Homo sapiens movere ~ gejagt. R. R. Alval
obwohl wir doch ebenso wie sie zur Familie der Metamorph zählen. Freilich haben wir eine andere Abstammung. Doch das dürfte in den Augen der Menschen nebensächlich sein. Fakt ist, wir wandeln unsere Gestalt. Wenn auch nur zur Tarnung. Menschen und Götter – selbst wenn wir nur Halbgötter sind – es geht einfach nie gut. Du hast selbst gesehen, wie Alan sich uns gegenüber verhält. Und der ist weit entfernt davon ein Mensch zu sein. Er müsste es nicht tun. Er weiß, was wir sind und hält sich an die Etikette. Vermutlich aus Respekt. Oder weil er nicht weiß, wie er sonst mit uns umgehen soll. Ich für meinen Teil möchte ihn gar nicht aufklären, dass die Einhaltung der Etikette unnötig ist.“ Verschmitzt lächelte sie mich an, was ich mit einem ebenso schelmischen Grinsen erwiderte. „Von mir erfährt er nichts.“ Mit einer Geste, die einen Reißverschluss andeutete, verschloss ich meinen Mund und warf den imaginären Schlüssel weg. „Ich mag dich wirklich, Sam.“
Fiat nahm wieder ihre menschliche Gestalt an, schlüpfte in ihr Kleid und wies mich mit einem Kopfnicken darauf hin, dass wir zu Alan gehen sollten. „Vermutlich geht er bereits die Wände hoch, weil er sich sonst was denkt, was ich mit dir anstelle.“ Ich konnte mir das Lachen nicht verkneifen.
Ich lachte auch dann noch, als wir Alan, dessen finsteres Gesicht sofort von Erleichterung überzogen wurde, erreichten. „Solltet ihr unsere Hilfe brauchen, zögert nicht, zu fragen, Sam. Wir können diesen Briam zwar nicht unschädlich machen, aber wir können ihn ein wenig aufhalten. Die Magie der Ker-Lon wirkt auf uns nicht.“ Ich bedankte mich; auch im Namen von Alan.
Der stand wie angewurzelt neben mir und brachte keinen Ton über seine Lippen.
Und das nicht etwa, weil er sich zu fein dafür war, sondern weil er – es stand im quer über sein schönes Gesicht geschrieben – völlig verdattert war, dass Fiat und ich derart vertraut miteinander umgingen. Dass diese mir sogar freiwillig ihre Hilfe anbot, ohne dass ich vor ihr im Staub kriechen musste. Obwohl ich nicht zu fein wäre, das falls nötig zu tun.
Für das Wohlergehen meiner Familie würde ich alles tun. Selbst wenn das eben hieße, mich anderen bettelnd vor die Füße zu werfen.
Notfalls sogar vor Alan.
Auf dem Rückweg von Spline waren wir beide sehr ruhig. Alan, weil er vermutlich noch mit dem Erlebten fertig werden musste; ich, weil ich mit den Nachwirkungen von Spline zu kämpfen hatte. Ich befürchtete, jeden Moment Alans Wagen zu brutzeln.
Oder Alan selbst.
Die Stimmen in meinem Kopf rieten mir Dinge, die verlockender und süßer erschienen, je näher wir der Stadt kamen. Bereits jetzt konnte ich das Summen der Energie fühlen. Das Rauschen der Energieteilchen, die die Haushalte versorgten, die Straßen belebten und die Stadt funktionieren ließen.
Mehr, mehr, mehr…, flüsterte es in meinem Kopf. Lass uns kosten… es ist genug da… mehr… lass uns kosten…
Als reichte es nicht aus, dass sich winzige Dämonen in meinen Schädel eingenistet hatten, die mich unbarmherzig mit ihrem Singsang traktierten, begann meine Haut zu jucken, als wolle sie den geflüsterten Worten Nachdruck verleihen. Wie sollte ich nur ohne Humphrey stark genug sein, diese Tortur zu überstehen?
„Sam, alles ok?“ Alans Frage klang furchtbar verzerrt, nachdem sie sich erst ihren Weg durch das Flüstern der Stimmen bahnen musste. Meine Hände zusammenballend und die Zähne fest zusammenbeißend, schüttelte ich langsam den Kopf.
Nichts war ok.
Humphrey war tot.
Meinetwegen.
Das Rudel hatte große Verluste erlitten und musste in Spline Asyl suchen.
Meinetwegen.
