Mulaule. Rita Renate Schönig

Mulaule - Rita Renate Schönig


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er sich die verdammte Auszeichnung stecken könne, wenn die Öffentlichkeit erfahren würde, was für ein Schwein er in Wirklichkeit war. Wie leicht es doch war, den Mann, der früher mit strengen Worten rücksichtslos Existenzen und Familien zerstörte, mundtot zu machen.

      Fast insgesamt 10 Jahre seines Lebens hatte ihm der Hartgesottene geraubt; 1000 Euro pro Jahr, waren da nur gerecht! Im Nachhinein gesehen – eigentlich zu wenig. Dass Hagemann keinen Schimmer hatte, von wem ursprünglich Drohung kam, machte die Sache umso lustiger.

      Zuerst wurde er eine Nuance blasser. Dann erklärte er zornig, dass die Öffentlichkeit einem ehemaligen Staatsanwalt wohl mehr Glauben schenken würde, als einem Schwerverbrecher, der sein halbes Leben hinter Gittern verbracht hätte.

      Seine Meinung änderte sich schnell, nachdem er das Foto betrachtet hatte, auf dem er – in nicht so vorteilhafter Bekleidung – abgelichtet war. Nun hatte der Alte die Hosen wirklich gestrichen voll. Keine Spur mehr von Überheblichkeit. Die pure Panik starrte aus den dunklen, stechenden kleinen Augen und der stets arrogante Gesichtsausdruck formte sich zu einer vor Angst gelähmten, hässlichen Maske.

      Trotzdem kam er, beim Überreichen des Umschlags, mit der lächerlichen Drohung daher: Das war ist eine einmalige Sache. Anschließend trank er seinen Kräutertee.

      Der erste Teil des Plans war simpel. Der zweite entwickelte sich dann doch zu einem Problem.

      An der Dosis konnte es nicht liegen. Er hatte sich strikt an die Anweisung gehalten. Ein Milligramm Succinylcholin pro Kilogramm Körpergewicht. Der Schätzung nach wog Hagemann 80 Kilo – entsprach also 80 Tropfen; genau passend.

      Zwar lief der Alte noch zum Parkdeck, wo er seinen Citroën abgestellt hatte, sackte dort jedoch, bevor er einsteigen konnte, zusammen.

      Sicher hätte er ihn einfach liegenlassen können. Aber, dann hätte er die 5000 Euro, die er für den Spezialauftrag erhalten sollte, in den Wind schreiben können.

      Hagemann musste zu seinem Date gebracht werden. Das war der eigentliche Auftrag! Den konnte er aber, wie der Versuch den ehemaligen Staatsanwalt in seinen Wagen zu hieven, zeigte, nicht alleine umsetzen.

      Mittwoch / 12:45 Uhr

      Den Topf mit einer ordentlichen Restportion Schnüsch stellte Herbert auf die Terrasse. Nicole und Andy würden den leckeren Eintopf schon finden. Wenn es um fertig gekochtes Essen ging, hatten die beiden die Nase eines Spürhundes. Danach machten er und Helene sich auf den Weg zu den Roths.

      Kaum, dass sie den Klosterhof überquert hatten, in dem Bettina und Ferdinand in einem der Häuser der ehemaligen Benediktinerabtei wohnten, wurde auch schon die Haustür aufgerissen.

      „Gut, dass ihr kommt.“ Bettina schob die beiden quasi ins Wohnzimmer. „Wollt ihr einen Kaffee, oder lieber etwas Stärkeres?“

      „En Kaffee deit sichtlich got. No Middach trinken wi ok immer en Kaffee“, erwiderte Helene sichtlich angespannt und deshalb in charmantestem Plattdeutsch. Seit Ferdinands Anruf und der Information, dass er eine Leiche gefunden hatte, kribbelte es mächtig in ihrem Bauch. Sie konnte es kaum abwarten, nähere Einzelheiten zu erfahren.

      „Und der derf ruhig stark sein“, ergänzte Herbert schmunzelnd und noch während Helene und er sich auf der Couch niederließen, fragte er aufgeregt: „Jetzt erzähl halt. Wir sind schon gespannt, wie ein Flitzeboge.“

      „Wie schon gesagt, habe ich, also eigentlich hat unsere Lizzy den Toten gefunden.“

      Wie aufs Stichwort stürmte die kleine Spaniel-Dame die Treppe vom ersten Stock ins Wohnzimmer herunter. Offensichtlich hatte sie gerade ihrem Mittagsschlaf gehalten.

      In ihrer Freude wusste sie nicht, wen sie zuerst begrüßen sollte, Helene oder Herbert. Letztlich sprang sie aufs Sofa und drängte sich zwischen beide.

      „Miss Lizzy! Runter“, forderte Ferdinand in scharfem Ton.

