Verfluchtes Erbe Gesamtausgabe. T.D. Amrein
leicht drehen ließ und fuhr entsetzt zurück.
Eine stark verstümmelte Leiche. Eigentlich nur den Oberkörper davon, hatte er angefasst.
Die Uniformjacke war auf dem Rücken unbeschädigt geblieben. Deshalb hatte es wie eine Tasche ausgesehen.
Merz musste sich übergeben. Minutenlang saß er in seinem Boot. Unfähig irgendetwas zu tun. Schon wieder ein Toter. Und auch noch in diesem Zustand.
Vorsichtig sah er über die Bordwand. Aber der Klumpen war noch da. Eine unbändige Wut auf diesen Dornbach überkam ihn. „Wenn du mir noch einmal über den Weg läufst, bringe ich dich um!“, sagte er laut.
Was sollte er jetzt tun?
Den Klumpen in sein Boot ziehen, das konnte er nicht. Schon der Gedanke, dieses Fleisch noch einmal anzufassen, ließ ihn erschauern. Aber ich kann ihn doch auch nicht einfach im Wasser liegen lassen? Wie sollte er vorgehen?
Die Polizei verständigen. Das wäre das Richtige. Einfacher wäre, zu verschwinden, waberte irgendwie durch seine Gedanken. Aber dieser Fund würde ihn sein Leben lang verfolgen. Ganz sicher.
Würde er die Stelle wiederfinden? Was, wenn die Leiche verschwunden war, bis er mit der Polizei zurückkam? Würden sie ihn dann wegen grobem Unfug einsperren?
Er konnte nur in den Ort fahren, wo er eingekauft hatte. Dort gab es sicher ein Telefon. Aber die Sprache.
So einsam hatte sich Merz noch nie im Leben gefühlt. Endlich begann er mit dem Bootshaken, die Leiche ans Ufer zu schieben. Ein Stück auf den Strand hoch schaffte er. Den Gestank empfand er schlicht als umwerfend.
Mit einigen Steinen baute er einen kleinen Damm, damit sich das Meer den Klumpen nicht zurückholen konnte. An diesem Tag würde er es kaum schaffen, noch einmal zurückzukommen.
Trotzdem nahm er direkt Kurs in die Richtung, in der er das Dorf vermutete. Nach etwa drei Stunden traf er dort ein. „Police?“, fragte er die Leute am Hafen. Jemand führte ihn zu einem Haus, wo ein Beamter wohnte.
Er konnte ihm aber nicht klarmachen, was er gefunden hatte. Zuerst mussten sie einen Dolmetscher suchen, was wieder Zeit in Anspruch nahm. Erst kurz vor Einbruch der Dunkelheit konnte Merz endlich über seinen Fund sprechen. „Ich habe eine Leiche gefunden“, begann er seinen Bericht. „Am Ufer auf der anderen Seite. Keine ganze, nur einen Oberkörper.“
Der Dolmetscher unterbrach ihn. „Moment, nicht zu viel auf einmal.“ Er trug dem Polizisten die Aussage von Merz vor. Dieser stellte auch eine Frage: „Wann und wo genau?“
Merz erklärte ihnen, wo seine Hütte lag, dass er an der Küste entlang gefahren war. Wozu, das verschwieg er natürlich. „Ich habe sie auf den Strand geschoben. Sie müssen sie abholen!“
Der Polizist antwortete sofort. „Wenn die Leiche am Strand liegt, dann wird sie von Tieren verschleppt. Wir müssen gleich los, sonst finden wir gar nichts mehr. Haben Sie die Koordinaten?“
Merz schüttelte den Kopf. „Nein, so was kann ich nicht bestimmen. Wir müssen am Ufer entlang fahren, dann kann ich Ihnen die Stelle zeigen.“
„Mit dem Polizeiboot können wir in der Nacht nicht so dicht ans Ufer, wir laufen auf Grund“, erklärte ihm der Polizist. Er machte eine Pause. „Ich werde einen Hubschrauber anfordern. Damit sind wir schneller.“ Er eilte ans Telefon. Jemand brachte Merz Kaffee, dazu einen Schnaps, der ihm sehr gut tat.
Nach einer halben Stunde hörte man das unverwechselbare Geräusch eines Helikopters. Der Polizist forderte Merz und den Übersetzer auf, mitzukommen. Merz kletterte in die Maschine. Mit einem Hubschrauber war er noch nie geflogen. Unheimlich, mit welcher Geschwindigkeit sich die Maschine in die Nacht warf. Natürlich gab es einen Suchscheinwerfer, aber auf dem Meer verlor sich das Licht. Merz krampfte sich an seinem Sitz fest.
