Seefahrerportraits und Erlebnisberichte von See. Jürgen Ruszkowski
ab. Im dicken Nebel drohen Zusammenstöße. Bei dem schwerfälligen Schleppzug ist an Ausweichen nicht zu denken. Kapitän Wiese verlässt fast nie die Brücke. Nach kurzen Ruhepausen steht er wieder oben. Dann auf der Höhe von Dover passiert es: Die Schlepptrosse sitzt plötzlich auf dem flachen Meeresboden fest, verfangen in einem der vielen Wracks, die dort überall liegen. Wenn das Schleppseil an den scharfen Kanten rostzerfressener Aufbauten festhakt, zerreist, die ADOLF LEONHARDT frei und führungslos auf den Felsen treibt? Diesmal ist es gut ausgegangen, aber dreimal ist es bereits gerissen, noch auf dem Atlantik.
Fast drei Wochen pendelt das ohnmächtige Schiff hinter den Schleppern her. Fast drei Wochen lebt die Besatzung unter äußerster Anspannung ihrer Willenskraft. Von vielen havarierten Schiffen kommen Nachrichten. Täglich hört man neue Namen. Von der ADOLF LEONHARDT hört man nichts. „Erst zu Hause sein, erst alles geschafft haben, vorher erfährt niemand, was hier los ist“, hört man häufig aus dem Munde des Kapitäns. Man kann doch nicht die ganze Welt mit seinen Sorgen in Bewegung halten, und bei Norderney buddelt einem noch der Untersatz unter den Füßen ab, was? Immer langsam, aber eisern!
Schnell ist allen die letzte Nacht vergangen, fast schon ein Gefühl des Geborgenseins, als das Feuer von Wangerooge voraus an Steuerbord ausgemacht wird, dann die Feuerschiffe AUSSENJADE und WESER, das Aufflammen vom Rotesand-Leuchtturm. Als der Lotse die Jacobsleiter aufentert, werden kaum mehr Worte gewechselt als gewöhnlich, wortkarg ist dieser Beruf – jeder Satz muss sein Gewicht behalten. Aber der Händedruck, der ist fest, herzlicher als sonst. Kaum dümpeln die Schiffe noch, das Wasser wird gelb und mit jeder Minute ruhiger in der breiten Wesermündung. Immer mehr verkürzen die Schlepper ihre Leinen, schließlich, als im Watt das Fahrwasser zwischen den roten und grünen Tonnen enger wird, gehen die beiden Schlepper längsseits, SEEFALKE macht an Steuerbord fest, WOTAN an Backbord. So dampfen sie nach 1.350 Seemeilen Schleppfahrt auf Bremerhaven-Reede. Und dann setzt sich noch der Schlepper TITAN vor den Bug und hilft die Weser flussaufwärts bis Bremen, unter die wartenden Kohlengreifer, in den sicheren, spiegelglatten Hafen.
Alles ist heil geblieben: Besatzung, Ladung, ja auch das Schiff. Nur ein paar Schrammen, Beulen, Splitter – und kein Ruder.
Als die Ankunft am 17. Januar 1952 bekannt wird, überfallen Besucher das Schiff. Alle wollen Glück wünschen, alle wollen hören, was geschah. Doch Kapitän J. Wiese, der 22 Tage und Nächte kaum geschlafen hat, winkt ab: „Für mich gibt es jetzt nur eines“, zuckt es spöttisch um seinen Mund – „schlafen!“
Es folgte 1952/53 ein weiterer Schulbesuch. Ab 20.05.1953 begann der Dienst als 1. Nautischer Offizier auf der BERND LEONHARDT, wieder auf der ADOLF LEONHARDT, auf der LUISE LEONHARDT, der INGRID LEONHARDT und der KLAUS LEONHARDT.
Ab 25.06.1955 fuhr Wolfgang Schmidt als Kapitän auf der KLAUS LEONHARDT und bis 1965 auf etlichen weiteren Schiffen der Reederei Leonhardt & Blumberg. Mit dem Neubau WALTER LEONHARDT, den er als Kapitän führte, und der für zwei Jahre nach Brasilien verchartert war, hielt er sich längere Zeit in dem südamerikanischen Land auf, wohin ihm auch vorübergehend seine Frau und die Kinder folgten.
Von 1965 bis 1985 war er beim Verein Hamburger Assecuradeure als Havarieexperte tätig. Am 1. Juli 1992 verstarb Wolfgang Schmidt nach einer schweren Erkrankung, die ihn 1978 zum Frührentner machte, im Alter von fast 66 Jahren.
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Vier Monate Stippvisite in der Seefahrt
Karlheinz Franke berichtet über sich: „Am 6.4.1930 wurde ich in Frankfurt an der Oder geboren. Wie meine Mutter immer wieder betonte, war ich ein Sonntagskind, sollte also besonders viel Glück im Leben zu erwarten haben.
