Wenn Luftschlösser flügge werden. Marie Lu Pera
Schauspiel mit offenen Mündern geben.
„Ich hab mir schon immer ein Baby gewünscht. Er ist ja so hilflos“, stoße ich gekonnt dramatisch aus.
„Das reicht jetzt“, wendet Adams Dad ein. Eigentlich lässt die Vehemenz in seiner Stimme keinen Zweifel zu, dass er es ernst meint und seine Geduld jetzt am Ende ist, doch ich lasse mich davon nicht einschüchtern.
Wieder will ich Adam Essen reinschaufeln, doch er schlägt mir die Gabel aus der Hand. Dann greift er nach den Ringen an seinem Gefährt – will flüchten – doch ich schiebe mein Bein zwischen die großen Hinter- und die kleinen Vorderräder seines Rollstuhls, sodass er festsitzt.
Als wär nichts gewesen, esse ich weiter, während er versucht, abzuhauen. Das tut ganz schön weh, wie er mein Bein mit den Rädern immer wieder einquetscht, aber ich hätte mir eher das Körperteil abgebissen, als ihn gehenzulassen.
Adams Dad räuspert sich. Mit einem „Wie geht es dir in der Schule, Rose?“ will er wohl krampfhaft das Thema wechseln. Mich wundert es ehrlich gesagt, dass er mich noch nicht selbst vor die Tür verfrachtet hat.
„Gut, danke der Nachfrage, Mister Laurren. Wann geht denn Adam wieder zur Schule?“, will ich wissen.
„Adam möchte zu Hause unterrichtet werden“, informiert mich sein Vater.
Ich sehe Adam an, der es aufgegeben hat, freizukommen und mich gerade mit der puren Kraft seiner Gedanken zu töten versucht. „Oh stimmt“, bemerke ich, „Er muss ja alles wieder neu lernen. Wie man spricht, isst, … wie man sich benimmt“, konnte ich mir einfach nicht verkneifen.
Richard ist ein Grinsen entwischt, das er zu spät vor uns verbergen konnte. Seine Freundin sieht ihn furienmäßig an und meint: „Das ist nicht witzig. Sie macht sich über ihn lustig. Wie pietätlos ist das denn?“ Was bedeutet denn bitteschön „pietätlos“?
Ich kommentiere ihre Aussage ebenfalls mit einem Grinsen, mit dem mich Richard angesteckt hat.
„Zumindest brauchen wir nicht um unser Essen zu betteln“, murmelt Adam, sodass es jeder bei Tisch hören konnte.
Man könnte eine Stecknadel im Raum fallen hören. Das hat echt wehgetan. Natürlich wissen auch die Laurrens, dass wir nicht so viel Geld wie sie haben. Und wie das so mit Gerüchten ist, hält sich eines davon hartnäckig, das er gerade gegen mich verwendet. So viel zu dem Kaff, in dem sich alles rumspricht.
„Du bist echt ziemlich großkotzig für jemanden, der eine zweite Chance gekriegt hat“, zische ich.
Adam schlägt mit geballter Faust so hart auf den Tisch, dass alle zusammenzucken – mich mit eingeschlossen. Angestrengt fixiere ich ihn. Die Ader an seiner Schläfe pocht vor Zorn und er sieht aus, als würde er mir gleich eine verpassen.
Fuchsteufelswild raunt er wie ein Wahnsinniger: „Ich habe nie um eine zweite Chance gebeten. Ich wär lieber tot, als an dieses Ding gefesselt, aber du musstest ja auftauchen und pfadfindermäßig die Kavallerie rufen. Hast dir schön ein Abzeichen verdient. Bist du hier, um dir die Belohnung abzuholen?
Weißt du was, ich hasse dich. Ich ertrage deine Anwesenheit nicht. Wenn ich könnte, würde ich dir dasselbe antun, was du mir angetan hast. Ich wünschte, du wärst einfach vorbeigefahren und hättest mich verrecken lassen.“ Wie Nadelstiche prasseln diese niederträchtigen Worte auf mich herab.
Aus einem Impuls heraus springe ich hoch und knalle ihm eine schallende Ohrfeige runter, die dicke, rote Male an seiner Wange hinterlässt.
Anne hat sogar einen Schrei losgelassen, der diese grauenhafte Szene untermauert.
Einige Sekunden starren wir uns nur an. Sein aggressiver Blick und das Schnauben, mit dem er sich im Zaum zu halten versucht, nicht selbst mit der Hand auszuholen, bohren sich direkt in meine Eingeweide.
Als ich das nicht mehr länger ertragen kann, flüchte ich zur Tür raus – darauf bedacht, die Flut an Tränen, die sich anbahnt, noch bis ich draußen bin einzudämmen.
