Mulaule. Rita Renate Schönig

Mulaule - Rita Renate Schönig


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/ 15:00 Uhr

      „Hallo Martin“, grüßte Nicole den Leiter der Rechtsmedizin. Seinen Kollegen, darunter auch Victor Laskovic, nickte sie zu.

      Harald hob die Hand zum Gruß.

      „Die Staatsanwaltschaft lässt mal wieder auf sich warten“, sagte Dr. Lindner mit einem Stirnrunzeln in Richtung der großen Uhr an der Wand über dem Eingang. „Ich würde vorschlagen, wir fangen schon mal an. Ich habe mittlerweile noch zwei weitere Kunden, die meine Aufmerksamkeit wollen.“

      Er zeigte zum Nebenraum mit den Kälteboxen. Dann schaltete er das Aufnahmegerät ein und schlug die Plane zur Hälfte über dem Toten zurück, der vor ihnen auf dem kalten Stahltisch lag.

      „Es handelt sich um einen etwa 70 Jahre alten Mann, mit einer Körpergröße von 1 Meter 70 bei einem Gewicht von 82 Kg. Der Leichnam ist in einem, für sein Alter, guten Allgemeinzustand. Der Tod trat zwischen 17 und 20 Uhr am Dienstagabend ein. Wegen fehlender Personalien wurde eine Identifizierung anhand des Zahnapparates angeordnet.

      Der Mann war, bis auf die Schuhe, mit einer Frauentracht bekleidet, inklusiv Perücke. Bei der Schminke handelt es sich um Theaterschminke. Die Farbe auf den Lippen des Toten passt farblich zu dem von Frau Wegener aufgefunden Lippenstift.“ Dr. Lindner lächelte Nicole kurz zu. „Eine DNS-Analyse ist veranlasst.“

      Durch ein Kopfnicken gab er seinem Kollegen, Viktor Laskovic zu verstehen, mit der Leichenöffnung zu beginnen und Nicole und Harald atmeten gleichzeitig noch einmal tief durch. Es half ja nichts. Mindestens ein ermittelnder Beamter musste der Obduktion beiwohnen; so lautete die Vorschrift.

      Viktor Laskovic hatte den sogenannten Ypsilon-Schnitt noch nicht ganz ausgeführt, da stürmte ein circa 30-jähriger Mann, in einem feinen Zwirn, wie Harald sofort mit Kennerblick feststellte, durch die Tür.

      „Guten Tag. Entschuldigung die Verspätung. Ich bin der Neue, eh ... ich meine der neue Staatsanwalt. Felix Heller, mein Name. Ich komme in Vertretung von Staatsanwalt Falk von Lindenstein. Er ist leider verhindert.“

      Und ein Abbild von Lindensteins, ging es Harald durch den Kopf. Nur jünger.

      „Warum tragen Sie keinen Schutzanzug?“, wurde er vom Doc angeblafft. „Sofort raus mit Ihnen.“

      Erschrocken schaute der Mann in die Runde.

      „Harald Weinert“, stellte Harald sich vor. „Meine Kollegin Nicole Wegener vom K11 in Offenbach. Kommen Sie mit.“

      Der Kriminalhauptkommissar führte Felix Heller auf den Flur, wo er auf ein Regal zeigte, in dem weiße Schutzanzüge lagerten. „In der Beziehung versteht der Doc keinen Spaß.“

      Wieder zurück im Sektionsraum, wurde der junge Staatsanwalt einem Ganzkörperscan seitens des Rechtsmediziners unterzogen und, als dieser zu dessen Zufriedenheit ausfiel, an den Sektionstisch gewunken.

      „Das sind Dr. Martin Lindner, Leiter der Gerichtsmedizin und sein Kollege, Dr. Viktor Laskovic“, setzte Harald die Vorstellung der Anwesenden fort. „Unser Vorgesetzter, Dr. Ludwig Lechner, lässt sich ebenfalls, wegen dringender Termine, entschuldigen.“

      „Ich habe schon gehört, dass Herr von Lindenstein Unterstützung erhalten soll“, äußerte Nicole lächelnd. „Ich hätte nur nicht gedacht, dass er Sie gleich ins kalte Wasser werfen würde.“

      „Na dann wollen wir mal keine Zeit mehr verlieren“, beendete Viktor Laskovic die Plauderei und setzte erneut das Skalpell an.

      Nach und nach entnahm er dem Toten die Organe, legte sie auf eine Waage und dokumentierte seine Arbeit mit den entsprechenden Informationen. Währenddessen richtete der Doc seine Aufmerksamkeit dem Schädel des Verstorbenen zu.

      Besonders glücklich sah Felix Heller nicht gerade aus, auch wenn die Bedeutung seines Vornamens etwas anderes aussagte. Die Kriminalbeamten ahnten, was gleich passieren würde … und sollten recht behalten.

