Der Tanz der Heuschrecken. Ulrich Fritsch

Der Tanz der Heuschrecken - Ulrich Fritsch


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gefischt, und als Krönung eine Kari­katur von einem Hut. Leon Petrollkowicz sah an sich herunter und musste in diesem Augenblick an die ständigen Auffor­derungen seiner Lebensgefährtin denken, sich seiner Position entsprechend – als Inhaber eines mittelständischen Unterneh­mens war er ja schließlich wer – zu kleiden. Am schlimmsten war der Hut, den er liebte und als seinen Talisman ansah. Mit diesem Hut fuhr er Ski, wanderte in den Bergen, ihn behielt er selbst beim Malen auf oder wenn es in einem Raum zu kalt war. Seine Anna hasste diesen Hut. Er hatte ihn schon auf der Piste verloren, im Zug vergessen, und einmal war er sogar in der Mülltonne gelandet. Aber wie durch ein Wunder gelangte dieses „Möbel“ durch den Müllmann, die Post oder Bahn im­mer wieder in seine Hände. In diesem Bereich funktionierte die öffentliche Hand.

      „Nehmen Sie den Hut ab!“ befahl der Mann an der Schreib­maschine mit einem kenntnisreichen Detektivlächeln. Der Geldbeutel konnte ja dort versteckt sein. Er war es aber nicht, wie sich alsbald herausstellte. Der Mann schrieb weiter und weiter, so als würde er den Hergang der Tat ganz genau kennen und zum Schluss den Dieb nur noch auffordern, das Protokoll zu unterschreiben. Dazu kam es aber nicht. Die sich bestohlen fühlende junge Dame schrie plötzlich auf, fühlte im Futter ihres Mantels etwas Hartes und zog wenig später das Portemonnaie heraus. Es war offenbar durch ein Loch in der Manteltasche in das Futter gerutscht.

      Der Mann an der Schreibmaschine, die Verkäuferin, der Polizeibeamte, sie alle waren nicht etwa erleichtert, sondern entsetzt. Wofür hatten sie sich diese Arbeit gemacht! Kei­ne Entschuldigung in Richtung Leon Petrollkowicz, sondern strenge Blicke für die junge Dame. War das nicht so etwas wie Irreführung des Apparates, der schon wie geschmiert zu funktionieren begann? „Also denn“, räusperte sich jemand mit kleinlauter Stimme aus dem Hintergrund. „Damit wäre ja alles geklärt. Die Waren aus den Einkaufswagen habe ich leider schon wieder in die Regale gestellt. Man konnte ja nicht wissen …!“ Leon Petrollkowicz sah geringschätzig auf die klei­ne, etwas dickliche Verkäuferin herunter, die wohl etwas vor­schnell das Verfahren eingeleitet hatte. Er überlegte einen Au­genblick, ob er auf eine Entschuldigung drängen oder der gan­zen Mannschaft einschließlich der vermeintlich Bestohlenen die Meinung sagen sollte. Aber er tat gar nichts. Er schwenkte seine Käsebrötchen hin und her und eilte aus dem Verlies, um keine Sekunde länger als nötig in dieser beklemmenden At­mosphäre aushalten zu müssen. Er war kaum einige Schritte gegangen, als er von der jungen Frau von hinten angespro­chen wurde: „Entschuldigen Sie vielmals. Mir ist das Ganze so peinlich. Ich hätte auf diese blöde Wichtigtuerin an der Kasse nicht hören sollen.“

      „Schon gut“, sagte Leon Petrollkowicz etwas ungehalten und ging schnell weiter, verlangsamte aber nach einer Weile seine Gangart und sah sich nachdenklich nach der jungen Frau um. Das war sie doch! Das war doch Helen Laroche, die Mit­arbeiterin des allmächtigen Vorstandsmitglieds der berühmten Bank Cassa Nostra AG, Dr. Dr. hc. Alexander Maibohm. Er hatte sie in der Eile des Gefechts und bei dem schummrigen Licht in dem Verhörraum nicht erkannt. Er wartete, bis sie in Reichweite war.

      „Sind Sie nicht Frau Laroche?“

      „Natürlich, jetzt erkenne ich Sie, Herr Petrollkowicz. Mus­sten wir uns nach so langer Zeit auf diese Weise wiedersehen?“

      Leon Petrollkowicz hatte geschäftlich wenig mit Helen La­roche zu tun, weil für ihn ein junger Handlungsbevollmäch­tigter aus dem gleichen Vorstandssekretariat zuständig war. Das letzte Mal hatte er sie anlässlich eines Investor-Relations­gesprächs im Plaza Hotel in New York flüchtig gesprochen, als ihr Chef etwas von ihm wissen wollte. Dr. Maibohm war als Beiratsvorsitzender der Firma „Public Petrollkowicz“ eines seiner wichtigsten Aushängeschilder. Er brachte nicht nur die Bank als Kunden ein, sondern auch eine Reihe bekannter Un­ternehmen, die von dem Know-how der renommierten PR- und Marketingagentur profitieren wollten.