      Ein vorsichtiger Hundeblick von Helene zu Herbert und die Sache war klar; Lizzy blieb.

      Mit in Falten gelegter Stirn tadelte der Hausherr: „Ihr macht meine Erziehungsmaßnahmen zunichte. Also, wie ich schon am Telefon erzählte, gingen Lizzy und ich am Main entlang. Plötzlich sauste sie los und blieb erst wieder am Wehrturm stehen und bellte wie verrückt. Als ich ankam, sah ich weshalb.

      Zuerst dachte ich, es handele sich um eine Frau, die Hilfe brauchte – schon wegen der Seligenstädter Tracht. Also rief ich, bekam aber keine Antwort. Einen Augenblick lang war ich auch geneigt zu glauben, es könnte sich auch um eine Puppe handeln. Also stieg ich die paar Meter hoch. Oben angekommen stellte ich dann aber fest, es war tatsächlich ein Mensch, der da in der Ecke am Turm saß. Ich sprach die Person noch einmal an. Doch auch jetzt reagierte sie nicht. Daraufhin legte ich meine Finger an die Halsschlagader und bemerkte, dass die Person tot war.

      Noch mehr aber irritierte mich, dass ich Bartstoppeln fühlte. Also hob ich das Gesicht der Person kurz an. Da erkannte ich mit Gewissheit … es war ein Mann.“

      „Weshalb zieht sich jemand Frauekleidung an und setzt sich zum Sterbe ausgerechnet an den Turm? Warum überhaupt sich die Müh mache, dort hochzuklettern, wo gleich unte e Bank steht? Des gibt für mich alles kein Sinn. Es sei denn ...?“ Herbert schnellte vom Sofa hoch. „Der is net selber dort hochgekraxelt.“

      „Was bedeutet, dass der Mann getötet wurde“, führte Bettina seine Gedankengänge weiter.

      Die vier sahen sich bestürzt an.

      „Also haben wir es mit einem Mord zu tun!“, brachte Helene es auf den Punkt. „Aber was soll die Verkleidung? Wollte der Täter damit etwas ganz Bestimmtes zum Ausdruck bringen?“

      „Interessanter Ansatz. Ist dir der Mann vielleicht bekannt vorgekomme?“, bedrängte Herbert Ferdinand.

      Der wiegte nachdenklich mit dem Kopf. „Ja und nein. Ich bin mir nicht sicher. Der war so stark geschminkt, dass ich sein Gesicht nicht genau erkennen konnte.“

      „Geschminkt? Wie meinst de des jetzt?“

      „Make-up meine ich, wie eine Frau, aber etwas zu viel davon. Und das auch nicht so kunstvoll, als dass man ihn für einen Transvestiten hätte halten können. Versteht ihr, was ich meine?“

      „Transvestiten?“, wiederholte Helene mit Augen, so groß wie 1-Euro-Stücke während sich in Herberts Kopf Saltos vollzogen.

      „Naja … sieht man doch ab und zu im Fernsehen,“ setzte Ferdinand nach.

      Unter Bettinas undefinierbarem Blick hatten seine Wangen einen rosa Ton angenommen.

      „Ich glaube der Kaffee ist durch“, sagte sie nun und eilte in die Küche. Helene folgte ihr.

      „Trotzdem ergibt des für mich keinen Sinn. Ist dir denn gar nix an dem Mann bekannt vorgekomme?“, bohrte Herbert nach.

      Ferdinand stützte die Ellenbogen auf die Knie und blickte seinen Freund ernst an. „Ehrlich. Ich hatte wirklich den Eindruck ihn zu kennen. Aber, ich war mir halt nicht sicher und deshalb habe ich auch gegenüber der Polizei nichts gesagt.“

      „Und? An wen denkst du?“

      Ferdinand zog tief die Luft ein und stieß sie hörbar wieder aus.

      „Der Mann erinnerte mich an den Hagemann. Du weißt schon, der ehemalige Staatsanwalt, den alle nur den Hartgesottenen nennen, weil er immer die Höchststrafen forderte. Soweit mir bekannt ist, besitzt er ein Haus, hier in Seligenstadt; irgendwo in der Nähe des Krankenhauses. Ob er dort noch immer wohnt, weiß ich natürlich nicht.“

      „Des rauszufinde, dürfte des geringste Problem sein“, warf Herbert ein. „Dafür gibt’s das Internet.“

      „Es wurde auch schon mal gemunkelt, dass Hagemann sich bestechen ließ, was die Höhe der Strafe anging“, fuhr Ferdinand fort. „Aber, beweisen konnte man es ihm nie. Irgendwann ist er dann zum Darmstädter Landgericht gewechselt, bis er vor einigen Jahren in Pension ging.


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