Der Tanz der Heuschrecken. Ulrich Fritsch

Der Tanz der Heuschrecken - Ulrich Fritsch


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der Stimme diese Signale aufnahm. Mehr wollte sie nicht oder vielleicht doch, aber beide wussten zu gut, dass man im Dienst übertriebene Regungen in dieser Richtung besser unterdrüc­ken sollte.

      Leon Petrollkowicz nutzte wie die Monarchen in früheren Jahrhunderten die Frühstückspause, um sich ganz zwanglos die Wünsche und Sorgen seiner „Untertanen“ anzuhören. Er ließ zu diesem Behufe die Tür immer weit offen stehen und brauchte in der Regel nicht lange zu warten, bis jemand das „Allerheiligste“ betrat.

      An jenem Morgen näherte sich August Mohren bedächtig dem „Hauptaltar“, begrüßte freundlich sei­nen Vorgesetzten, um dann gleich eine Petition loszuwerden. Er fühle sich in Gegenwart von Giselle Frou, die ja mit ihm ein Büro teile, erotisch permanent aufgeladen und könne nicht mehr konzentriert arbeiten. Ob er nicht in das Zimmer von Martin von Alzheim, der ja ein viel größeres Büro für sich al­lein beanspruchen könne, umziehen sollte.

      Auch aus Sicht von Leon Petrollkowicz war diese Frou nicht unumstritten. Sie war aufreizend hübsch und betonte dies auch noch durch eine windschlüpfrige Verschalung. Eine knatschenge schwarze Lederhose, dazu passende Lederstiefel mit hohen Absätzen, eine weiße, weit geöffnete Seidenbluse – dies war nur eine Variante ihres oft bis an die Grenze des flippigen Geschmacks gehenden Outfits in einer nicht gerade prüden Büro-Community. Und dann die körpereigenen Vorzü­ge: schulterlange schwarze Haare, ein voller, weich geschwun­gener Mund, schwarze Augen, eine sportliche Figur mit einem wunderschön ausgeformten Popo, lange Beine – eine aufrei­zende Erscheinung.

      Hinzu kam eine warme, weiche, sinnliche Stimme, die man als Paradigma eines Lockrufs des Weibchens verstehen konnte. So sah es jedenfalls Leon Petrollkowicz, der die Stimme „seiner“ Frou gerne mit der einer Kaufhausansage­rin verglich, die über Lautsprecher Unterwäsche, Übergardi­nen und Kaffeemaschinen zu Sonderpreisen anpries. Oder an­ders: Wenn man ihre Stimme hörte, musste man an Dessous denken.

      Sie sagte meistens völlig unwesentliche Dinge in ei­ner Stimmlage, die sinnlich werden ließ. Dies führte dazu, dass die Kunden der „Public Petrollkowicz“ nicht den Chef oder Emma Hengstenberg sprechen wollten, sondern lieber mit der Frou telefonierten. Sie unterhielten sich dann manchmal über eine Stunde über nichts. Sie wollten nur Sensitivöl um den Bart geschmiert bekommen und mit einer schönen Stimme flirten. Die Frou verstand die Nöte ihrer Kunden, mehr noch, sie verstand es, den trüben langen Tag mit netten Unterbre­chungen zu würzen und hatte dabei noch das Gefühl, etwas Nützliches für die Firma getan zu haben. So sah es auch Leon Petrollkowicz. Gelegentlich war ihm die nicht enden wollende Laberei seiner Mitarbeiterin zuwider. Schließlich hatte er sie eingestellt, um ihren betriebswirtschaftlichen Sachverstand zu nutzen. Giselle Frou hatte in Wuppertal und Paderborn studiert, ihre Examina alle recht ordentlich bestanden und konnte in den ersten Monaten ihrer Anstellung tatsächlich den Eindruck vermitteln, sie hätte auf den beiden Universi­täten etwas gelernt. Allmählich verblasste dieses Image. So gab sie sich beispielsweise bei den harmlosen Quizspielchen ihres Chefs so unbedarft, dass man über die Antworten noch nach Tagen schmunzeln musste. Manpower hatte etwas mit der Potenz von Managern zu tun, die Konzertierte Aktion mit musikalischen Events.

      Die Frou war aber bei allen beliebt. Sie quirlte durch die Räume und Etagen wie eine aufgescheuchte Henne, immer sehr geschäftig und in einem Aufzug, der an Irma la Douce erinnerte. Ihre ganze Erscheinung war so gepolt, dass die Me­ridiane ihres Körpers am Südpol zu zerbersten drohten. Um das Ganze so recht zur Wirkung zu bringen, liebte sie ausgefal­lene Positionen. So warf sie sich sehr gerne über einen Tisch, um irgend etwas zwischen den Aktenordnern zu suchen, oder sie kletterte auf eine Leiter, um Bücher aus den Regalen zu fischen, oder sie bückte sich, um Nichtigkeiten vom Boden aufzuheben. In allen diesen Stellungen kamen ihre weiblichen Reize zu Geltung. Kein Mann konnte in diesen Momenten eine sachliche Beziehung zu dieser Person herstellen. Man, oder besser Mann, dachte dann an ABS, aber nicht etwa an den großen Banker, sondern an das Antibremssystem, mit dem man den inneren Blutstau aufzulösen suchte.

