Mulaule. Rita Renate Schönig

Mulaule - Rita Renate Schönig


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eingelassen war.

      Wie die Bank zu dem kuriosen Namen kam, erfuhren er und seine Lebenspartnerin Marion Haus von Polizeihauptkommissar Josef Maier, während einer persönlichen Stadtführung.

      Nach der Überlieferung warteten in früheren Zeiten, die älteren Fischersleute auf der Bank auf die Rückkehr ihrer Söhne und deren Ausbeute. Dabei erzählten sie ihre ganz eigenen Fang-Geschichten und schmückten diese natürlich aus; bedeutete – es wurde kräftig Fischerlatein gesponnen – also enorm geflunkert.

      Selbstverständlich, so versicherte Josef Maier damals zwinkernd, darf dort auch heute immer noch ungestraft gelogen werden. Der Spruch über der Bank lädt ja gerade dazu ein.

       Hier kannst du lügen, bis sich die Balken biegen

      Ein klein wenig abgeändert würde sich der Satz gut in unseren Verhörräumen machen, überlegte Harald ironisch und fuhr weiter auf dem asphaltierten Mainuferweg zum Fundort der Leiche.

      „Unsere Kollegen sind schon fleißig bei der Arbeit“, stellte Nicole fest, als sie sich näherten.

      Die beiden Fahrzeuge der Kriminaltechniker parkten auf dem befestigten Weg, direkt neben die Streifenwagen der Seligenstädter Polizei.

      „Stell dich hinter die Polizeifahrzeuge“, schlug sie vor. „Man kann nie wissen, wie feucht der Untergrund der Wiese tatsächlich ist. Es wäre ein gefundenes Fressen für unsere Kollegen, wenn wir da nicht mehr rauskämen.“

      Gleichzeitig machte Nicole Lars, der direkt hinter ihnen fuhr, ein Zeichen, damit er ebenfalls auf dem Asphalt bleiben sollte – aber zu spät. Er hatte einen neuen Ford Focus ergattert und rollte gerade auf die Mainauen.

      Das Gebiet rund um den Turm war durch ein Plastikband abgesperrt. Ebenso die seitlich entlangführende Treppe und der größte Teil der oberen linksseitig angrenzenden Altstadtmauer.

      Am Fundort nahmen die Kollegen der Spurensicherung, zusätzlich zu den Aufnahmen mit ihren Spezialkameras, nach althergebrachter Methode, die Abdrücke der Schuhspuren, mithilfe von flüssigem Kunststoff.

      Auf dem restlichen Teilstück, oberhalb der Mauer, drängten sich zahlreiche Schaulustige, die die Polizeiaktion mit ihren Handys filmten. Ein Vertreter der Presse witterte ebenfalls eine Sensationsstory und hielt seine Profikamera direkt auf die Beamten.

      „Frau Wegener. Hallo, Harald.“ Josef Maier, der Leiter der Seligenstädter Polizeidienststelle, kam auf die Kriminalkommissare zu. „Man glaubt es nicht, schon wieder ein Mord in unserem schönen Städtchen.“

      Nicole und Harald nickten grüßend und Lars, der jetzt hinzukam, reichte Maier die Hand. „Josef.“

      „Wo genau wurde die Tote gefunden?“, fragte die Kriminalbeamtin.

      „Dort oben, direkt an der Ecke des Turms.“ Der Polizeihauptkommissar deutete auf die Stelle zwischen einem mit Graffiti-Tags beschmierten Trafohäuschen und dem Turm. „Er wurde vor etwa 20 Minuten ins Rechtsmedizinische Institut gebracht.“

      „Ja, die Kollegen vom Dauerdienst haben mich unterrichtet“, bestätigte Nicole. „Weiß man schon etwas über die Todesursache?“

      „Äußere Anzeichen eines gewaltsamen Todes konnte der Notarzt, nach der ersten Beschauung, nicht feststellen. Heißt … keine Strangulations- oder Würgemerkmale und auch keine Einstichwunden. Allerdings zeigten sich erste Todesflecken an den Armen. Demnach könnte das Opfer hierher transportiert worden sein. Dort hinten befindet sich ein Anwohnerparkplatz. Wie ihr seht, haben wir das Gelände ebenfalls weiträumig abgesperrt.“

      Maier schaute in die Runde. Letztlich blieb sein Blick an Nicole hängen.

      „Meiner bescheidenen Meinung nach denke ich, dass der Fundort nicht der Tatort ist. Selbst bei uns würde es auffallen, wenn ein Mann, in der Tracht einer Frau durch die Straßen spaziert.“

      „Habe ich was an den Ohren, oder hast du gerade von einem Mann gesprochen?“, fragte Harald.

