Im Zeichen des Rosenmonds. Karl-Heinz Biermann
„Ganz richtig. Ich kann nicht mit Ihnen zusammen im Taxi die Grenze passieren, das würde eventuell Fragen aufwerfen. Warum sollte sich jemand den weiten Weg in die Türkei in einem Taxi fahren lassen? Nein, wir dürfen nicht zusammen über die Grenze, das gilt auch für die Rückreise.“
„Dann sollten Sie doch von Hamburg aus direkt nach Istanbul fliegen und wir treffen uns dort wieder. Warum nehmen Sie die lange Reise im Auto auf sich?“
„Leider bin ich im internationalen Geschäft so etwas wie, na sagen wir, eine bekannte Größe, im Moment zu groß.“ Blohm lachte. „Auf den Flughäfen sind die Kontrollen zurzeit sehr scharf.“
„Das hört sich aber doch nach einem Risiko an. Werden Sie gesucht?“
„Wo denken Sie hin, es ist alles im grünen Bereich. Ich werde eine andere Art des Grenzübergangs bevorzugen. Auf der Strecke von Sofia nach Istanbul verkehrt täglich ein Linienbus.“
„Aber auch der Bus muss an den Grenzbeamten vorbei.“
„Dafür ist vorgesorgt, ich habe noch einen zweiten Pass.“
„Auf den Namen Schneider, nehme ich an“, unterbrach Yusuf spöttisch.
„Kurz vor der Grenze werde ich in den Bus zusteigen“, fuhr Blohm unbeirrt fort.
„Und wir treffen uns wieder in Istanbul“, folgerte Yusuf.
„Genau, Sie bleiben auf dem letzten Teil der Fahrt immer in der Nähe des Busses, bis wir in Istanbul sind. Aber das erkläre ich Ihnen später noch mal.“
Yusuf bewegte langsam beifällig den Kopf. „Gut“, sagte er, „hört sich einfach an, vielleicht zu einfach.“
„Und wie gesagt, genauso machen wir es auch auf der Rückfahrt; ich fahre mit dem Bus hinter die Grenze, Sie gehen locker mit den Diamanten in einer einsamen Gegend hinüber und unser dritter Mann holt Sie auf der anderen Seite wieder ab. Von da aus geht’s direkt nach Hamburg und zwar ausschließlich durch EU-Länder. Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Slowenien, Tschechien, keine weiteren Kontrollen an den Grenzen. Alles soweit verstanden?“
Yusuf überlegte. „Ich muss für die Zeit der Reise Urlaub nehmen“, sagte er dann.
„Können Sie das kurzfristig klären?“
Yusuf nickte.
„Inzwischen kümmere ich mich um den Ankauf des Taxis“, sagte Blohm.
„Sollte ich nicht besser dabei sein? Ich kann Ihnen helfen und das Auto begutachten …“
„Das ist fast schon erledigt, danke für Ihr Angebot, aber sehen Sie zu, dass Sie möglichst schnell Urlaub bekommen. Ich denke, wir brauchen nicht länger als eine Woche für die Transaktion.“
„Wann wollen wir fahren?“, fragte Yusuf.
„Morgen“, antwortete Blohm, „morgen Nacht.“
2
Im fahlen Licht der Hotelzufahrt betrachtete Yusuf das Taxi, indem er es einmal umrundete. Dann setzte er sich in den Wagen, ließ den Motor an und schaltete das Licht ein. Sein Blick hing prüfend an den Anzeigen der Armaturen. Als er wieder ausgestiegen war, schaute er noch einmal durch die geöffnete Tür in das Wageninnere. Er kannte diesen Typ, er hatte ihn früher selbst lange gefahren und wusste, dass es ein sehr robustes Fahrzeug war, bei seinen Kollegen sehr beliebt.
„Ich darf annehmen, dass Sie sich ausgeschlafen haben und ausgeruht sind?“ Blohm, der neben seinen Koffern stand, sah auf Yusuf, der sich zu den Reifen bückte und sie inspizierte.
„Ich bin es gewohnt, nachts zu fahren.“ Yusuf ging nach hinten an den Wagen, öffnete den Kofferraum, schwang das Gepäck hinein und wunderte sich, dass Blohm es zuließ, dass er den kleinen Koffer, den er sofort wiedererkannte, anfassen und dazulegen durfte. Seine eigene, eine nicht allzu große Reisetasche, packte er zuletzt hinein.
„Wir werden kaum halten, höchstens zum Tanken“, sagte Blohm.
„In Ordnung, wenn es Ihnen nichts ausmacht?“, brummelte Yusuf.
„Ich werde das Vergnügen haben, die meiste Zeit schlafen zu können.“ Blohm lachte leise und stieg auf der Beifahrerseite ins Taxi.
„Was haben Sie für den Wagen bezahlt?“, fragte Yusuf, als er sich ans Steuer setzte.
