„Also dann …“ Meine Finger spielten unruhig am Saum der Bluse, während ich krampfhaft überlegte, wo ich anfangen sollte.
„Ich war im Wald“, begann ich schließlich, „Und … als ich nach Hause wollte, kam ich in dieses Gewitter. Ich … habe mich wohl irgendwie verlaufen.“
Jetzt sahen mich sowohl Rubina als auch Grannie skeptisch an.
„Verlaufen, also“, wiederholte Rubina. Sie drehte eine ihrer mahagonibraunen Locken zwischen den Fingern. „Aber wenn du dich hier nicht auskennst, solltest du nicht allein durch den Wald streifen.“
Ich schüttelte den Kopf. „Ich war nicht … Ich meine, ich dachte, ich wäre nicht allein und den Weg kannte ich von –“
„Jemand