Wenn Luftschlösser flügge werden. Marie Lu Pera

Wenn Luftschlösser flügge werden - Marie Lu Pera


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Ist das nicht der Sinn an solchen Höllenmaschinen? Ans Limit zu gehen, meine ich.

      Höllenmaschine … ob Adam es schaffen wird? Was, wenn nicht? Was, wenn das mit dem Elektroschocker-Ding zu spät gekommen ist.

      Erneut schnippt er mit den Fingern. „Hallo? Krieg ich heute noch eine Antwort?“, verlangt er gelangweilt.

      „Ich weiß es nicht. Ich hatte kein Messgerät, wenn Sie das meinen“, motze ich erschöpft. Wieso lüge ich? Oder sage ich die Wahrheit? Naja, er war schon schnell unterwegs. Aber war das zu schnell? Wie schnell darf man dort überhaupt fahren? Wenn er tot ist, ist das doch egal, oder? Und wenn er lebt doch auch. Was rede ich hier eigentlich?

      „Aber du hast doch einen subjektiven Eindruck. Ist er an dir vorbeigebraust?“, hakt Doof nach, der gerade ein winziges Stück vorwärtsgetaumelt ist, weil Adams Mum so stark gegen die Tür drückt. Sogleich stemmt er sich wieder dagegen.

      Ich hebe ratlos die Schultern hoch. „Ich war mit dem Fahrrad unterwegs. Da ging es bergauf. Da ‚braust‘ sogar ein vollbeladener Truck an einem vorbei“, raune ich. Sie senden sich Blicke zu, die irgendwie stark ins Genervte übergehen.

      „Kennst du den Unfalllenker?“, ist Dicks nächste Frage.

      „Ja. Adam Laurren. Wir gehen in dieselbe Klasse“, antworte ich.

      „Seid ihr befreundet?“, will einer von ihnen wissen.

      Ich schüttle den Kopf und verdränge die Bilder, als ich Adam den Helm vom Kopf gezogen habe wieder ins hinterste Hinterstübchen zurück. Ich streiche mir über die Lippen, da ich die Kälte, die von ihm ausging, immer noch darauf spüren kann.

      Er sah so friedlich aus – ha, wie soll man denn sonst bitteschön aussehen, wenn man tot ist – werfe ich mir in Gedanken vor. Aber sogar seine braunen, lockigen Strubbelhaare, die ihm immer überall abstehen, sodass er sie ständig aus der Stirn streichen muss, hatten ihren Glanz verloren. So als wär er eine Blume, die langsam verwelkt.

      Tränen fluten sogleich meine Augen. Sie haben ihn gleich in den OP gefahren. Was gerade mit ihm passiert, weiß ich nicht.

      Ein weiteres Schnippen reißt mich aus dem Fixieren eines toten Punktes im Raum. Das nervt schön langsam.

      „Du siehst etwas durcheinander aus“, stellt Dick fest. „Sollen wir deine Eltern anrufen, damit sie dich abholen kommen?“ Lass dein Mitleid stecken.

      „Nein, ich komm schon klar“, winke ich ab. Wieder eine Lüge. Vom Klarkommen bin ich grad so weit entfernt wie ein armer Schlucker von einem Lottosechser.

      „Wir fahren lieber zur Unfallstelle – hier kommen wir nicht weiter“, flüstert Dick Doof zu. Allerdings so laut, dass ich alles verstehen konnte.

      „Deine Personalien haben wir ja von den Sanitätern“, stellt Doof fest. Echt? Wow, dass ich meinen Namen und Adresse richtig von mir geben konnte, wundert mich selbst grad am meisten. Muss wohl noch im Krankenwagen passiert sein. Das geschah wohl instinktiv automatisch, denn ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern. Die waren das dann wohl auch, die meine Schuhbänder mit den doppelten Maschen zugebunden haben. Zumindest kann ich mich nicht daran erinnern, dass ich das war. Da hatte wohl jemand Humor – oder Kinder zu Hause.

      „Wir melden uns, wenn wir noch Fragen haben. Sollte dir noch etwas Brauchbares einfallen, ruf im Büro des Sheriffs an.“ Mit den Worten sind sie auch schon zur Tür raus.

      Die Art und Weise wie er die Worte „etwas Brauchbares“ betont hat, lässt mir Schauer über den Rücken gleiten. Es ist ihm egal, was hier passiert ist. Es ist für ihn reine Routine. Ein weiterer Fall für die Akten, der ihn vom Feierabendmachen abhält.

      Ich ziehe die Knie hoch und presse sie an meinen Körper. Und was jetzt? Geht das Leben einfach so wieder seinen gewohnten Lauf? So als hätte man bei einer DVD kurz die Pause-Taste gedrückt, um aufs Klo zu gehen. Sollte ich mir einreden, das wär bloß alles ein Film gewesen, bei dem ich nur Zuschauer war? So viel Vorstellungskraft hab nicht mal ich – und ich bin eigentlich Meister im Luftschlösserbau.