„Wie ich Ihnen schon sagte, konnte ich mit dem Verkäufer handeln. Zwölftausend habe ich gegeben, nun liegt’s an Ihnen, in Istanbul mehr rauszuschlagen.“
Yusuf lenkte den Wagen langsam aus der Zufahrt in den zu dieser späten Stunde ruhig fließenden Verkehr und steuerte die Autobahn an. Blohm neben ihm stellte seinen Sitz in eine andere Position. Yusuf war es nicht gewohnt, dass seine Fahrgäste neben ihm Platz nahmen, er sah sie lieber hinten sitzen, wo er sie im Rückspiegel beobachten konnte.
Blohm war eingeschlafen, bevor sie auch nur eine Stunde auf der Autobahn unterwegs waren. Ab und zu blickte Yusuf auf den Schlafenden, der seinen Kopf zur Seite an das Fenster der Beifahrertür gelehnt hatte. Der Tempomat war eingeschaltet und sie fuhren mit gleich bleibender, aber hoher Geschwindigkeit. Mit ihnen waren wenige Autos unterwegs und entspannt lenkte er den Wagen durch die Nacht in Richtung Süden.
Er überlegte, ob er das Radio einschalten sollte, aber er zögerte, er wollte nicht, dass Blohm vielleicht dadurch geweckt wurde. Sein Blick ging zur Uhr, es war kurz nach Mitternacht. Würde er durchfahren, dachte er, wäre er am übernächsten Tag in den Morgenstunden in Istanbul. Er kannte den Reiseverlauf genau, Blohm war mit ihm die Route durchgegangen, und zu Hause hatte er noch mal einen Blick auf die Landkarten geworfen. Jetzt war sie in seinem Kopf gespeichert, er brauchte kein Navigationsgerät. Tschechien, Ungarn, an Budapest vorbei auf die E 75 und später auf die M 5, dann in Rumänien über Sibiu und an Bukarest vorbei nach Ruse in Bulgarien und danach auf die E 80 Richtung Edirne, wo sie die bulgarisch-türkische Grenze passieren sollten. Yusuf berichtigte sich, er allein sollte die Grenze passieren. Er schaute auf seinen schlafenden Fahrgast. Schon ein merkwürdiger Kerl, dachte er, aber einer mit viel Geld.
Blohm hatte diese Route bestimmt, ihm schien wichtig, dass sie nur EU-Länder passierten. Keine Kontrollen an den Grenzen, wie er sich ausdrückte. Mit Rumänien war Yusuf sich nicht im Klaren. War Rumänien überhaupt an diesem Schengener Abkommen beteiligt, von dem er gehört hatte? Und Bulgarien? Er wusste es nicht genau, aber es waren Mitgliedsstaaten der EU, das war ihm bekannt. Möglicherweise gab es also doch ein Risiko, wenn sie an diese Grenzen kamen. Auf der Hinfahrt würde es keine Probleme geben, da hatten sie nichts zu verbergen, dachte er. Und zurück? Blohm war sich hier sehr sicher, so wie er es erklärt hatte. Vielleicht würde nicht kontrolliert. Yusuf wollte nicht weiter darüber spekulieren und über etwas anderes nachdenken.
Ihm fiel wieder Istanbul ein. Einmal war er dort als Junge gewesen, und er erinnerte sich, wie er diese Stadt kennen gelernt hatte und wie gerne er dort gewesen war. Der Lärm in den Straßen, die hupenden Autos, es drang im Moment noch genau so an sein Ohr, als habe er es gestern erst erlebt. Die bunten Lichter, die ihn verzaubert hatten. Trotz aller Hektik ging damals für ihn, auf dem Land geboren und aufgewachsen, von dieser Stadt eine Faszination aus, die er jetzt plötzlich wieder verspürte. Alles tauchte in seiner Erinnerung erneut auf, selbst die Gerüche der pulsierenden Großstadt stiegen in seine Nase und er erinnerte sich gerne, und mit einem Mal überkam ihn ein Glücksgefühl, als er sich klar machte, dass diese Stadt schließlich das Ziel dieser Reise war.
Ihm fiel ein, wie er seiner Frau hatte beibringen wollen, dass er für einige Zeit verreisen würde. Wie versteinert hatte sie dagesessen und ihm nur still zugehört. Er hatte ihr nicht gesagt, dass der Lohn für diese Fahrt ein eigenes Taxiunternehmen sein würde. Er hatte nur gesagt, dass sein Fahrgast überaus gut bezahle und dass im Übrigen die Tour von seinem Chef abgesegnet worden sei. Sie wäre nur ein paar Tage alleine zu Hause, was sei schon dabei? Ob noch genügend Geld im Hause wäre, hatte er gefragt. Mit ihren großen, schwarzen Augen hatte sie ihn angeschaut, und Yusuf erinnerte sich an die Tränen,