Mulaule. Rita Renate Schönig

Mulaule - Rita Renate Schönig


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Harald betätigte eine Kurzwahltaste seines Handys.

      Mittwoch / 15:10 Uhr

      Als Herbert an diesem Tag erneut am Haus von Sepp ankam, hörte er schon auf dem Weg zur Haustür eine lautstarke Auseinandersetzung. Hauptsächlich vernahm er Elfis Stimme, die zwischen Wut und den Tränen nahe hin und her schwang. Sie schien mit ihren Nerven am Ende.

      Durch das immer offene Gartentor eilte Herbert zur Terrasse und betrat die Küche durch die Terrassentür.

      „Tach“, sagte er kurz. „Mein Gott, was is en hier los? Mer hört euch ja bis zum Marktplatz.“

      Sepp saß am Küchentisch und schaute mit hochrotem Kopf auf. Auf seinem Gesicht zeigten sich Scham aber auch Trotz. Elfi stand zitternd, ebenfalls mit rot glühenden Wangen, vor ihm.

      „Gut, dass du kommst. Ich weiß nicht mehr weiter.“

      Zur Unterstreichung ihrer Hilflosigkeit schwang sie die Arme in die Luft.

      „Was is en los? Ich wollt eigentlich nur ...“

      „Heute Morgen verliert er sein Handy“, fiel Elfi Herbert ins Wort, „und dann das.“

      Er folgte ihrer Kopfbewegung zu der zerstörten Telefonstation, die Sepp krampfartig in seinen Händen hielt, als wolle er sie nie mehr wieder loslassen.

      „Es wird jeden Tag schlimmer. Keine Minute kann man ihn alleine lassen, ohne dass er Unsinn macht.“

      „Is mir halt runnergefalle“, brummelte Sepp Richter vor sich hin und senkte wieder seinen Kopf. „Kann doch mal passiern. Isch wollt des ja aach widder zusammeklewe.“

      Elfi schnaufte. „Aber doch nicht mit Sekundenkleber! Bist du von allen guten Geistern verlassen?“

      „Was?“, rief Herbert, gleichermaßen fassungslos. „Du hast des Telefon mit Sekundekleber zusammeklebe wolle?“

      „Hot ja aach geklappt. Nur moi Finger babbe do jetzt aach dro“, antwortete Sepp kleinlaut.

      „Ich habe den Notarzt verständigt“, seufzte seine Tochter. „Die müssten jeden Moment eintreffen. Ich wollte nicht so mit dem Vadder vor die Tür, wegen der Nachbarschaft.“

      Herbert wusste genau, wer mit Nachbarschaft gemeint war, vermutete aber, dass ein Krankenwagen, direkt vor dem Haus, die Gleiche die Aufmerksamkeit erregen würde.

      In diesem Augenblick klingelte es und Elfi eilte an die Haustür. Nach einem kurzen Stimmengemurmel betraten zwei stämmige Sanitäter die Küche.

      „Guten Tag Herr Richter. Na, dann wollen wir mal“, äußerte der Kleinere.

      „Auch wenn Sie sehr an Ihrem Telefon hängen“, sagte der andere. „Jetzt müssen Sie loslassen. Wir gehen auch ganz behutsam vor. Tut kaum weh.“

      Erschrocken sah Sepp zu den beiden auf. Den Blick würde Herbert so schnell nicht wieder vergessen und Sepp, so hoffte er, nicht die Angst, die ihm im Gesicht abzulesen war.

      Nach einer Viertelstunde und etlichen Schweißperlen auf Sepps Stirn war die Prozedur überstanden.

      „So, Herr Richter. Jetzt haben Sie es geschafft. Hat doch gar nicht wehgetan, oder?“, äußerte der Größere.

      Ohne eine Antwort von Sepp abzuwarten fuhr er fort: „Die Verbände sollten Sie aber in spätestens zwei Tagen erneuern lassen. Am besten Sie kommen zu uns ins Krankenhaus. Dann haben wir vielleicht auch ihr Handy aus dem Pool gefischt. Allerdings mit der Wassergymnastik wird das die nächsten Tage nichts.“

      „Des muss aach net soi“, brummelte Sepp und seine Tochter begleitete die Sanitäter hinaus.

      „Du hast ihr net erzählt, dass des mit dem Telefon die andere zwei warn?“, fragte Herbert.

