Mulaule. Rita Renate Schönig

Mulaule - Rita Renate Schönig


Скачать книгу

       Überzeugungen sind gefährlichere Feinde der Wahrheit als Lügen

      „Was soll das denn?“

      „Das ist ein Zitat von Friedrich Nietzsche“, klärte Maier sie auf. „Es wird immer deutlicher, dass die Fundstelle explizit gewählt wurde und wir es hier mit keinem normalen Mord zu tun haben – eher mit einer ganz persönlichen Abrechnung.“

      „Sieht ganz so aus“, stimmte Harald zu. „Warum bist du eigentlich nicht bei der Kriminalpolizei?“

      „Mir reichen die Krimis im Fernsehen“, erwiderte der Polizeihauptkommissar ernst.

      Polizeikommissar Berthold Bachmann und eine jüngere Polizistin mit langen, zu einem Zopf geflochtenen, braunen Haaren bewegten sich auf die Gruppe zu.

      Der Unterschied zwischen den beiden hätte nicht größer sein können. Während der 56-Jährige in behäbigem Gang antrabte, näherte sich seine durchtrainierte Kollegin mit federnden Schritten.

      „Polizeikommissarin Sarah Senger“, stellte Maier die etwa Mitte 20-Jährige vor.

      Berthold Bachmann hob grüßend die Hand. „Hallo“.

      Der Anblick der jungen Polizistin zauberte Lars sofort ein begeistertes Lächeln ins Gesicht.

      „Hansen, Kripo Offenbach. Meine Chefin, Frau Wegener und Kollege Weinert.“

      Seine Hand schnellte nach vorne.

      „Angenehm.“ Sarah Senger lächelte kokett zurück. „Also, ich meine, unter diesen Umständen. Aber ist ja euer täglich‘ Brot, wenn ich das mal so sagen darf.“

      „Naja, eh ... nicht nur“, beeilte sich Lars, stolpernd zu antworten. „Zum Glück gehört Mord nicht ausschließlich zu unserer täglichen Arbeit. Wir kümmern uns auch um Waffen- und Branddelikte im K11.“

      „Sarah, also Frau Senger, möchte später zur Kripo. Vielleicht ist ja bei euch demnächst was frei?“

      Bachmann grinste schelmisch. Er hatte sofort bemerkt, dass Lars Hansen mal wieder hin und weg war.

      Mit einem Räuspern unterbrach Josef Maier das Geplauder. „Dann legen Sie mal los, Frau Senger. Haben Sie irgendwelche relevanten Zeugen ausfindig machen können?“

      „Leider nein. Aus der Seniorenresidenz, dort vorne“, sie zeigte zum Gebäudekomplex für „Betreutes Wohnen“, „kann der Mann nicht sein. Dort ist, nach Angaben der Verwaltung, niemand abgängig.“

      „Woher wissen die das so genau?“, grätschte Maier dazwischen. „Werden die Senioren mit der Stechkarte kontrolliert?“

      „Das nicht“, lachte Polizeikommissarin Senger und schüttelte den Kopf. „Ich sprach mit einem Pfleger, der täglich ins Haus kommt. Der sagte mir, dass die meisten der Einwohner, nur mit Gehhilfe unterwegs seien, wenn überhaupt. Und mitten in der Nacht, sowieso nicht.“

      Josef Maier nickte. „Verstehe.“

      „Von den Anwohnern auf dieser Seite“, Sarah Senger machte eine Armbewegung zur linken Seite des Turms, „hat weder irgendwer etwas gehört noch gesehen. Allerdings trafen wir nicht alle Bewohner an, weil manche schon zur Arbeit sind. Sollen wir uns jetzt die rechte Seite vornehmen? Oder wollen Sie selbst ...?“

      Die Frage richtete die junge Kommissarin an Nicole.

      „Machen Sie ruhig weiter. So voller Eifer die Klinken zu putzen, habe ich bei meinen Mitarbeitern schon lange nicht mehr gesehen.“

      „Bin ja auch schon eine Zeitlang bei dem Verein“, gab Harald zu seiner Verteidigung zurück.

      „Ich habe schon so viele Türgriffe und Klingel angefasst, dass meine Finger schon keine Papillarlinien mehr aufweisen“, äußerte Lars, grinsend.

      „Dann brauchen Sie ja nichts zu befürchten, sollten Sie mal lange Finger machen“, konterte Sarah Senger kess.