      Helen Laroche war noch immer etwas verlegen, fing sich aber langsam wieder, entschuldigte sich zum wiederholten Male und fragte ihn schließlich, ob er schon gegessen habe und wenn nein, ob sie ihn vielleicht als Wiedergutmachung in ein gegenüberliegendes Restaurant zu einem kleinen Essen einladen dürfe. Sie hatte sich ein paar Kleinigkeiten aus der Lebensmittelabteilung mit ins Büro nehmen wollen, war aber, wie auch Leon Petrollkowicz, nicht in der Stimmung, sich noch einmal alles aus den Regalen zusammenzuholen. Leon hatte zunächst an seine angebissenen Käsebrötchen gedacht, die­se aber schnell in seiner Manteltasche versteckt, um die Ge­legenheit beim Schopfe packen zu können. Wenn ihm auch eine Einladung unter anderen Voraussetzungen lieber gewesen wäre, so war er dennoch spontan einverstanden, nicht nur we­gen der versöhnlichen Geste, sondern weil er unter normalen Umständen niemals die Chance gehabt hätte, die wahrschein­lich attraktivste, wenn auch nicht ganz unumstrittene Frau dieser Bank näher kennenzulernen. Man tuschelte hinter vor­gehaltener Hand, dass sie ihrem Chef auf mehrere Arten dien­te und so einen immensen Einfluss auf das Geschäft genom­men habe. Dank ihrer hohen Intelligenz und Kompetenz habe sie alle Aufgaben des Vorstandssekretariats der Bank prompt erledigt und sei auch sonst ihrem Herrn und Gebieter gefällig, was offiziell natürlich heftig bestritten, dennoch aber in der für Geschichten so anfälligen Bank-und Börsenwelt eifrig kolpor­tiert wurde

      In einem kleinen Argentinischen Steakhaus aßen die bei­den zu Mittag. Zunächst ging es noch um das verlorengegange­ne Portemonnaie mit den bekannten Folgen, dann wechselte man aber schnell das Thema und unterhielt sich über allge­mein wirtschaftliche Fragen. Leon Petrollkowicz war erstaunt, wie gut sich Helen Laroche selbst in ökonomischen Details auskannte. Man merkte, dass sie Wirtschaft studiert hatte und ihr theoretisches Wissen durch die vielen praxisbezogenen Vor­gänge im Vorstandssekretariat anreichern konnte. Ihre diskur­siven Ausführungen wirkten aber nie aufdringlich, besserwisse­risch oder diskriminierend – im Gegenteil. Sie hörte sich immer erst seelenruhig an, was ihr Gegenüber zu sagen hatte und gab dann mit größter Zurückhaltung ihren Kommentar ab, wobei sie sich fast dafür entschuldigte, wenn sie in dem einem oder anderen Punkt einfach besser Bescheid wusste. Dieses Under­statement war kein Gehabe oder eine intellektuelle Masche, sondern schlicht eine Voraussetzung, um mit dem Vorstand oder den Topmanagern korrespondieren zu dürfen. Mit ihrer einfühlsamen, klugen Dezenz konnte sie jeden Gesprächspart­ner ganz unaufdringlich von ihrer Kompetenz überzeugen. „Bei so viel Schönheit“, fügte man noch gerne bewundernd hinzu, weil bei vielen Männern das Vorurteil verbreitet ist, dass hinter einer schönen Fassade im Allgemeinen nicht viel stecke.

      Helen Laroche war wirklich wunderschön. Ihr Zauber ging einmal von ihrer tadellosen Erscheinung aus, besonders aber von ihrem Gesicht. Durch ihre hohe Stirn, die feine, leicht nach oben geschwungene Nase, den filigran geschnittenen, sinnlichen Mund, der auch dann Botschaften signalisierte, wenn sie nichts sagte, ihre dezent angedeuteten Backenkno­chen, und dann diese dunklen Augen! Sie waren gütig und präsent. Ihrem Gegenüber gab sie das Gefühl, ihn zu mögen, sympathisch zu finden, wobei sie die Waffen einer Frau ge­schickt einsetzte. Sie spielte dann mit ihren schwarzen, leicht welligen schulterlangen Haaren, warf sie mit einer leichten Kopfbewegung nach hinten oder zog sie über eine Gesichts­hälfte in breiten Streifen in Richtung ihres langen, schönen Halses.

      Leon Petrollkowicz merkte im Laufe der Unterhaltung, dass er sich immer weniger auf den Inhalt des Gesprächs konzen­trierte – das inzwischen servierte Steak hatte er noch nicht einmal angerührt –, sondern in das Kordongespinst der ihn so sympathisch einfangenden Helen Laroche geriet.

      „Ich möchte Ihnen etwas anvertrauen“, sagte sie nach ei­ner längeren Pause zögernd. „Quasi als Gegenleistung für mei­nen unglaublichen Faux pas im Kaufhaus. Aber Sie dürfen auf keinen Fall darüber sprechen. Sonst bin ich geliefert. Können Sie mir das zusagen?“

      „Ja, natürlich.“

      Leon Petrollkowicz ließ sich nicht anmerken, dass er aufs Äußerste angespannt war. Er wusste, dass sein Gegenüber an einer Stelle in der Bank saß, wo früher seine jetzige Kollegin den Ton angegeben hatte und die man ihm sozusagen aufs Auge gedrückt hatte. Obgleich er Alleingesellschafter seiner Firma war, musste er sich dem Diktat seines größten und be­deutendsten Kunden, der Cassa Nostra AG, beugen. Offiziell wollte man ihm jemanden zur Seite stellen, der die Intentio­nen der Kunden aus dem Blickwinkel einer Bank kannte und deshalb vermeintlich nur ein Gewinn für die Firma sein konn­te. Den wahren Grund hatte er nie erfahren. Seine Gedanken wurden


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