      Mit was für Problemen musste sich der Chef herumschlagen! Er hasste diese Art von Personalmanagement, weil er immer persönlich angreifbar war. Entscheidungen dieser Art konnten niemals zur Zufriedenheit aller gelöst werden, weshalb er allzu gerne erneut einen Personalchef eingestellt hätte. Dieser hät­te allen Unmut auf sich ziehen sollen, gleichsam als bezahlter Blitzableiter, und nicht er, der Chef, der als Souverän über den Bagatellen des Alltags stehen sollte, den Kopf nur frei für große Entscheidungen. Früher hatte er schon einmal den Versuch ge­macht, seinen Chefbuchhalter zusätzlich mit dieser Aufgabe zu betrauen. Aber der Mann zerbrach an dieser doppelten Zumu­tung. Den ganzen Tag Zahlen und die Probleme von Leuten hin und her zu schieben, war für ihn zuviel. Er schmiss eines Tages das Handtuch, trat in den Staatsdienst ein, machte nebenher eine politische Karriere als Schatzmeister der Liberalen und fand als Meister für Verbindlichkeiten und fürs Unverbindliche endlich die Bestätigung, die er bei der „Public Petrollkowicz“ nie gefunden hatte.

      Dann unternahm Petrollkowicz einen zweiten Anlauf. Auf einem Kongress in Cannes lernte er einen Elsässer kennen, der wie er die Leidenschaft zur Malerei teilte, vier Sprachen beherrschte, ein ausgewiesener Personalfach­mann und Diplompsychologe war und eine neue Stelle suchte. Leon Petrollkowicz griff zu und war zunächst begeistert. Mon­sieur Ampere, wie er hieß, war ein Spezialist für Menschenfüh­rung. Er genoss es, wenn sich die Mitarbeiter von seinen Rede­schwallen mitreißen ließen, wenn er aus der Schatztruhe seiner großen internationalen Erfahrung Wissenswertes hervorholte oder manchmal auch etwas umständlich herauskramte, wenn er auf Fälle und Reinfälle zu sprechen kam und dabei nicht nur Berufliches, sondern auch rein Menschliches zum Besten gab, und das Ganze auch noch mit einem einschmeichelnden, ver­zaubernden französischen Akzent. Er merkte dabei gar nicht, dass er in Wirklichkeit nicht als Fachmann, sondern als Pau­senfüller an Renommee gewann. Jeder in der Firma, der mal wieder keine Lust zum Arbeiten hatte oder aus irgendwelchen Gründen aufgemuntert werden wollte, ging zu Monsieur Am­pere. Dieser liebenswerte Franzose hatte zwei Leidenschaf­ten im Büro: Er rauchte pausenlos und trank dazu schwarzen Kaffee. Diese Laster hatten im Laufe der Zeit seinem Gesicht etwas Maskenhaftes gegeben, das sich immer merklicher von seiner schwarzen Haarpracht abhob. Anfangs bewunderte man seinen Lockenkopf, doch eines Tages, als er gerade wieder zu einer seiner Tiraden anhob und dabei in Rage geriet, fing eben dieses dekorative Gespinst an zu Vibrieren, verrutschte auch etwas, woraufhin man unschwer ein Toupé ausmachen konnte, seitdem ein beliebtes Gesprächsthema für die nicht gerade pietätvolle Belegschaft dieser Marketingagentur.

      Aber Ampere gab sich nicht geschlagen. Er kämpfte unverdrossen weiter, wusste aber schließlich nicht mehr, gegen wen oder was, denn selbst die gefährlichsten Spötter hatten letztendlich Mitleid mit ihm und wollten auf keinen Fall riskieren, dass er sich selbst ins Aus katapultierte. Dafür war er als Faktotum zu wichtig. So näherte man sich ihm zunehmend gefälliger, sogar etwas Respekt vortäuschend, allerdings immer in der Sorge, er könnte sich der Unsinnigkeit seines Seins bewusst werden und die Stelle wechseln. Eines Tages musste er aus gesund­heitlichen Gründen ausscheiden. Er hatte eine seltene Blut­krankheit. Nach mehrwöchigen Krankenhausaufenthalten kehrte er nicht mehr in die Firma zurück. Leon Petrollkowicz war wieder mit dem ganzen Personalunwesen befasst, scheute sich aber, erneut einen Pausenclown einzustellen. Er war wie­der selbst gefordert.

      Giselle Frou aus dem Zimmer von August Mohren entfer­nen? Wenn er August Mohren und Martin von Alzheim, sei­nen engsten und besten Mitarbeiter, den er vor zwei Jahren von einer Großbank abgeworben hatte, zusammensetzen wür­de? Aber würde man dieser Dame mit einem eigenen Zimmer dann nicht zuviel Ehre erweisen? Und Mohren und von Alz­heim zusammen? Undenkbar, weil von Alzheim prestigebe­wusst war und zu seinem Status als Abteilungsleiter auch der Anspruch auf ein eigenes Zimmer gehörte. Oder sollte man die gesprächige Dame in das Großraumbüro setzen, wo der Schwall ihrer Worte in den schallgedämpften Sprecharchipe­len versickern und keinen Protest hervorrufen würde? Oder sollte man einfach die Angelegenheit vertagen und die Dame vorsichtig ermahnen, mit ihren Talenten sparsamer umzuge­hen? Leon Petrollkowicz entschied sich für die letzte Lösung. Sie war halt im Augenblick die bequemste.

      So war eben Leon Petrollkowicz, der an manchen Tagen, an denen seine Quali­fikation als einfühlsamer Patron gefordert war, lieber auf der Straße Postkarten verkauft hätte als in der Firma


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