      Als ich ein paar Minuten später nach draußen trete, erwische ich Adams Eltern, die in eine lautstarke Diskussion mit den Bullen verwickelt sind.

      „Mein Sohn nimmt keine Drogen oder trinkt Alkohol“, ruft Adams Dad aufgebracht, während seine Mum nur noch mit in die Hüften gestemmten Armen dasteht, als könnte sie die Beamten mit der puren Kraft ihrer Gedanken eins über die Rübe ziehen.

      Naja, also da hab ich was anderes gehört. Immerhin sollen die Partys bei den Laurrens legendär sein. Naja, zumindest wenn Mum und Dad nicht zu Hause waren. Nicht, dass ich da jemals eingeladen gewesen wäre. Man hört geflüsterte Geschichten am nächsten Schultag und diejenigen, die mit der Bowle über die Stränge geschlagen haben, stechen deutlich hervor. Natürlich wussten sie nicht, dass da Alkohol drin war – wers glaubt.

      Als mich die Laurrens erspähen, lösen sie sich vom Verhör der Cops, stapfen zu mir rüber und nehmen mich von beiden Seiten in die Mangel. Ich mache mich so klein wie möglich, damit ich weniger Angriffsfläche biete.

      „HAST DU IHNEN DIESEN FLOH INS OHR GESETZT, MEIN SOHN WÄR EIN JUNKIE?“, brüllt mich sein Dad an und packt mich sogar am Kragen.

      Ich bin wie erstarrt, schaffe es nicht mal, einen Piep von mir zu geben.

      „Was hast du ihnen erzählt? Was macht sie überhaupt hier?“, herrscht mich seine Mum an.

      Die Cops eilen mir sogleich zur Hilfe. „Mister Laurren, das sind Standardfragen. Lassen Sie die Zeugin los“, verlangen sie. Zeugin?

      Nun wendet sich Adams Mum wieder den Cops zu. „Sie glauben doch nichts, was dieses Mädchen ihnen gesagt hat. Sie will sich sicher nur wichtigmachen.“ Ja, vielen Dank aber auch. „Gar nichts hat sie gesehen. Mein Junge hat sich immer an die Verkehrsregeln gehalten.“ Naja, da wär ich mir aber nicht so sicher. „Wir sind rechtschaffene Bürger“, prustet sie mit stolzgeschwellter Brust.

      Ihre Nägel graben sich in meinen Arm, da reiße ich mich los und stoße sie aus einem Impuls heraus von mir. Aua, das hat wehgetan.

      Bei ihr hat Schnappatmung eingesetzt.

      „Haben Sie das gesehen? Sie hat mich angegriffen“, petzt sie. Glücklicherweise geht keiner darauf ein. Naja, außer Mister Laurren, der mir droht, mich nach Strich und Faden zu verklagen. Dabei benutzt er das Wort „Rufmord“. Ich weiß nicht, was das genau bedeutet. Es zieht mich aber nur noch weiter runter. Vom Tod hab ich heute genug.

      Mein Kopf tut weh und ich fühl mich total mies, also quetsche ich mich zwischen den Laurrens durch und laufe aus der Notaufnahme.

      *******

       Ein paar Tage später

      „Miss Pears?“ Die Bullen sind hier – ich fass es nicht. Die kommen tatsächlich zu mir in die Arbeit. Alle kucken schon. Mein Vorarbeiter sieht alles andere als begeistert aus.

      Ich versuche, die Gurken so gut es geht ins Glas zu stopfen, ohne die Arbeit am Fließband zu unterbrechen. Dann gibt’s nämlich richtig Ärger.

      Zu meiner Verteidigung: Es sind Ferien und es bringt Kohle.

      „Wir haben noch ein paar Fragen“, erklärt Doof ihr Auftreten.

      „Ich muss arbeiten“, rede ich mich raus – darauf bedacht, den Kopf einzuziehen, um nicht noch mehr Aufmerksamkeit meiner Mitstreiter im Kampf Gurke gegen viel zu enges Glas abzukriegen.

      „Das geht auch so. Beantworte uns einfach die Fragen, dann sind wir weg.“ Wieso klingt das grad wie eine Drohung?

      „Wir haben dein Fahrrad gefunden. Ist ziemlich verbeult.“ Das wollte ich heute nach der Arbeit holen gehen. Toll. „Hat dich der Junge auf dem Motorrad abgedrängt?“, knallen sie mir gleich die Hammerfrage hin.

      „Ich hab mich von dem Knall des Unfalls erschrocken und bin von der Straße abgekommen“, erkläre ich, ohne den


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