Mulaule. Rita Renate Schönig

Mulaule - Rita Renate Schönig


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Humbug gewesen wäre. Stattdessen sagte er: „Können wir uns vielleicht, ohne diese Tür zwischen uns, unterhalten?“

      Frau Hagemann taxierte die Kriminalbeamten noch einmal mit einem skeptischen Blick, öffnete aber dann die Gartentür mit einem Schlüssel, den sie aus ihrer Schürze holte.

      „Kommen Sie.“ Sie ging voraus zur Terrasse. „Ich will sehen, wo mein Mann ist. Bitte.“

      Ihre Geste deutete an, die Ermittler möchten auf den Gartenmöbeln Platz nehmen.

      „Frau Hagemann ...“

      Nicole fasste Lars am Ärmel und schüttelte den Kopf.

      „Heinz!“ Maria Hagemann verschwand im Inneren des Hauses. Ihr Rufen wie auch ihre Schritte verrieten, dass sie in den oberen Stock ging. Nach kurzer Zeit kam sie zurück und sah die Beamten ungläubig an.

      „Er ist nicht hier. Mein Mann ist nicht hier. Ich dachte, er liegt noch im Bett, was an und für sich schon ungewöhnlich wäre, denn er ist ein Frühaufsteher. Aber sein Bett ist unberührt.“

      Frau Hagemann eilte in die Küche. „Genauso wie sein Frühstück. Ich verstehe das nicht.“

      Nicole und Lars folgten ihr und registrierten, wie sie hastig etwas vom Tisch nahm und in der Tasche ihrer Schürze verschwinden ließ.

      „Wie kommt es, dass Sie die Abwesenheit Ihres Mannes nicht bemerkt haben?“, erkundigte sich Lars.

      „Ach wissen Sie, mein Mann ist fast jeden Abend bei irgendeiner Versammlung, in einem seiner vielen Vereine, in denen er tätig ist und kommt entsprechend spät heim. Wir haben deshalb getrennte Zimmer“, fügte Maria Hagemann hastig hinzu.

      „Dann haben Sie Ihren Ehemann also gestern Abend zum letzten Mal gesehen?“, fragte Nicole.

      „Eh was? Nein. Eigentlich gestern beim Mittagessen. Danach ist er weggefahren. Ich weiß nicht wann er zurückgekommen ist. Ich war in meinem Zimmer. Das geht zum Garten hinaus. Außer der Klingel höre ich da nichts.“

      „Beim Abendessen haben Sie Ihren Mann nicht vermisst?“, forschte Nicole weiter.

      „Abends isst Heinz immer auswärts, mit irgendwelchen Leuten aus seinen Vereinen.“

      „Bei welchem Verein oder Versammlung war Ihr Mann gestern?“

      „Ach, was weiß ich denn? Ich frage schon lange nicht mehr nach. Vielleicht liegt sein Terminkalender oben auf dem Schreibtisch, falls er ihn nicht mitgenommen hat.“

      Die Gleichgültigkeit in der Stimme der Frau war für die Beamten nicht zu überhören.

      Doch plötzlich fragte sie: „Ist etwas passiert? Ja, sicher ist etwas passiert, sonst wären Sie nicht hier.“

      Nicole holte tief Luft. „Frau Hagemann. Ihr Mann wurde heute Morgen tot aufgefunden. Wir können ein Gewaltverbrechen nicht ganz ausschließen.“

      Weder brach die Frau in Tränen aus, noch schrie sie auf. Sie sank lediglich auf einen Küchenstuhl, griff dann nach der Tasse, die offenkundig für ihren Mann dort stand und schenkte sich, aus der bereitstehenden Thermoskanne, Kaffee ein.

      „Möchten Sie auch?“, richtete sie mechanisch die Frage an die Kriminalbeamten.

      „Nein, danke“, sagte Nicole und setzte sich ebenfalls an den Tisch.

      „Ihr Mann wurde am ehemaligen Wehrturm am Mainufer gefunden, in Höhe der Hospitalstraße.“

      Die merkwürdige Bekleidung erwähnte sie erst einmal nicht. „Wissen Sie, was er dort wollte?“

      „An der Mulaule? Warum dort?“ Zuerst schüttelte Maria Hagemann den Kopf, dann traf die Beamten ein leerer Blick. Anschließend trat Stille ein.

      „Frau Hagemann. Sie erwähnten gerade einen Terminkalender.“

      „Ja, natürlich.“ Es kam wieder Leben in die Frau. „Kommen Sie.“

      Nicole und Lars folgten ihr die Treppe in den ersten Stock hinauf, in das Büro ihres Mannes.

