Mulaule. Rita Renate Schönig

Mulaule - Rita Renate Schönig


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bist du nicht alleine“, unterbrach ihn Harald. „Lars warf den Gedanken auch schon in den Raum.“

      „Ich meine“, fuhr Andy fort, „wenn ich mir vorstelle, dass mein Sohn, wenn ich einen hätte ...“

      „Was nicht ist, kann ja noch werden“, wurde er von Harald erneut unterbrochen.

      „Glaube ich kaum. Also, wenn mein Kind von einem auf den anderen Tag verschwinden würde, dann würde ich doch alle mir zur Verfügung stehenden Mitteln nutzen um die Suche voranzutreiben. Als Staatsanwalt hatte Hagemann doch mehr Möglichkeiten als ein Normalbürger. Aber die Suche wurde, nach nur wenigen Wochen eingestellt und wie es aussieht, ohne Widerspruch von Seiten der Hagemanns. Ich sage dir, in dieser Familie lief etwas absolut nicht rund.“

      Der schiefe Blick von Andy, erinnerte ihn stark an Nicoles Miene, wenn sie so ein Bauchgefühl hatte.

      „Wenn du so guckst, erinnerst du mich an Nicole“, sagte Harald dann auch prompt. „Ihr werdet euch immer ähnlicher.“

      „Schön“, erwiderte Andy. „Dann stimmt es was der Volksmund sagt; dass bei einer guten Partnerschaft manche Eigenheiten auf den jeweils anderen abfärben.“

      „So, sagt das der Volksmund?“ Haralds Mundwinkel zuckten. „Aber, ich denke du hast recht. Es könnte sein, dass Oliver seinem Freund geholfen hat und vielleicht Kleidung, Geld, et cetera irgendwo deponiert hatte.“

      Mittwoch / 17:00 Uhr

      „Guck mal“, Herbert griff in seine Jackentasche. „Ich hab dir e Handy mitgebracht. Is eins von meine alte und net es neueste Model. Damit kommst de aber erst mal über die Runde, bis die Elfi dir e neues kauft.“

      Neugierig kam Leon näher und betrachtete das Handy. „Cool. So eins habe ich neulich bei uns auf dem Trödelmarkt gesehen.“

      „Ich hab doch gesagt, es ist nicht das neueste Modell“, entgegnete Herbert mit leicht säuerlicher Miene.

      „Entschuldigung Herr Walter.“ Leon senkte den Kopf. „Ich wollte ihr Handy nicht schlecht reden. Haben Sie noch mehrere davon?“

      „So drei oder vier. Wieso?“ Augenblicklich erinnerte er sich an eine ähnliche Reaktion eines Jugendlichen vor einigen Jahren und lächelte. „Scheint wohl wieder hip zu sein?“

      „Was? Ach so ja. Sie meinen die Teile sind wieder gesucht“, erwiderte Leon.

      „Ich hab dir auch gleich a Telefonkarte eingesetzt und mit 20 Euro aufgelade“, wandte er sich Sepp zu. „Den Vertrag musste ich halt auf mich abschließe, sonst wär des net gegange, wege der Unterschrift.“

      Mit skeptischem Blick betrachtete Sepp das Mobiltelefon und dachte: Eischentlich schee vom Herbert, dass der sich so kimmert. Awer, des is aach so en Techniknarr. Vielleicht hot der do e Wanze oigebaut und kann heern, mit wem ich telefonier.

      Die Vorstellung, seine Gespräche könnten belauscht werden, verunsicherten ihn. Auf der anderen Seite wusste er nicht, wann Elfi wieder in der Stimmung wäre, ihm ein neues Telefon zu kaufen. Außerdem, wenn Leon das Handy schon cool befand, was sollte er dagegen haben?

      „Und, was sagst du?“, fragte Herbert nach.

      „Macht des aach Bilder? Des brauch isch unbedingt. Mir zwaa“, Sepp wedelte mit seinen bandagierten Fingern zwischen sich und seinem Enkel hin und her, „schicke uns dauernd Bilder und so was. Stimmt’s Leon?“

      Der nickte.

      „Klar, kannst de damit auch fotografieren“, bestätigte Herbert.

      Jetzt grinste Sepp zufrieden. „Du musst mir awer noch zeische, wie des funktioniert. Des soll ja bei jedem von dene Dinger annerster soi, gell Leon?“

      „Und ich hab schon gedacht, du traust mir net.“

      Listig schaute Herbert seinen Nachbarn an und Sepp zuckte, wie bei einem Dummen-Jungen-Streich erwischt, zusammen.