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In letzter Zeit geht mir das Gurkenstopfen viel leichter von der Hand als sonst. Naja, liegt wahrscheinlich an der unbändigen Wut, die ich an dem unschuldigen Gemüse auslasse, wenn ich an das Aufeinandertreffen mit Adam vor ein paar Tagen denke. Ich hab das Essen immer noch nicht so richtig verdaut – es liegt mir im Magen wie ein Stein. Ab irgendeinem Zeitpunkt ist da etwas total schief gelaufen.
Als meine Sonntagsschicht gegen fünf zu Ende ist, trete ich mit meinem Rad die Heimreise an. Vor dem Anwesen der Laurrens, das blöderweise direkt auf meinem Heimweg liegt, treffe ich auf den joggenden Richard, der mir von Weitem zuwinkt. Toll, ich hab jetzt echt keinen Bock darauf, das wieder alles durchzukauen. Ich hab schon genug daran zu knabbern.
„Hallo Richard, wie geht’s?“, frage ich ihn in der Hoffnung, er möge mich schnell wieder weiterziehen lassen, als er leichtfüßig auf mich zukommt.
„Kann nicht klagen und dir?“, trällert er quietschvergnügt. Okay, er ist wohl nicht nachtragend, weil ich seinen Bruder gehauen habe.
Ich zucke nur mit den Schultern. Richard sieht zum Haus rüber und meint: „Ganz schön gruslig da drin zurzeit. Adam führt ein strenges Regiment.“
„Selbst schuld, wenn ihr ihm die Führung kampflos überlasst“, entgegne ich. „Wie kommst du damit klar?“
Er lächelt und rauft sich die Haare. „Ist ganz schön schwer. Immerhin hat es ihn echt übel erwischt. Er geht nie nach draußen. Heute hab ich ihn gefragt, ob er neben mir herfahren will, wenn ich jogge, da ist er fast ausgerastet. Seine Freunde hat er auch schon vergrault. Die kommen schon lange nicht mehr her – haben es aufgegeben. Adam wollte sie nicht sehen – hat sie einfach weggeschickt, ohne sie zu empfangen. Er bunkert sich da drin ein und leidet vor sich hin.“ Ach du Scheiße.
Plötzlich ertönt ein klirrendes Geräusch aus der Richtung des Anwesens und etwas, das aussieht wie ein Stuhl, fällt vom ersten Stock und zerschellt auf der Terrasse.
„Das ist Adams Zimmer“, stößt Richard aufgebracht aus und aktiviert unsere Beine, die uns schnell die Einfahrt überqueren lassen.
Das Herz schlägt mir bis zum Hals. Ich ahne bereits Schlimmes, da passieren wir gerade die Eingangstür der Villa.
Gemeinsam sprinten wir die Treppen in den ersten Stock hoch. Richard stemmt sich gegen eine Tür, hinter der ich Adams Zimmer vermute.
Sie ist abgeschlossen. Prima.
„ADAM, MACH AUF!“, brüllt sein Bruder und hämmert gegen die massive Holztüre. Ich halte mir die Hand vor den Mund, um die Panik zu vertreiben, die in mir hochsteigt. Er will sich runterstürzen.
„Ich hole etwas, damit wir die Tür aufbrechen können“, sagt Richard, als er erkennen muss, dass seine Schulter gegen Mahagoni im Nachteil ist und verschwindet.
„ADAM!“, brülle ich, während ich mich mit einer meiner Haarklammern am Schloss zu schaffen mache.
Verdammt. Was sagt man bloß jemandem, um ihn davon abzuhalten, sich in die Tiefe zu stürzen? Gerade merke ich, dass ich wohl hier die absolut falsche Person bin, die ihn davon abhalten kann. Immerhin hat er ja zugegeben, mich zu hassen. Seine Worte treten schlagartig wieder in mein Bewusstsein: „Ich ertrage deine Anwesenheit nicht. Wenn ich könnte, würde ich dir dasselbe antun, was du mir angetan hast. Ich wünschte, du wärst einfach vorbeigefahren und hättest mich verrecken lassen.“
Ich schüttle die Worte ab. „Das ist nicht hoch genug“, versuche ich Zeit zu schinden, während ich mit dem Teil am Schloss herumfummle. „So brichst du dir nur den Halswirbel und dann hast du nicht mal mehr deine Arme, um dich umzubringen.“ Was rede ich da? Scheiße, was Besseres fällt mir gerade nicht ein. „Adam?“ Das Schloss klackt im nächsten Moment auf. Tja, ich habs immer noch drauf.
Wie eine Irre stürme ich rein, da erkenne ich, dass er sich auf den Schreibtisch hochgestemmt hat und sich gerade zur Fensterbank zieht.
Bevor