Und jetzt kämpfte ich mit Kräften, die in mir tobten und das Schicksal der Stadt beeinflussen könnten. Wenn ich diesen Kampf nicht gewann, würde ich nicht nur die Stromversorgung lahmlegen. Möglicherweise würde ich sämtliche Einwohner auf dem Gewissen haben. Denn nach meiner Energieaufnahme kam es unweigerlich zu einem Ausbruch.
Meinerseits.
Mir blieb also keine Wahl außer stark genug zu sein. Ich musste diesen Stimmen Einhalt gebieten. Meine Fähigkeiten unter Kontrolle halten. Den lockenden Energiemengen widerstehen.
Ich war derart damit beschäftigt, meine inneren Dämonen zu zähmen, dass ich nicht bemerkte, wie Alan den Wagen stoppte.
Mich abschnallte.
Ausstieg.
Die Beifahrertür öffnete und mich sanft in seine Arme zog.
Ich fühlte mich bereits sicherer und fähig, stark genug zu sein, ehe ich begriff, dass ich an seiner breiten Brust lag. Umschlungen von seinen muskulösen Armen. Zufrieden seufzend schloss ich die Augen. Vermutlich hatte Alan keine Ahnung, wie dankbar ich ihm für diese unerwartete Geste war. Oder wie viel Kraft er mir damit gab.
In diesem Moment war er der Mittelpunkt meiner Welt.
Sein kräftiger, gleichmäßiger Herzschlag übertrug sich auf mich; ließ mich vollkommen ruhig werden. Ein willkommener, harmonischer Gleichklang nach dem wilden, lockenden Chaos in meinem Kopf. Seine Hände auf meinem Rücken streichelten die letzten quälenden Stimmen mühelos von mir.
Als hätten sie nie existiert.
Bisher hatte ich nicht geglaubt, dass so etwas möglich war. Dass Alan dazu imstande sein konnte, diese Gier zu besänftigen. Noch nicht einmal Humphrey hatte das fertig gebracht. Lag es daran, dass Alan mein… dass er der Mann war, der mich als seine Gefährtin sah?
Dass das Schicksal uns füreinander bestimmt hatte?
„Danke.“, murmelte ich an seine warme Brust, an die ich mich inniger schmiegte, als ich es mir noch vorhin bei Fiat vorgenommen hatte. Selbst meine Arme, die eben noch nutzlos an meinen Seiten gebaumelt hatten, hatten sich um Alans Taille geschlungen. Meine verkrampften Hände hatten sich gelockert und lagen flach auf seinem Rücken. Seine harten Muskeln konnte ich deutlich spüren. Am liebsten wäre ich ewig in dieser Umarmung stehen geblieben.
Doch das Leben hatte wie immer andere Pläne.
„Wie… süß. Rührend… Habt ihr euch lieb?“
Romans Stimme klang scharfen Nägeln ähnlich, die über eine Schultafel kratzten. Sie hinterließ ein Frösteln auf meiner Haut und sorgte dafür, dass meine Augenlider angewidert flatterten. Alan versteifte sich für den Bruchteil einer Sekunde, bevor er mich hinter sich in Sicherheit schob.
Als ob das etwas nützte!
Ich keuchte entsetzt, als Roman näher kam, wobei er mehr glitt als dass es man es laufen nennen konnte. Sein Gesicht glich einer ausdruckslosen, schönen Maske, die keinerlei Gefühle preisgab. „Bleib hinter mir!“, zischte Alan, dem die Situation erheblich mehr zusetzen musste als mir.
Schließlich war Roman sein bester Freund.
Oder war es zumindest gewesen.
Eigentlich sollte ich froh sein, dass es nicht Humphrey war, der uns gegenüberstand. Aber nachvollziehen zu können, wie Alan sich fühlen musste, tat mir dennoch weh.
„Alan, Alan.“, tadelte Roman seufzend mit schnalzender Zunge, als wäre der Mann, der mich deckte, ein ungezogenes Kind. „Meinst du, du kannst mich aufhalten? Wie töricht von dir.“ Ohne, dass ich eine Bewegung von Roman bemerkte, flog Alan in hohem Bogen seitlich – und mit gewaltiger Kraft – krachend gegen das Auto und sackte an diesem bewusstlos zusammen. Aus seinem Mund tropfte Blut, während ich wie angewurzelt stehen blieb, um das ebene Gesehene zu begreifen.
Roman hatte nichts getan.
Kein Blinzeln.
Kein Fingerzucken.
Kein Wort.
Nichts!
Und trotzdem war Alan wie eine Stoffpuppe durch die Luft geschleudert worden. Ohne mich mit sich zu reißen. Wie viel gottverfluchte Macht hatte dieser Mistkerl? Der Schock und mein sofort aufkeimender Zorn brachten all