Kindheit und Jugend
Meine jüngere Jugend, verlebte ich zunächst in Küstrin, dann ab meinem dritten Lebensjahr bis zu meiner Einschulung bei Tante und Onkel in Köslin in Pommern. Mit Schulbeginn in der Volksschule in Küstrin kehrte ich zu meinen Eltern zurück. Dafür erhielt ich das Versprechen, in jedem Jahr meine Sommerferien in Köslin verbringen zu dürfen. Das erste Schuljahr habe ich nicht unbedingt ernst genommen. Wir mussten jeden Tag Schiefertafel, Schwamm und Griffel mit zur Schule schleppen und lernten noch zwei Jahre lang die altdeutsche Sütterlinschrift: Auf , ab, auf, Pünktchen drauf, fertig ist das i. Als wir später auf Schreibhefte und Tintenfederhalter umstiegen, gab es schon manche Ohrfeige wegen der Kleckse. Unser Lehrer Zimmermann hat uns getreulich die vier Grundschuljahre hindurchgeleitet: streng, aber gerecht. Anschließend besuchte ich die Mittelschule. Im November 1941 zogen meine Eltern mit mir nach Gnesen um. Ich kam in Gnesen wieder auf die Mittelschule, später aufs Gymnasium. Meine Lieblingsfächer waren Deutsch, Geschichte, Erdkunde, Physik und Chemie.
Da sich die Ostfront allmählich auf Richtung Heimat zu bewegte, häuften sich die Verwundeten in den Lazaretten und unsere Schulen wurden geräumt, um als Hilfslazarette zu dienen. Unsere Klasse wurde geteilt und der Unterricht in Gaststätten, Gemeinderäumen und Bahnhofswartesälen abgehalten. Unsere Lehrer, meist alte Damen und Herren aus der Kaiserzeit, mussten in den Pausen quer durch die Stadt rasen. War nachts Fliegeralarm, brauchten wir am nächsten Morgen erst zwei Stunden später zum Unterricht kommen.
Zum Herbst 1944 gab es dann keine Siegesmeldungen im Radio mehr, nur noch Nachrichten über strategische Absetzbewegungen. Bis zum 19. Januar hatten wir noch geregelten Schulunterricht, obwohl schon einige Mitschüler aus den Dörfern fehlten. Dann hieß es plötzlich: „Gnesen muss geräumt werden.“ So packten wir einige Taschen und gingen zum Bahnhof. Ich hatte meinen Tornister mit Karabinermunition gefüllt und darum vorschriftsmäßig eine Decke gerollt. Meine Tante Trudchen hat dann die Munition ausgeschüttet und dafür Wäsche eingepackt. Ich zog die langen Stiefel meines Vaters an und den Pelzmantel von Onkel Fritz. Auf dem Bahnhof stand ein Zug mit offenen Güterwagen, der schon fast besetzt war. Die Neuankömmlinge haben dann einfach Gepäckstücke rausgeworfen nach dem Motto: Erst kommen die Menschen mit! Ich fand einen Platz in einem leeren Bremserhäuschen, wo ich und jugendlicher Heldenmanier glaubte, den Zug gegen Partisanen und Tiefflieger verteidigen zu müssen. Als der Zug sich in Bewegung setzte, waren die Russen schon vor Posen und wir fuhren einen Umweg nach Süden über Schlesien, von Glogau an dann wieder nordwärts in Richtung Berlin. Die Reise dauerte bei 20 ° Kälte mit Unterbrechungen zwei Tage und zwei Nächte. Kurz vor Berlin türmten der polnische Heizer und Lockführer, obwohl der Bewacher noch hinterhergeschossen hatte. Unser Zug wurde dann von einer Werkslokomotive der Schwarzkopfwerke auf ein Werkgleis in Wildau gezogen und wir in Holzbaracken untergebracht. Nachts haben wir meistens im Keller oder im kurz zuvor erbauten Luftschutzstollen geschlafen, da in und um Berlin herum viele Bomben abgeworfen wurden. Am 2. April hörten wir dann das Donnern der nähekommenden Kanonen und Panzer und gingen in den Stollen, 40 Meter tief unter der Erde.
So nahte auch jener Wonnemonat Mai, in welchem wir von den siegreich vordringenden Truppen der heldenhaften Roten Armee befreit wurden. Bald darauf kam ein Trupp deutscher Soldaten durch den Stollen, und meine Tante sagte zu ihnen: „Macht, dass ihr wegkommt, die Russen sind schon da.“ Aber ein Soldat erwiderte: „Wir sind SS und keine Wehrmacht, wir kennen keine Angst.“ Kurz darauf kamen dann die Russen und trieben uns nach draußen. Da wurden alle Männer aussortiert. Mich wollten sie auch mitnehmen, aber meine Mutter schimpfte auf Polnisch mit ihnen, dass ich noch ein Kind sei, da ließen sie mich bei ihr. Meine Tante Irma und meine Mutter beschlossen, nach Frankfurt/Oder zu ziehen, wo sie hofften, bei Verwandten unterzukommen. Wir fuhren die 80 km in zwei Tagen und eine Nacht auf einem Güterzug, der mit demontierten Maschinen in Richtung Sowjetunion rollte und wurden unterwegs ständig von plündernden Polen und Russen belästigt, die meine Mutter mit polnischen Schimpfwörtern verscheuchte. Im Juli 1945 kamen wir in Müllrose an, einer märkischen Kleinstadt südlich