Der Tanz der Heuschrecken. Ulrich Fritsch

Der Tanz der Heuschrecken - Ulrich Fritsch


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Finanzvor­stand bei CAR wurde.

      Trotz der jetzt größeren räumlichen Entfernung war der Kontakt zwischen dem Medienfachmann und dem Finanz­vorstand nie ganz abgebrochen. Leon Petrollkowicz überleg­te. Er musste die nächste Gelegenheit, vielleicht schon den Neujahrsempfang des Industrieclubs in Düsseldorf nutzen, um Hüttel über die unerfreuliche Entwicklung in seinem Unter­nehmen zu informieren.

      Leon Petrollkowicz machte sich also seine Gedanken, wie es mit seiner Firma weitergehen könnte, ließ sich aber durch die Annehmlichkeiten seines schönen Zuhauses, durch den Zu­spruch seines Freundeskreises und durch interessante Gesprä­che in den Clubs und in diversen Gremien vielseitig ablenken. Schließlich war er wer. Nicht, weil er es unbedingt sein wollte, sondern weil er als Vorzeigeapostel der mittelständischen Wirt­schaft, als Medienexperte, Künstler, Journalist über so viele Ta­lente verfügte, dass ihn jeder gerne an die Spitze der jeweiligen Institution stellen wollte. In jenen Herbsttagen gab es eine An­häufung an Ämtern, so dass er sich schon wie ein Großmogul fühlte und Sorge hatte, die vielen ehrenvollen Aufgaben nicht verantwortungsvoll ausfüllen zu können. Zu seinem Leidwesen brachten diese Ämter allesamt kein Geld. Und hierin unter­schied er sich von den Gurus der Wirtschaft. Sie verdienten mit ihren Aufsichtsrats-und Beiratsmandaten viel Zaster und suchten sich dann noch ein paar Ehrenjobs aus, die ihnen ei­nige Annehmlichkeiten brachten. So war Dr. Hüttel Präsident des Kuratoriums der Berliner Philharmoniker, Ehrenpräsident der Universität Heidelberg, Ehrenkonsul von Bolivien etc. Die Firma spendete, und die Topmanager profitierten: Ehrendok­tor, Professor, Premierenkarten, Luxusreisen.

      Leon Petrollkowicz sprach gelegentlich über Themen wie diese mit Anna. Sie teilte seine kritische Einstellung, meinte aber auch, dass er sich viel zu sehr aufreibe. Ihm fehle, wie sie sich ausdrückte, die Abgeklärtheit und Coolness eines Mana­gers. Mehr Gelassenheit, vielleicht sogar ein Schuss Opportu­nismus seien besonders in schwierigen Zeiten angesagt, sonst würde man sich aufzehren und zu viele Angriffsflächen bieten.

      Anna verstand diese gut gemeinten Einlassungen als ihren verbalen Beitrag zur Bewältigung der gegenwärtigen berufli­chen Kalamitäten ihres Partners. Leon gab ihr Recht, meinte aber, dass er aus seiner Haut nicht raus könne. „Mir geht es manchmal wie Tucholsky. In welcher Situation er auch war, er blieb immer kritisch und hat sich nie an irgendeinen ver­kauft.“

      Anna sah ihren Partner fast etwas mitleidig an. „Du bist viel zu ehrlich und kritisch in deinem Job. Als du kürzlich in München vor zweitausend Anlegern einen Vortrag gehalten hast, wurden die Banker, die dich eingeladen hatten, von dir ganz schön angegriffen. Sehr klug!“

      Leon hob resignierend die Schultern. „Des Brot ich ess, des Lied ich sing! Ich weiß, ich weiß. Aber ich schaff es nicht. Wir können in Deutschland doch nur dann etwas ändern, wenn einige den Mut haben, diesen Herren den Spiegel vorzuhal­ten. Das Verhalten der Banken dem Anleger gegenüber war nicht selten skandalös. Viele rechtschaffene Leute haben ei­nen Teil ihres sauer ersparten Geldes verloren. Wenn wir in einigen Bereichen die Gesetze nicht ändern, wird alles noch schlimmer.“

      Anna wiegte den Kopf. „Mag sein. Aber musst du dich so unklug verhalten? Als du einmal vor einem Industrie-verband einen Vortrag gehalten hast, musste denn da deine Quintessenz sein, dass die Vorstände und Aufsichtsräte in der Industrie sich so manchmal in die eigene Tasche lügen?“

      „Und dabei ihr Wohl im Auge haben“, fügte Leon hinzu. „Hier ging es um die Corporate Governance in Deutschland, also darum, wie die Kontrolle über die Firmen besser funktio­nieren könne. Ich habe nur den unveröffentlichten Bericht einer unabhängigen Kommission zitiert. Einige von der Presse kannten den Bericht und schwiegen.“

      Jetzt wurde Anna langsam wütend. „Die wissen schon, wa­rum. Aber du musst auf die Pauke hauen, ohne an deine Firma und an uns zu denken. So unabhängig, wie du meinst, bist du nicht.“