      Der Dienststellenleiter nickte. „Ja, ein Mann in der Seligenstädter Tracht der Frauen, sagte ich. Wurde euch das nicht mitgeteilt?“

      „Nein. Das wussten wir noch nicht.“ Nicoles Stimme war anzumerken, dass sie über die mangelhafte Information seitens des Kollegen vom Kriminaldauerdienst ganz und gar nicht erfreut war.

      „Das ist allerdings eine Überraschung“, murmelte Harald und dachte gleichzeitig: Das gibt Ärger.

      „Ich höre mal, was die Kollegen der Spurensicherung für uns haben“, verkündete Lars und enteilte mit langen Schritten der zunehmend eisigen Atmosphäre.

      „Oh. Da ist wohl etwas schiefgegangen“, äußerte Maier „Tut mir leid, hätte ich Ihnen gleich ...“

      „Ist nicht Ihre Schuld“, presste Nicole über ihre Lippen. Das wird ein Nachspiel haben, liebe Kollegen, setzte sie gedanklich nach.

      „Es handelt sich um einen etwa 70-jährigen Mann. Bedauerlicherweise hatte er keinen Ausweis oder sonstige Papiere bei sich, anhand dessen wir ihn hätten identifizieren können; auch kein Handy oder sonstige persönliche Dinge.“

      Der Leiter der Polizeistation Seligenstadt schaute einen Augenblick, in Gedanken versunken, über die Mainauen und sagte: „Ich denke, der Mann wurde hier bewusst hingelegt, sozusagen zur Schau gestellt. Ich meine ... die Seligenstädter Tracht, sogar die passende Perücke hatte er auf und dann noch die besonders auffällige Schminke. Sehr merkwürdig, das Ganze.“

      „Wo bekommt man denn eine solche Tracht her?“, wollte Nicole wissen. „Hat die jedes Mitglied des Trachtenvereins zu Hause im Schrank?“

      „Einen Trachtenverein gibt es hier nicht, wohl aber einem Heimatverein, dessen Mitglieder bei Veranstaltungen ihre Tracht zur Schau tragen“, antwortete Maier. „Aber, das wissen Sie ja bereits. Und ja, manch einer wird wohl schon seine eigene Tracht im Schrank hängen haben. Die meisten Kostüme werden im Fundus des Heimatvereins aufbewahrt – schon wegen der fachgerechten Lagerung. Damit, wenn sie alle paar Jahre benötigt werden, in gutem Zustand sind.“

      „Wer betreut diesen Fundus?“

      „Kann ich Ihnen auf Anhieb nicht sagen. Ich lasse Ihnen Namen und Adresse raussuchen.“

      „Gut. Wer hat die Leiche gefunden?“

      „Ferdinand Roth. Sie erinnern sich ... letztes Jahr? Das Ehepaar aus dem Klosterhof? Ferdinand Roth und seine Frau Bettina? Sie waren kurzzeitig des Einbruchs in die Klosterapotheke verdächtig und des Mordes an Sebastian König, der in den Mühlrädern zu Tode gekommen war.“

      Nicole brauchte keine zwei Sekunden, um sich den Fall erneut vor Augen zu führen.

      In wenigen Sätzen gab Josef Maier die Aussage Ferdinand Roths wieder.

      „Demnach hat er den Fundort verunreinigt?“, stellte die Kriminalbeamtin verärgert fest.

      „Er versicherte mir, dass er wirklich sehr vorsichtig zugange gewesen sei. Außer natürlich, dass seine Schuhabdrücke bei der Leiche zu finden sind.“

      „Weshalb rief er nicht gleich die Polizei?“

      „Er hatte sein Handy zu Hause gelassen.“

      Nicole sah zu den Häusern hoch. „Was ist mit den Bewohnern? Hat irgendwer etwas gesehen oder gehört?“

      „Meine Mitarbeiter befragen gerade die Nachbarschaft. Nach Aussage des Notarztes ist der Mann seit ungefähr ...“ Josef Maier schaute auf eine Armbanduhr, „18 Stunden tot, plus minus eine oder zwei Stunden.“

      „Also schon gestern am späten Nachmittag, zwischen 17 und 18 Uhr“, rechnete Nicole flugs nach. „Demnach könnten Sie mit Ihrer Annahme recht haben und der Tote wurde irgendwann in der Nacht hierher transportiert. Stellt sich die nächste Frage … wo war er in der Zwischenzeit?“

      Lars kam die Treppe am Turm herab. „Die KTU fand Schuhabdrücke im feuchten Erdreich, rund um den


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