Mulaule. Rita Renate Schönig

Mulaule - Rita Renate Schönig


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nicht wirklich daran glaubte und er eigentlich auch nicht.

      „Allerdings denke ich, dass sie etwas vor uns verbergen will. Hast du gesehen, dass sie ganz fix, als wir in die Küche kamen, etwas in ihre Schürze steckte?“

      Lars nickte. „Was es war, konnte ich aber nicht sehen. Du glaubst aber doch nicht, dass sie ihren Mann ermordet hat?“

      „Für irgendwelche Annahmen ist es noch zu früh“, entgegnete Nicole. „Aber wenn … dann hatte sie einen Helfer. Einen über 1 Meter 70 großen und zirka 80 Kg schweren Mann aus einem Kofferraum zu heben und die Treppe am Turm hinunterzutragen, dazu braucht es schon einige Kraft. Frau Hagemann ist meines Erachtens etwas über 1 Meter 60 groß und dürfte zwischen 60 und 65 kg wiegen.“

      Nicole durchsuchte die – sie hatte es fast erwartet – nicht abgeschlossenen Schubladen des unter dem Schreibtisch stehenden Metallcontainers. Fand darin aber nur Kopierpapier und Farbpatronen für den Drucker, sowie Klarsichtfolien und allerlei andere Dinge für Büroarbeiten; alles sorgfältig sortiert und gestapelt.

      Sie drehte sich den Fotos an der Wand über der Biedermeierkommode zu. Ausnahmslos Aufnahmen von Vereinsveranstaltungen, vermutlich zu irgendwelchen feierlichen Anlässen. Nicht ein einziges Foto, auf dem Hagemann mit seiner Frau zu sehen war, geschweige denn eines von Daniel, seinem Sohn. Auch unten, im Wohnzimmer hatte Nicole keine Familienfotos gesehen.

      Inzwischen hatte Lars sich die, nach dem Alphabet im Regal einsortierten, Ordner vorgenommen. Wie schon auf den Ordnerrücken ersichtlich, handelte es sich um Unterlagen von Vereinen und Gesellschaften. Er blätterte gelangweilt darin herum und sagte: „Der Mann war äußerst penibel, was seine Ablage betrifft. Hätte genauso gut Finanzbeamter sein können.“

      „Die Spurensicherung fand vor Ort kein Handy und hier sehe ich auch keins. Bei all seinen Tätigkeiten musste er doch erreichbar sein.“

      „Fragen wir die Ehefrau“, schlug Lars vor, schnappte sich die inzwischen ausgebaute Festplatte und ging vor Nicole die Treppe hinab.

      „Ja, Heinz besaß ein iPhone“, bestätigte Maria Hagemann. „Das hatte es immer bei sich. Ebenso wie die Hausschlüssel und seine Brieftasche. Da war er sehr eigen. Wenn Sie es nicht gefunden haben, wird der Täter wohl alles an sich genommen haben. Oje, dann muss ich wohl sofort das Schloss austauschen lassen.“

      „Das wird das Beste sein, Frau Hagemann“, bestätigte Lars und wunderte sich erneut, wie die Frau in einer solchen Situation so logisch denken konnte.

      „Können Sie uns bitte die Nummer des Handys Ihres Mannes geben? Vielleicht haben wir Glück und wir können es orten.“

      „Auswendig weiß ich die nicht. Da müsste ich in meinem Notizbuch nachschauen. Einen Moment.“

      Erneut ging Maria Hagemann in den ersten Stock und kam nach kaum zwei Minuten wieder zurück.

      Die Sache mit Hagemanns Bekleidung schwirrte Nicole noch immer im Kopf herum. Jetzt wollte sie es wissen.

      „Hatte Ihr Mann, außer den Vereinsaufgaben noch andere Hobbys? War er vielleicht in einer Theatergruppe, oder hatte er etwas mit dem Heimatverein zu tun?“

      „Heinz?! Keinesfalls. Wieso fragen Sie?“

      „Nun, weil ..., weil Ihr Ehemann in der historischen Seligenstädter Tracht der Frauen gefunden wurde.“ Nicole zeigte das Foto auf ihrem Handy. „Können Sie sich das erklären?“

      Maria Hagemann schüttelte den Kopf, lachte dann hysterisch auf und bekam einen Hustenanfall. „Bitte, entschuldigen Sie. Aber, das ist ..., das ist absolut absurd.“

      „Besitzen Sie eine solche Tracht?“

      „Ja, sie hängt in einem Schrank auf dem Dachboden. Ich war schon seit Jahren nicht mehr dort oben. Sie glauben doch nicht, dass ...? Bitte, ich zeige sie Ihnen.“

      Auf dem Speicher angekommen, öffnete Maria Hagemann einen alten Kleiderschrank.