      „So wie die druff is, tät die dene bestimmt Hausverbot erteile. Und du sechst aach nix. Dass mer uns do verstehe!“

      „Schön, dass ihr euch wenigstens versteht“, sagte Elfi, zurück in der Küche. Zum gefühlten zehnten Mal seufzte sie. „Ich verstehe nichts mehr, und will auch nichts mehr verstehe. Zum Glück kommt der Leon so in einer Stunde. Der Bub ist mit seinen 12 Jahren wesentlich vernünftiger, als du mit deinen 92.“

      „Was, der kommt heut schon?“, fragte Sepp.

      „Ja. Wieso passt dir das nicht?“

      „Was soll des jetzt widder heiße? Nadirlich passt mir des. Isch bin immer froh, wenn der Bub kimmt. Warum host de mir des net gesacht?“

      „Wollte ich vorhin. Aber, deine Bastelei kam dazwischen.“ Elfi blitzte ihren Vater gereizt an.

      „In seiner Schule ist ein Darmvirus im Umlauf“, wandte sie sich Herbert zu. „Und weil sowieso bald die Herbstferien beginnen, hat die Schulleitung alle Kinder, die noch nicht betroffen sind, freigestellt. Nur, Leons Eltern müssen diese Woche noch arbeiten. Deshalb bleibt er die nächsten Tage bei uns.“

      „Isch hab Schmerze. Isch brauch a Tablette“, murmelte Sepp und schielte zu seiner Tochter.

      „Ich auch. Ich habe Kopfschmerzen“, entgegnete sie und stapfte ins obere Stockwerk.

      „Du machst aber auch Sache“, sagte Herbert.

      „Du jetzt net aach noch. Isch hab’s ja kapiert. Des war bleed.“

      „Des war net nur blöd; des war saublöd.Wo sind eigentlich die Gundel und der Schorsch?“

      „Die hawe sich gleich aus em Staub gemacht, nachdem isch do festgebabbt war. Dene werd isch ebbes verzählte, wenn die sisch widder blicke losse; des kannst de mer glawe.“

      Mittwoch / 16:05 Uhr

      Lars hatte soeben begonnen einige der Aufnahmen vom Fundort der Leiche an die Glaswand, die ihre Büros voneinander trennte, anzubringen, als sein Handy vibrierte.

      Er hastete zu seinem Schreibtisch und konnte gerade noch verhindern, dass das Telefon, das er mal wieder achtlos zu nahe an den Rand der Tischkante gelegt hatte, die Schwerkraft ausprobieren konnte.

      „Hi, Harry. Na gut amüsiert, bei den Leichenfledderern?“

      „Ja, doch, war recht unterhaltsam“, ging Harald auf die flapsige Bemerkung seines Kollegen ein, konnte sich aber im letzten Moment zurückhalten, den misslungenen Auftritt des jungen Staatsanwalts preiszugeben. Stattdessen informierte er Lars über die noch nicht allzu spektakulären Erkenntnisse der Obduktion.

      „Nicht gerade viel“, kommentierte der dann ebenso prompt. „Aber, auch bei mir ist nichts Neues zu vermelden.“

      „Ich setze mich noch mit der Polizeidienststelle in Seligenstadt in Verbindung“, sagte Harald. „Vielleicht gibt es dort neue Erkenntnisse. Wir kommen so in etwa einer oder eineinhalb Stunden zurück.“

      „Aha. Und, was treibt ihr solange, während ich hier schufte?“

      „Wir gehen jetzt einen Kaffee trinken. Also bis später.“

      Bevor sein Kollege noch irgendeine Bemerkung loslassen konnte, hatte Harald das Gespräch beendet.

      „Kaffeetrinken? Dann werde ich mir auch einen Wachmacher holen“, murmelte Lars vor sich hin, verließ das Büro und rannte, immer zwei Treppenstufen auf einmal nehmend in die Kantine.

      Dort angekommen, schnappte er sich am Eingang eine Tageszeitung, zwinkerte der charmanten Bedienung hinter dem Tresen zu und bestellte einen doppelten Espresso. Beim Anblick der leckeren Schinkenbrötchen, mit einem Klecks Fleischsalat versehen, knurrte sein Magen und erinnerte ihn an das verpasste Mittagessen. Also orderte er auch noch zwei Brötchen und setzte sich an einen Fensterplatz.

      Lars hatte die Angewohnheit, eine Zeitung zuerst von hinten nach vorne durchzublättern. Deswegen fiel ihm der Bericht über die bevorstehende Verleihung des


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