Im Zeichen des Rosenmonds. Karl-Heinz Biermann
lenkte sein Taxi von der Hauptstraße in eine Seitenstraße ab. „Ich umfahre den Stau, scheint länger zu dauern.“
Der Mann nickte kurz.
„Sie sind nicht aus Hamburg?“, fragte Yusuf, obwohl er schon längst eingeschätzt hatte, dass sein Fahrgast ein Reisender war.
Der Mann schüttelte kurz mit dem Kopf. „Ich bin gerade angekommen.“
„Sagen Sie, wie geht das eigentlich, wenn Sie schon so lange in Deutschland leben und arbeiten, haben Sie dann einen türkischen Pass oder einen deutschen?“, wollte er nach einer Weile, in der sie beide geschwiegen hatten, wissen.
„Ich hab irgendwann die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen und auch einen deutschen Pass, meinen türkischen musste ich abgeben.“
„Aha, so ist das.“ Der Mann schwieg wieder eine Zeit lang. „Sie erwähnten vorhin Ihre Familie, Sie sind also verheiratet.“
Yusuf zögerte mit einer Antwort, er hatte nicht erwartet, dass sein Fahrgast sich so ausgiebig nach ihm erkundigen würde, er schätzte ihn als arrogant ein. Er sah im Spiegel, dass der Mann auf eine Antwort wartete.
„Klar.“ Yusuf sagte es etwas unwirsch, er sprach nicht gerne über seine Frau und auch nicht über seine Ehe. Was sollte er auch groß erzählen, er war schon lange verheiratet. Seine beiden Kinder waren erwachsen und aus dem Haus und sein Eheleben ging niemanden etwas an. Seine Kinder, ja, auf die war er stolz, und er wollte anfangen, von ihnen zu erzählen, doch der Mann ließ ihn nicht zu Wort kommen.
„Ist dies Ihr eigenes Taxi?“
„Nein, nein, ich fahre für eine Firma, das ist sicherer. Habe keinen Ärger und regelmäßigen Verdienst.“
Yusuf rief sich ins Gedächtnis, wie oft er dem Wunsch nach einem eigenen Taxi nachgehen wollte und es nie dahin gebracht hatte. Wie oft sie in Streit gerieten, wenn seine Frau von ihm forderte, dass er es zu etwas bringen sollte. Es war nicht nur am fehlenden Geld gescheitert, er wusste nur zu gut, dass er immer den für ihn bequemsten Weg gegangen war. Jetzt, wo er älter wurde, sah er kaum noch eine Möglichkeit, in den Besitz eines eigenen Taxis zu kommen.
Der Mann unterbrach seine Gedanken. „Haben Sie Verwandte oder Bekannte in Istanbul?“
Yusuf schaute fragend in den Rückspiegel.
„Jeder Türke hat doch Verwandte in Istanbul“, sagte der Mann.
„Ja, einen Schwager, alle haben einen Schwager in Istanbul“, erwiderte Yusuf lachend.
„Sehen Sie, das sagte ich doch.“
„Ich habe ihn aber noch nie gesehen.“ Yusuf lachte wieder.
Der Mann schwieg. Er hatte einen Arm ausgestreckt auf seinem kleinen Koffer liegen und Yusuf hörte, wie er mit den Fingern darauf klopfte.
„Wir sind gleich da, es ist viel Verkehr heute. Sind Sie Geschäftsmann?“
„Ja, ich bin beruflich hier. Sagen Sie, kann ich Sie später wieder bestellen, nachdem Sie mich zum Hotel gebracht haben?“
Yusuf horchte auf. „Das geht schon, wenn ich nicht gerade eine Tour habe.“
„Das ist gut. Ich hätte es gerne, wenn Sie mich anschließend zu diesem Italiener fahren würden.“
Yusuf dachte an seine Provision.
„In Ordnung, ich schreibe Ihnen gleich meine Telefonnummer auf und Sie können mich anrufen. Ich komme so schnell es geht.“
Der Mann nickte stumm.
„Da vorne ist Ihr Hotel, wir sind da.“
Yusuf lenkte das Taxi in die Zufahrt und hielt die Wagentür auf. Von dem kleinen Koffer ließ er die Finger. Eilig kritzelte er die Nummer seines privaten Mobiltelefons auf die Rückseite einer Geschäftskarte der Taxifirma, für die er fuhr.
