Wenn Luftschlösser flügge werden. Marie Lu Pera

Wenn Luftschlösser flügge werden - Marie Lu Pera


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zu halten, egal wie oft er mir eine mit seinem Ellbogen verpasst.

      Wie ein Schlosshund heule ich stille Tränen in sein T-Shirt, während ich ihn fest an mich drücke.

      „Adam, hör auf dich zu wehren“, beschwört ihn sein Bruder, der scheinbar zurück ist, was Adam in seiner Rage wohl nicht mitbekommt.

      Richard stürmt näher an uns heran, kniet sich vor seinen Bruder und versucht, sein Zappeln zu unterbinden. Auch ihm steht der Schock deutlich ins Gesicht geschrieben.

      „Was wolltest du tun?“, haucht er total fertig mit den Nerven. Ist das nicht offensichtlich?

      „VERSCHWINDET!“, brüllt Adam wie am Spieß und beginnt wieder, mit den Armen wilder um sich zu schlagen.

      Bei mir brennen gerade ein paar Sicherungen durch, denn ich schlage einen Arm um seinen Hals und drücke fest zu, sodass ich ihn so richtig schön würge. Er versucht zwar, meinen Arm wegzuziehen, hat aber mittlerweile so viel Muskelmasse eingebüßt, dass er es nicht schafft. Früher hätte ich nicht den Hauch einer Chance gegen ihn gehabt. Doch jetzt ist alles anders.

      „Jetzt hör mal gut zu, du Scheißkerl“, stoße ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Meine Worte werden von seinen erstickten Lauten unterbrochen.

      „Rose“, tastet sein Bruder an, aber ich ignoriere ihn.

      „Du willst also verrecken. Also gut, aber wenn du dich schon umbringen willst, dann tu es irgendwo, wo dich nachher niemand finden muss. Damit zumindest deinem Bruder der Anblick erspart bleibt. So etwas verfolgt einen nämlich sein ganzes Leben lang. Nicht nur am Tag, auch nachts, jedes Mal wenn du die Augen zumachst und du wünschst dir nur eins, diese Scheiße endlich vergessen zu können, aber du kannst es nicht. Egal, wie sehr du es versuchst. Es hat sich in jede deiner Gehirnwindungen gebrannt. Unauslöschlich.“ Adam röchelt lautstark und sein Widerstand wird auch deutlich schwächer.

      „Rose“, verlangt Richard, da lasse ich von seinem Bruder ab, der sich die Seele aus dem Leib hustet. Ich wische mir die Tränen von den Wangen und versuche, mich zu beruhigen.

      Richard stellt den Rollstuhl wieder auf, der umgekippt ist und wuchtet seinen Bruder hinein. Ich setze mich erschöpft auf Adams Bett, ziehe die Beine an meinen Körper und lege die Stirn auf meine Knie.

      „Raus hier!“, befiehlt Adam, als er wieder bei Atem ist.

      Richard will schon zur Tür gehen, da bestimme ich: „Bleib hier. Schließ die Tür ab und setz dich. Er erträgt jetzt unsere Gegenwart genauso, wie wir die seine ertragen müssen.“

      „Verschwindet!“, herrscht uns Adam erneut an.

      Richard steht einige Sekunden lang unschlüssig da, tut aber dann, wie ihm geheißen und nimmt neben mir am Bett Platz.

      „Ruf einen eurer Angestellten an. Die sollen das Chaos in der Einfahrt beseitigen. Deine Eltern bekommen sonst einen Herzinfarkt, wenn sie das sehen“, verlange ich. Richard zückt sein Handy und gibt die notwendigen Anweisungen weiter.

      Adam hat uns den Rücken zugekehrt, nachdem er vergeblich versucht hat, seinem Bruder den Schlüssel abspenstig zu machen, mit dem er seine Zimmertür zuvor versperrt hat.

      Nun sitzen wir hier – jeder damit beschäftigt, schweigend seinen Gedanken nachzuhängen. Mein Blick schweift in Adams Zimmer umher. Eigentlich hätt ich es mir ganz anders vorgestellt. Es wirkt so … unpersönlich. Naja, was hatte ich erwartet? Basketball-Poster oder nackte Models an den Wänden – ja, definitiv nackte Frauen. Und es könnte um einiges unordentlicher und schmuddeliger sein. Ein echtes Zimmer für Jungs eben. Nicht dieser sterile Raum ohne persönliche Gegenstände. Hier gibt’s nicht mal so einen kleinen Basketballkorb über dem Mülleimer.

      Nach ein paar Minuten lächle ich und breche unser Schweigen mit den Worten: „Bei meiner Grandma war immer was los. Nach der Schule bin ich oft mit dem Rad zu ihr gefahren.