      Leon war aufgesprungen und im Zimmer wie ein eingesperr­ter Tiger auf und ab gegangen. „Ich weiß. Aber wenn die mich fertig machen wollen, dann hat das noch einen anderen Grund, den ich erst vor wenigen Tagen erfahren habe. Dr. Maibohm ist ja in einer Vielzahl von Aufsichts-und Beiräten und fühlt sich diesen Firmen besonders verpflichtet. In einer von diesen, ein großer Konzern in Süddeutschland, sitzt ein persönlicher Freund von ihm. Dieser Freund hat einen Schwiegersohn, der sich auf dem gleichen Gebiet versucht wie ich. Bisher ohne großen Erfolg. Das soll sich ändern und auch deshalb werde ich ausgeschaltet. Natürlich ist dieser Jemand linientreuer als ich.“

      Anna fuhr erschrocken hoch. „Aber man kann doch dei­ne renommierte Firma nicht wegen einer Personalie über die Wupper gehen lassen.“

      „Der Meinung bin ich auch“, stimmte Leon ihr zu. „Aber man kann, wenn sich das Gegengeschäft lohnt. Eine Hand wäscht die andere. Dem Vorstand eines großen Konzerns ist man gerne gefällig. Ich bin für die ein Nobody, den man bei Bedarf zur Seite schiebt. Und Emma Hengstenberg hilft dabei.“

      Anna lachte verbittert auf. „Das Kuckucksei in deinem Laden. Du hast ein blühendes Unternehmen, gehörst zu den Besten deiner Zunft in Europa, und da spuckt dir so einer in die Suppe. Gibt es dagegen kein Mittel?“

      „Nein. Diese Leute sind zu mächtig. Sie haben ihr fein ge­sponnenes Netzwerk von gegenseitigen Abhängigkeiten und achten sehr darauf, dass man sich allzeit gefällig ist.“

      „Und deine Kontakte zur Presse?“, wollte Anna wissen.

      „Vergiss es. Die Presse heult viel zu oft auch nur mit den Wölfen. Und was kann ich denn groß vorbringen? Eine nicht ganz wasserdichte Behauptung wird von der Wirtschaft sofort mit der Androhung einer Klage vom Tisch gefegt. Diese Leute haben ganze Bataillone von Anwälten zur Verfügung. Als klei­ner Michael Kohlhaas hältst du nicht lange durch.“

      Anna meinte es gut mit ihren Diskursen, aber sie konnte Leon letztlich auch nicht helfen. Sie beschlich die furchtba­re Angst, eines Tages ihr herrlich bequemes Leben und den Wohlstand aufgeben zu müssen. Dann sagte sie sich wieder, dass sie schließlich keinen Beamten an der Seite habe und deshalb auch das unternehmerische Risiko mittragen müsse. Aber wäre sie dazu in der Lage? Noch war ja alles einigerma­ßen in Ordnung und vielleicht würde sich die kleine Krise in Wohlgefallen auflösen. Schließlich gab es ja noch Dr. Hüttel und einige Gleichgesinnte, die immer auf der Seite ihres Man­nes standen. Warum sollte sie sich übertrieben Gedanken ma­chen? Wäre es nicht besser, ihren Golfbag zu nehmen und auf den Golfplatz zu gehen oder sich zu einem Einkaufsbummel auf der Kö zu verabreden oder im schönen Büderich auf der Dorf­straße spazieren zu gehen und mit den vielen Freunden und Bekannten ein Schwätzchen zu halten?

      Sie wartete, bis Leon und ihr Sohn aus dem Hause waren und fuhr dann auf den nahe gelegenen Golfplatz. Zu einer kleinen Runde brauchte man sich nicht groß zu verabreden, weil immer einige Ladies aus dem Nobelstädtchen zur Stelle waren. Geschäftsleute, die gerne mal zwischendurch auf dem Golfplatz auftauchten, um in dem schönen Clublokal eine Kleinigkeit zu essen, nahmen mit Erleichterung zur Kenntnis, dass ihre besseren Hälften sich nicht zu Hause mit dem Hauslehrer ihrer Kinder befas­sten, sondern Sport und frische Luft genossen, um abends ge­stählt den häuslichen Obliegenheiten gewachsen zu sein. Die Männer verlangten als Gegenleistung für dieses Geschenk oft nur die Konzession, sich als Zweitwagen einen Porsche kaufen zu dürfen, was manchem vorzeitig Gereiften die Jugend zu­rückzugeben vermochte. Dem Besitzer wurden Momente des Glücks zuteil, wenn sie leicht gekrümmt in den Schalensitzen einem Geschwindigkeitsrausch erlagen. Auch daran dachten die Damen, wenn sie auf dem Golfplatz beschwingt aus ih­rem Coupé sprangen. Sie rückten ihren dem Gesicht schmei­chelnden Sonnenschutz zurecht, packten ihren Bag auf den Elektrokarren, wobei sie schon etwas traurig darüber waren, dass nicht ein junger lebendiger Caddy ihre Golftasche trug. Herzliche Umarmungen, lange Dialoge, denn man hatte sich ja zwei Tage nicht gesehen, und dann der Marsch zum ersten Abschlag, nach dem sich allerdings in vielen Fällen die Freude an diesem Sport relativierte. Die Suche nach den Bällen war manchmal schweißtreibend.

      Anna liebte diesen Sport vor allem dann, wenn er in der Kombination mit Bridge ausgeübt wurde. Zuerst etwas Golf, dann etwas Bridge, dann lange Plaudereien, wenn es die Zeit erlaubte. Sie machten es sich schön und zeigten allen, wie sehr sie zu leben verstanden.

      Über


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