„Wann etwa brauchen Sie mich?“ Er reichte dem Mann die Karte.
„Kann ich nicht sagen, warten Sie auf meinen Anruf.“ Der Mann ging zum Eingang und der Portier machte ihm Platz. Ein anderer Hotelangestellter kam flink heraus. Yusuf sah, wie der Mann den Kopf schüttelte, als dieser den kleinen Koffer nehmen wollte. Der Angestellte ging hinten ans Taxi, öffnete den Kofferraum und Yusuf glaubte zu erkennen, dass ein zufriedenes Lächeln über dessen Gesicht flog, als er die Koffer herausholen konnte, um doch noch seinem Beruf eilfertig nachzukommen.
*
„Wir nehmen den Fisch, den Sie auf der Mittagskarte empfehlen“, sagte der Mann zum Kellner. „Ich nehme doch an, dass Sie auch den Fisch essen, oder?“, wandte er sich an Yusuf, der ihm gegenüber saß.
Yusuf nickte als Zeichen des Einverständnisses.
„Am Telefon meldete ich mich mit Schneider.“ Der Mann goss sich Weißwein ein. „Auch?“, fragte er und hielt die Flasche mit ausgestrecktem Arm über den Tisch.
„Nein, vielen Dank.“ Yusuf hielt die Hand über sein leeres Glas. Dann aß er vom Brot der Vorspeise und blickte kauend zu seinem Gastgeber.
„In Wahrheit heiße ich Blohm“, sagte der Mann.
Yusuf hielt inne und sah sein Gegenüber fragend an.
„Wie ich schon sagte, ich bin geschäftlich hier in Hamburg.“
„Und warum nannten Sie mir vorhin einen falschen Namen?“ Yusuf aß weiter, während er den Mann beäugte.
„Wissen Sie, mein geschäftlicher Auftrag verlangt Diskretion.“
Der Kellner brachte den Fisch und sie schwiegen in der Zeit, in der er ihn servierte.
„Sie kennen sich also in Istanbul aus?“, fragte Blohm dann.
„Mehr vom Durchfahren.“
„Würden Sie noch mal mit dem Auto in die Türkei fahren?“
Yusuf schluckte erst sein Essen runter, bevor er antworten konnte, und zuckte mit den Schultern. „Weiß ich nicht, könnte ich mir heutzutage nicht mehr vorstellen.“
„Weil Sie nicht mehr dahin müssen? Oder weil Sie nicht mehr können? Wie alt sind Sie?“
„Dreiundfünfzig, aber das hat nichts mit meinem Alter zu tun.“
„Eben“, nickte Blohm, „Sie sind doch ein Profi.“
Yusuf tat gleichgültig. „In welchem Geschäft arbeiten Sie?“, fragte er, um die Unterhaltung nicht einseitig werden zu lassen.
„Ich bin Kaufmann, Außenhandel.“
„Da verdienen Sie ganz ordentlich?“
„In der Branche so üblich“, sagte Blohm. Er winkte den Kellner herbei und bestellte eine Flasche Wasser.
„Wie lange bleiben Sie in Hamburg?“, fuhr Yusuf fort. „Ich kann Sie jederzeit fahren, wenn ich gerade frei bin, Sie brauchen mich nur anzurufen, wenn Sie zu Ihren Geschäftspartnern müssen, auch abends kann ich ...“
„Würden Sie mehr verdienen, wenn Sie ein eigenes Taxi fahren würden“, schnitt Blohm ihm das Wort ab, „ich meine eines, das Ihnen ganz alleine gehört?“
„Vielleicht, vielleicht lohnt sich’s“, antwortete Yusuf.
„Sie wären Ihr eigener Chef, Sie könnten Leute einstellen und vielleicht sogar ein kleines Unternehmen aufbauen.“
„Man merkt, dass Sie Geschäftsmann sind.“
„Das könnten Sie auch sein, erst ein eigenes Taxi, dann zwei, drei weitere dazu?“ Blohms Blick schien forschend.
„Lohnt sich heute nicht mehr; wenn ich noch etwas jünger wäre, dann vielleicht.“
„Für Geschäfte ist man nie zu alt, und so alt sind Sie außerdem nun auch wieder nicht.“
„Ja, schon,