Kaum eine Viertelstunde später erreichten sie das andere Ufer. Um dann der Küstenlinie zu folgen. Hier zeigte der Scheinwerfer etwas mehr Wirkung, Merz starrte gebannt auf die Erde. Nach einer halben Stunde entdeckte er die Fundstelle wieder.
Der Klumpen, den er am Strand zurückgelassen hatte, war inzwischen ein Stück landeinwärts gewandert. Etwas oder Jemand hatte die Rippen auseinandergerissen. Der Klumpen sah nicht mehr so kompakt aus, wie Merz ihn zuletzt gesehen hatte.
Der Anblick, deshalb umso scheußlicher. Merz wandte sich ab. Der Hubschrauberpilot fand eine Stelle um zu Landen. Alle, bis auf Merz, sprangen aus der Maschine, um sich die Sache anzusehen.
Schließlich schlenderte der Polizist mit dem Dolmetscher zu ihm zurück. “Wir warten nur noch ab, bis das Polizeiboot eintrifft! Dann fliegen wir zurück. Haben Sie gesehen, die Leiche ist schon angefressen. Bis morgen wäre nur noch die Kleidung übriggeblieben.“
Merz schauderte. Ihm war plötzlich kalt. Der Polizist verstand offenbar, wie er sich fühlte, und ließ ihm eine Decke bringen.
Es verging eine weitere Stunde, bis die Küstenwache eintraf, um den Fund zu sichern. Merz verkroch sich in seiner Decke. Die Zeit verging quälend langsam. Endlich konnten sie ins Dorf zurückfliegen.
Merz wurde in ein Hotel gebracht. „Fragen können Sie morgen beantworten“, hatte ihm der Dolmetscher übersetzt.
Merz stellte sich vor, heute Nacht in der einsamen Hütte zu übernachten. Nur der Gedanke daran, ließ ihn erstarren. Nie mehr im Leben würde er so allein eine Nacht in Ruhe verbringen können. Ganz sicher.
Immer wieder kam das Bild hoch, wie er ins Wasser gegriffen hatte…
Er legte sich auf das Bett und achtete darauf, nicht einzuschlafen. Wenn er träumen würde? Das konnte er nicht aushalten.
Gegen Morgen schlief er trotzdem ein. In dieser Nacht blieb ihm ein Traum erspart.
Jemand klopfte an seiner Zimmertür. Merz schreckte auf und sah auf die Uhr. Zehn schon vorbei. „ Ja, bitte!“, rief er.
Der Dolmetscher von gestern betrat sein Zimmer. „Guten Morgen, Herr Merz. Habe ich Sie geweckt?“
„Kein Problem“, murmelte Merz. „Es ist ja auch an der Zeit zum Aufstehen.“
„Können wir uns um elf Uhr auf der Polizeistation treffen? Sie sollten noch ein Protokoll unterschreiben.“
„Ja, ich komme natürlich“, antwortete Merz.
„Man hat für Sie ein Frühstück zurückbehalten“, sagte der Dolmetscher.“ Wenn Sie möchten, leiste ich Ihnen Gesellschaft?“
„Bitte, wenn Sie wollen.“ Merz war wie immer am Morgen, kurzangebunden.
Der Mann verließ sein Zimmer und Merz erledigte seine Morgentoilette. Danach suchte er den Frühstücksraum auf.
Er hatte Mühe, etwas zu essen. Die Erlebnisse von gestern drängten sich noch zu frisch in seine Gedanken.
Der Dolmetscher bemühte sich, ihn aufzuheitern. „Geht es Ihnen schon ein wenig besser? Das muss ein Schock gewesen sein, was Sie da gestern gefunden haben. Gut, dass die Leiche keinen Kopf gehabt hat! So ist es nur ein Stück Fleisch.“
Merz konnte diese Ansicht nicht teilen. Er legte das angebissene Brötchen zur Seite und nahm einen Schluck Kaffee.
Der Dolmetscher merkte, dass er besser nicht davon angefangen hätte und entschuldigte sich. „Ich wollte Ihnen nicht den Appetit verderben. Es tut mir leid.“
„Das können Sie auch nicht. Ich habe keinen“, antwortete Merz sarkastisch.
Sie schwiegen einige Minuten. Dann wurde es Zeit, die Polizeistation aufzusuchen. Der Beamte begrüßte ihn äußerst freundlich. Er zeigte deutlich mehr Gespür für den Zustand von Merz, als der Dolmetscher.
„Wollen wir das schnell hinter uns bringen?“, ließ er übersetzen.
Merz nickte. „Ja, was muss ich tun?“
„Ich lese Ihnen das Protokoll vor und wenn Sie damit einverstanden sind, unterschreiben Sie es bitte!“
Er