      „Trotzdem könnte ich euch helfen“, bot Lars sich an.

      „Wolltest du dich nicht um die Recherchen kümmern?“, bremste Harald den Einsatzeifer seinen Kollegen.

      Josef Maiers Mundwinkel zuckten. „Gut, dann ab mit euch“, forderte er seine Mitarbeiter auf.

      „Hier sind die Fotos von dem Toten“, lenkte Harald erneut die Aufmerksamkeit auf sich. „Haben mir die Kollegen gerade aufs iPad geschickt.“

      „Sieht echt bizarr aus. Kommt Ihnen der Mann bekannt vor?“, richtete Nicole sich an Josef Maier.

      Der schürzte die Lippen und runzelte die Stirn. „Ich weiß nicht recht, ... mit all der Schminke ...?“

      „Ok. Vielleicht fällt es Ihnen ja noch ein. Ich schaue mich oben auf dem Parkplatz um.“

      Alles andere hätte Harald und Lars auch gewundert. Nicole machte sich immer gern ihr eigenes Bild, egal was sie an Material von der Spurensicherung erhielt.

      Oben angekommen wurde sie von Kriminaloberkommissar Kai Schmitt von der Kriminaltechnik begrüßt.

      „Hallo. Schön Sie zu sehen. Seltsam mit dem Zettel, meinen Sie nicht auch? Vielleicht haben Sie es diesmal mit einem poetischen Mörder zu tun.“

      „Der fehlt noch in meiner Sammlung.“ Nicole lachte. „Darf ich mich hier etwas umsehen?“

      „Na klar“, sagte Kai Schmitt, ging zu seinem Kombi und holte einen weißen Overall hervor. „Aber, nur in dieser scharfen Bekleidung.“

      So schnell wie möglich schlüpfte Nicole in den Schutzanzug und spazierte über den Parkplatz. Zwischen den abgestellten Fahrzeugen hatten die Kollegen der Spurensicherung wohl schon alle Gegenstände eingesammelt; jedenfalls sah es sauber aus.

       Ob sie auch darunter nachgesehen haben?

      Nicole kniete sich auf das harte Pflaster. Sofort fielen ihr eine zusammengequetschte Getränkedose und eine zerknüllte, vermutlich leere Zigarettenschachtel ins Auge und ... ein kleines rotes längliches Objekt. Sie legte sich flach auf den Boden. Nach zwei Versuchen hielt sie einen Lippenstift in der Hand und rappelte sich wieder auf.

      Ich muss mehr Sport treiben, stellte sie fest.

      „Könnte die Farbe zu unserem Opfer passen?“, sprach sie Kai Schmitt an, drehte den Stift aus dem Gehäuse und reichte ihm das eventuelle Beweisstück.

      „Möglich wär’s. Wo haben Sie das gefunden?“

      „Unter einem der Fahrzeuge.“

      ***

      So sehr der Mann sich auch bemühte, konnte er nicht verstehen, was dort unten gesprochen wurde. Als der in Zivil gekleidete Beamte seinem Kollegen eine Plastiktüte zeigte, in der sich ein DIN-A4-Blatt befand – das konnte er deutlich erkennen – war er zufrieden. Er hatte genug gesehen und beschloss, sich zurückzuziehen. Die schlanke Polizistin mit den braunen, zu einem Zopf geflochtenen Haaren, kam nun bedrohlich nahe, ihr wollte er keinesfalls über den Weg laufen.

       Ausgerechnet sie hier?

      So unauffällig wie nur möglich, löste er sich aus dem Pulk der Neugierigen und schlenderte durch die Mohrmühlgasse in Richtung Marktplatz, überquerte diesen und lief durch die enge Sackgasse zur Parkfläche hinter dem Bürgerhaus >zum Riesensaal<. Dort stieg er in einen anthrazitfarbenen Golf und tippte in sein Mobiltelefon.

      ALLES KLAR. BIS HEUTE ABEND. VERGISS DAS GELD NICHT.

      Von den 5000 Euro, die er erhalten würde, musste er zwar die Hälfte seinem Kumpel abgeben, aber das störte ihn nicht sonderlich.

      Die 10 Mille, die er bereits von Hagemann abkassiert hatte, lagen längst sicher in einem Bankschließfach.

      Er lächelte und dachte an das Treffen in dem Hanauer Café, als er ihm die Zeitung mit der fetten Schlagzeile auf den Tisch knallte.

       Heinz Hagemann


Скачать книгу