      Einmal hat sie einen alten Staubsauger im Garten mit ‘ner Stange Dynamit gesprengt. Sie war wohl leicht pyromanisch veranlagt.

      Sie hat immer gesagt, sie liebt es, der Zündschnur beim Abbrennen zuzusehen. Es gäbe nichts Schöneres, als dieses Geräusch und die Vorfreude auf das, was kommt. Dann hat sie ‚PANG!‘ gerufen und mich fast zu Tode erschreckt. Sie fand das ziemlich komisch. Ich eher weniger.“

      Richard lächelt scheu, da fahre ich fort: „Meine Eltern haben mir verboten, sie zu besuchen, weil sie sie für verrückt hielten – was sie auch definitiv war. Nein warte, verrückt triffts nicht ganz – sie war absolut durchgeknallt. Das hat mich natürlich nicht davon abgehalten, mich heimlich zu ihr zu schleichen.

      Als ich es ihr erzählt habe, warum ich sie nicht mehr besuchen darf, hat sie so gelacht, dass ihr die Tränen gekommen sind. Daraufhin sagte sie: ‚Rose, versprich mir, dass du verrückter wirst als ich. Sonst hältst du im Leben nicht lange durch.‘ Naja, immerhin hat sie mir beigebracht, wie man Schlösser knackt.“ Ich blicke in die Runde.

      Adam hat sich nicht vom Fleck gerührt und Richard hat schon wieder etwas mehr Farbe im Gesicht. „So, genug in Erinnerungen geschwelgt, jetzt gehen wir spazieren“, fordere ich. Richard runzelt die Stirn, hat aber keine Chance, denn ich kralle mir den Schlüssel aus seiner Hand, schnappe mir Adam und rolle ihn durch die Tür, die ich vorher geöffnet habe.

      „Ich will nicht rausgehen“, wehrt er sich.

      „Das ist mir scheißegal, was du willst“, motze ich ihn an.

      Ein Treppenlift bringt Adam ins Erdgeschoss. Richard hilft mir dabei, das Teil zu bedienen. Unten angekommen schnappe ich mir Adam wieder und rolle ihn nach draußen. Gerade ist sein Vater mit dem Wagen vorgefahren.

      „Hi, Mister Laurren“, winke ich ihm zu. „Wir gehen spazieren.“

      „Das ist eine gute Idee“, pflichtet er mir eher zaghaft und mit angehobenen Augenbrauen bei. Er hat mir die Backpfeife für seinen Sohn wohl noch nicht ganz verziehen. Aber da Richard uns begleitet, ist es wohl für ihn okay.

      „Übrigens“, halte ich Adams Dad zurück, bevor er in Richtung Garage verschwinden kann. „Ich hab das Fenster in Adams Zimmer kaputtgemacht. Ich dachte, ich könnte so gut werfen wie er früher beim Basketball. Klassischer Fall von Selbstüberschätzung. Natürlich bezahl ich es. Könnte aber noch ein wenig dauern. Ungefähr noch ein paar Jahre.“ Oder Jahrhunderte. Wer weiß das schon so genau. „Sie wissen ja, die Wirtschaftskrise“, beschwichtige ich.

      Adams Dad hat erneut die Augenbrauen angehoben, während mich Richard ansieht, als würd ich nicht alle Tassen im Schrank haben.

      Als wir außer Hörreichweite sind, fragt er: „Wieso hast du die Schuld auf dich genommen?“

      „Die drehen schon durch, wenn er sein Tellerchen nicht leergegessen hat. Zum Schluss verpassen sie ihm einen Psychologen“, verteidige ich mich.

      „Den hat er schon. Der kommt immer dienstags“, erwidert Richard, der neben mir her schlendert.

      „Meine Fresse“, murmle ich.

      „Ich bezahle das Fenster“, bestimmt er. Ich stoppe und wende mich ihm zu.

      „Willst du dich mit mir anlegen?“, drohe ich ihm.

      Er hebt beschwichtigend die Hände. „Keineswegs. Ich dachte nur“ „Du solltest jetzt das Denken einstellen, bevor ich richtig sauer werde. Du hast ja gesehen, was dann passiert. Nicht wahr, Adam“, unterbreche ich ihn und spreche das Häufchen Elend an, das wieder dazu übergegangen ist, den Kopf hängenzulassen.

      Richard nickt unbehaglich.

      Wir erreichen einen kleinen Teich, an den ich Adam schiebe. Wow, was für ein Anwesen. Versailles kann baden gehen. Die haben auch symmetrisch angelegte Gärten und sogar diese Hecken in Tierformen.

      „Okay, genug frische Luft geschnappt. Lass uns zurückgehen. Es wird schon dämmrig“, schlage ich nach ein paar Runden um den Teich vor, drehe mich um und gehe.

      In der Bewegung


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