      Hatten die Kommissare eine verstaubte, aus den Siebzigern stammende Möblierung wie im Untergeschoss erwartet, so wurden sie enttäuscht. Der gesamte Raum bestand zum Großteil aus Regalen und Schränken aus einem bekannten schwedischen Möbelhaus. Nur eine Vitrine im Biedermeierstil, in der, dem Anschein nach, wertvolle Bücher aufbewahrt wurden, zierte eine Seitenwand.

      Frau Hagemann ging schnurstracks auf den Schreibtisch zu, auf dem ein großer PC-Bildschirm fast den gesamten Platz einnahm. Auf der restlichen Fläche lagen streng nebeneinander Block, Stifte, ein Locher und eine Heftmaschine und besagter Terminkalender.

      Ohne selbst einen Blick hineinzuwerfen, reichte sie ihn an Nicole weiter.

      Am Dienstag, dem 17. Oktober 2017, waren insgesamt drei Termine, in sorgsamer, gut lesbarer Handschrift eingetragen.

       10:30 Uhr – Bank

       16:00 Uhr – O. K.

       19:00 Uhr – Golf Klub

      „Hier steht, Ihr Mann hatte gestern Morgen einen Termin bei der Bank. Wissen Sie, um was es da ging?“

      Maria Hagemann schüttelte den Kopf. „Um die Bankgeschäfte kümmerte sich Heinz immer selber.“

      „Was bedeutet O. K.?“, richtete Nicole erneut die Frage an die jetzige Witwe und deutete auf den Eintrag.

      Die zuckte mit den Schultern und machte auch sonst nicht den Eindruck, als würde es sie interessieren, womit ihr Ehemann sich die Zeit vertrieb.

      Wenn Hagemann zwischen 17 und 20 Uhr nicht mehr am Leben war, konnte er den letzten Termin, 19 Uhr im Golf Klub, nicht wahrgenommen haben. Wohl aber den um 16 Uhr mit O. K., überlegte Nicole.

      „Hatte Ihr Ehemann Feinde?“, fragte sie geradeheraus.

      Frau Hagemann gab einen undefinierbaren Ton – es hörte sich beinahe wie ein Lachen an, aber auch wieder nicht – von sich.

      „In der Zeitung steht, Ihr Mann sollte den Bundesverdienstorden erhalten. Könnte es sein, dass ihm jemand diese Auszeichnung neidet? Ich meine, ist vielleicht irgendwer dagegen?“

      Zum ersten Mal zeigte Maria Hagemann eine emotionale wenn auch nur kurze, Regung. Sie umklammerte die Schreibtischkante so stark, dass ihre Handknöchel weiß wurden, und starrte sekundenlang stumm aus dem Fenster, das zur Straßenseite hinausging.

      Dann drehte sie sich zu den Beamten um und sagte mit fester Stimme: „Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht helfen. Mein Ehemann und ich hatten nicht mehr viele Gemeinsamkeiten, im letzten ... in letzter Zeit. Deshalb weiß ich auch nicht, ob er Neider hatte oder, wie Sie es ausdrücken wollen ... ihm irgendjemand die Auszeichnung missgönnte. Am besten fragen Sie die Leute, mit denen er ständig beisammen war. Die Adressen dürften auch in dem Buch stehen. Nehmen Sie es gerne mit.“

      Das ließ sich Nicole nicht zweimal sagen und steckte den Terminkalender in ihre Handtasche.

      „Den Computer brauchen Sie doch bestimmt auch?“

      „Eh ... ja, danke, Frau Hagemann“, erwiderte Lars. „Die Festplatte des Rechners würde uns schon genügen.“

      „Obwohl Heinz nie wirklich über seine Arbeit geredet hat, kenn ich mich ein bisschen in der Polizeiarbeit aus“, erklärte Maria Hagemann, als sie Lars‘ überraschten Gesichtsausdruck sah. „Und ja, gewiss waren ihm damals nicht alle wohl gesonnen. Hauptsächlich die, die er für lange Zeit ins Gefängnis brachte; was nicht verwunderlich ist, oder?“

      Die Frau lachte freundlos auf. „Aber, das ist schon so lange her. Wieso sollte jetzt ...?“ Dann machte sie eine einladende Handbewegung. „Schauen Sie sich ruhig hier um. Falls Sie doch noch einen Kaffee möchten … ich bin unten.“ Sie ging aus dem Zimmer und zog leise die Tür hinter sich zu.

      „Ich hätte ja alles erwartet“, sagte Nicole,


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