      „Nadirlich trau isch dir. Was glaabst de dann von mir?“

      Sepp nahm das Mobiltelefon entgegen, als sei es eine sakrale Reliquie, was vornehmlich aber seinen verbundenen Fingern geschuldet war.

      Mittwoch / 17:05 Uhr

      Im zweiten Kreisverkehr nach der Autobahnabfahrt bog Nicole rechts in die Straße, in der das Haus der Hagemanns stand und fand auch einen geeigneten Parkplatz. Heute wäre sie gerne noch einmal um den Block gefahren, um das Unvermeidliche für einige Minuten hinauszuschieben.

      Trotz all der Jahre, in denen sie schon öfter mit dieser unerfreulichen Aufgabe konfrontiert worden war, machte sich noch immer ein ungutes Gefühl in ihrer Magengegend breit.

      Wie würde die Witwe, die noch nicht wusste, dass sie ab sofort eine war, auf den plötzlichen Tod ihres Ehemanns reagieren?

      Ein stummer Zusammenbruch wäre das Schlimmste, was passieren konnte. Dann bestünde für Nicole und Lars erst einmal keine Chance, auf ihre dringlichen Fragen eine Antwort zu erhalten. Sie hätten lediglich eine unheilvolle Nachricht überbracht und müssten unverrichteter Dinge wieder abziehen.

      Oder aber ein kurzer heftiger Nervenzusammenbruch? Für ihre Ermittlungen wäre es jedenfalls hilfreicher. Nicole hatte festgestellt, dass insbesondere Frauen sich nach dem ersten Schock schnell wieder im Griff hatten; sich sogar für ihre außer Kontrolle geratene Emotion entschuldigten. Die anschließende Befragung war dann meistens erfolgreich.

      „Da ist wohl niemand zuhause.“ Lars zeigte auf die offenstehende Garage, in der kein Auto stand.

      „Vielleicht haben die Hagemanns überhaupt keinen Wagen und nutzen den Platz anderweitig; soll vorkommen“, widersprach Nicole. „Zumindest stehen dort zwei Fahrräder. Gehen wir’s an.“

      Das Haus, vermutlich in den Siebzigern erbaut, machte einen gepflegten Eindruck. Das Gras im Vorgarten war nach Wimbledon-Art kurz geschnitten und die Edeltanne stand exakt, kerzengerade zwischen den beiden Fenstern der Vorderfront.

      Ein kleines, bronzefarbenes Namensschild auf dem mit braungelben Klinkern versehenen Pfosten gab Auskunft darüber, dass hier Heinz und Maria Hagemann wohnten.

      Nicole setzte ihren Zeigefinger auf den Klingelknopf. Schrill bohrte sich das blecherne Geräusch in jeden Winkel im Haus. Dennoch summte weder ein Türöffner, noch ließ sich eine Menschenseele blicken. Ein erneuter Versuch blieb ebenfalls erfolglos.

      „Niemand zu Hause. Sagte ich doch.“ Lars machte Anstalten wieder zum Auto zurückzugehen.

      Dann aber hörten die Beamten ein Schaben und Kratzen. Nicole beugte sich über das niedrige Türchen der Einfriedigung aus silberfarbenem Metall und drückte den inneren Türgriff.

      „Ist das nicht widerrechtliches Betreten?“, fragte Lars mit in Falten gezogener Stirn.

      Kommentarlos ging Nicole weiter zu dem schmiedeeisernen Tor, das genau in die, im Halbrund gemauerte Umrahmung passte und den vorderen vom hinteren Teil des Grundstücks trennte.

      Wie sie feststellte, war dieses abgeschlossen, weshalb sie durch das Gitter blickte.

      Eine Frau mit kurzen grauen Haaren, häufte mit einem Rechen Blätter zusammen.

      „Hallo! Frau Hagemann?“, rief Nicole. „Bitte, nicht erschrecken. Wir sind von der Polizei. Können wir Sie einen Moment sprechen?“

      Die Frau hob den Kopf, drehte sich um und kam zügig auf die Beamten zu. „Polizei? Was wollen Sie hier und wie kommen Sie hier herein?“

      „Wir haben geklingelt, aber niemand hat geöffnet“, antwortete Lars.

      „Aha. Und dann kommen Sie einfach so, mir nichts dir nichts, auf unser Grundstück? Das ist Hausfriedensbruch; auch wenn Sie von der Polizei sind. Verschwinden Sie sofort oder ich rufe meinen Mann.“

      „Frau Hagemann.


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