      Nach dem Einsetzen der elektrischen Säge nahm das Gesicht des Staatsanwalts eine ungesunde Blässe an, dann wurde er leichenblass, im wahrsten Sinne des Wortes.

      „Raus!“, dröhnte die Stimme des Doc durch den Raum. „Ich will hier keine Verunreinigung meines Arbeitsplatzes.“

      Felix Heller drehte sich auf dem Absatz um, eine Hand auf seinen Mund gepresst und eilte noch schneller hinaus, als er vor einigen Minuten hereingestürmt war.

      „Mann, Mann, Mann, was ist mit der heutigen Jugend los?“, brummte der Doc verärgert.

      Eine knappe Stunde später verließen die Kriminalkommissare die Sektionsräume. Auf dem Weg zu ihrem Fahrzeug atmeten sie erst einmal durch.

      Die Luft an der dicht befahrenen Straße in der Kennedyallee war zwar auch nicht die beste, aber belebender, als die formaldehydgeschwängerte im Keller der Rechtsmedizin.

      Felix Heller, noch immer einen Grünstich im Gesicht, lehnte an seinem schwarzen Audi A4 Sportline.

      Wie kann sich ein so junger Staatsdiener einen solchen Wagen leisten, fragte sich Nicole stirnrunzelnd.

      Als hätte Felix Heller ihre Gedanken gelesen, sagte er: „War ein Geschenk von meinem Vater; sozusagen zum Karrierestart. Den habe ich jetzt aber mächtig vermasselt.“ Er lachte gequält.

      „Es tut mir leid, dass ich mich derart blöd benommen habe. Das war ganz und gar unprofessionell. Ich hoffe, es bleibt bei diesem einen Ausrutscher. Ansonsten werde ich den Beruf wechseln müssen.“

      „Sie haben es erfasst“, erwiderte Harald auch sogleich. Setzte aber sofort nach. „War nur Spaß. Ist jedem von uns am Anfang so gegangen.“

      „Dennoch war es fies von Herrn von Lindenstein“, sagte Nicole. „Ich werde mal ein ernstes Wörtchen mit ihm reden müssen.“

      „Oh, bitte nicht.“ Felix Heller hob abwehrend beide Arme. „Womöglich informiert Herr von Lindenstein geradewegs meinen Vater und das möchte ich ganz und gar nicht.“

      Sein beinahe flehender Blick richtete sich auf die Kriminalbeamten.

      „Dann mache ich Ihnen ein Angebot, das Sie nicht ablehnen können“, erwiderte Nicole.

      Die unausgesprochene Frage – was kommt jetzt? – stand Felix Heller im Gesicht geschrieben, während Harald innerlich grinste.

      „Ich könnte einen starken Kaffee vertragen und Sie laden uns dazu ein, Herr Heller. Ich kenne ein nettes Café, ganz in der Nähe. Dabei informieren wir Sie darüber was die Obduktion ergeben hat. So erfährt niemand von Ihrem ... Ausrutscher.“

      Felix Heller sah auf seine Armbanduhr, eine Rolex der oberen Preisklasse. „15 Uhr 55“, murmelte er und nickte. „Das lässt sich machen. Aber nur unter der Bedingung, dass ein Cappuccino nicht als Bestechung ausgelegt wird?“

      Die Farbe war in sein Gesicht zurückgekehrt und er lächelte unbeholfen.

      „Jetzt hat er kapiert, wie der Hase hier läuft“, sagte Harald lächelnd. „Ich rufe nur noch schnell Lars an.“ Er entfernte sich einige Schritte.

      Wenig später unterbrach er, die allem Anschein nach, angeregte Unterhaltung zwischen Nicole und Heller.

      „Es gibt Neuigkeiten. Wir haben eine Zeugin, Berta Zöller, 84 Jahre. Sie sah gestern Nacht ein Auto auf dem Parkplatz, oberhalb des Fundortes unserer Leiche. Fahrzeugtyp und Nummernschild konnte die Frau zwar nicht erkennen, nur dass der Wagen beigefarben war. Sie meinte, es handelte sich um ein älteres Modell. Ihrer Beschreibung nach könnte es ein Citroën gewesen sein; ist aber nur eine Vermutung von mir. Zudem sagte die Dame aus, dass ein dunkel gekleideter Mann etwas „Langes“, genauso drückte sie sich aus, aus dem Kofferraum herausgehoben hätte und damit die Treppe neben dem Turm runtergegangen sei. Was das war, konnte sie aber auch nicht sehen. Der geöffnete Kofferraumdeckel versperrte ihr die Sicht.“

      „Um welche Uhrzeit?“, fragte Nicole knapp.

      „Soll um etwa 23 Uhr 30 gewesen sein.“

      „Könnte


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