      „Das gibt es doch nicht. Sie ist nicht mehr da.“

      Sie blätterte durch die, auf Bügel hängende Kleidung. Danach bückte sie sich und durchwühlte auf dem Boden stehende Kartons.

      „Hier fehlen auch aussortierte Hosen und Pullover von Daniel, die ich zur Kleidersammlung bringen wollte, dann aber vergessen hatte, als er ... nachdem er fortgelaufen war.“

      Noch immer kniend drehte sie sich zu dem Kriminalbeamten um. „Was bedeutet das?“

      „Vermutlich handelt es sich um Ihre Tracht, in der ihr Ehemann gefunden wurde“, sagte Lars halblaut.

      „Um genau festzustellen, ob es sich tatsächlich um das gleiche Kleidungsstück handelt, benötigen wir von Ihnen eine DNS-Probe. Wenn Sie damit einverstanden sind, schicken wir einen Mitarbeiter der Kriminaltechnik vorbei.“

      Maria Hagemann nickte träge. Scheinbar in Gedanken stieg sie vor den Beamten die Treppen hinab.

      „Geben Sie mir bitte Bescheid, falls Ihnen neue Erkenntnisse vorliegen?“, sagte sie an der Haustür.

      Neue Erkenntnisse? Schon wieder diese Ausdrucksweise, wunderte sich Lars erneut.

      „Ja, sicher. Und, falls Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie uns bitte an.“

      Nicole reichte Maria Hagemann ihre Visitenkarte. „Ach, hätte ich fast vergessen. Welchen Wagen fährt Ihr Mann?“

      „Einen alten Citroën. Wieso? Der steht in der Garage.“

      Lars schüttelte den Kopf. „Die Garage ist offen, aber kein Auto weit und breit.“

      Maria Hagemann stürzte an den Beamten vorbei und aus dem Haus. „Das verstehe ich jetzt nicht. Heinz fuhr immer mit dem Fahrrad zu seinen Vereinsabenden. Aber sein Fahrrad steht hier, neben meinem.“

      „Wir veranlassen die Fahndung nach dem Wagen“, versprach Nicole. „Wenn Sie uns Modell und Kennzeichen geben?“

      Sobald die Beamten auf der Straße und aus Maria Hagemanns Blickfeld verschwunden waren, holte sie ihr Handy aus der Schürze.

      „Die Polizei war gerade hier“, tippte sie auf die Mailbox. „Sie sagten dein Vater ... Heinz wurde ermordet und er hätte meine Seligenstädter Tracht angehabt. Ich kann mir das nicht erklären. Sein Wagen und sein Handy sind auch weg. Die Polizei sucht jetzt danach. Ich verstehe das alles nicht. Du hast doch nichts damit zu tun, oder? Ruf mich bitte an oder schicke mir eine Nachricht, damit ich weiß, dass es dir gut geht.“

      Ihr Finger zitterte, als sie den roten Punkt auf dem Mobiltelefon drückte. In ihrem Kopf spielten sich die wirrsten Szenarien ab.

      Nein, ganz bestimmt hat er nichts damit zu tun. Wie unter Trance stehend räumte sie das unbenutzte Frühstücksgeschirr zurück in den Schrank und ging wieder in den Garten.

      Mittlerweile hatte sich die Sonne durch die Wolkendecke gedrückt. Es würde noch einmal ein schöner Tag werden.

      Bevor der Herbst endgültig Einzug hält, muss das Laub weg, dachte Maria Hagemann und machte sich wieder an die Arbeit.

      Mittwoch / 17:50 Uhr

      Die Aufnahme, ein Schnappschuss, von dem sie nicht einmal wusste, zeigte eine Frau, die viel Leid ertragen hatte. Sie war alt geworden. Falten rund um die Lippen und auf den Wangen, auf der Stirn. Alles nur wegen IHM.

      War es wirklich die richtige Entscheidung gewesen, damals?

      Die Frage wiederholte sich jeden Tag aufs Neue, ebenso wie der Traum, der fast jede Nacht wiederkehrte.

       Die Tür kracht gegen den Schrank. Wütend, mit hochrotem Kopf und Augen, aus denen Blitze schießen, steht er plötzlich im Zimmer. Schallende Ohrfeigen, die auf den Wangen brennen. Das Reißen des Stoffes, bis das Kleid in Fetzen auf dem Boden liegt. Er rafft es auf, wirft es aus dem Fenster in den Garten. Sie steht im Türrahmen, zitternd, leichenblass, zu


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