Der Tanz der Heuschrecken. Ulrich Fritsch

Der Tanz der Heuschrecken - Ulrich Fritsch


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Kadabra-Bank, einem bedeutenden Kreditinstitut in Nordrhein-Westfalen. Er hatte schon vor Wochen diesen Mittagstermin vereinbart, bei dem über einen Großauftrag gesprochen werden sollte. Die Bank war wegen überzogenen Kreditengagements und wag­halsigen Spekulationsgeschäften in die Schlagzeilen gekom­men und wollte unter anderem über eine geschickte Medien­strategie ihr Image wieder aufpolieren. Auf diesem Gebiet war die Firma von Leon Petrollkowicz Spitze, weil sie mit glaub­würdigen und niemals mit schreierischen Konzepten die Kun­den bediente und manchmal sogar von größeren Kampagnen abriet, wenn gewisse Aussagen unglaubwürdig waren. Ob er Louis Sinopret eher restriktiv gegenübertreten würde, wollte er von dem Gespräch abhängig machen. Er konnte sich aber in diesem konkreten Fall durchaus vorstellen, einige interes­sante Geschäftsideen der Bank nach vorne zu kehren, um sie aus den negativen Schlagzeilen zu bringen. Eine anspruchs­volle und interessante Aufgabe, die er aber, wie sich in den nächsten Minuten herausstellen sollte, zumindest vorerst nicht lösen durfte. Als er nämlich entspannt und gutgelaunt seine Beine auf den Tisch legte, sich eine Zigarette anzündete und die Dialektik der in der Investor-Relationsarbeit immer wieder auftretenden Ansprüche und Widersprüche reflektier­te, wurde er durch einen Anruf von Martin von Alzheim aus seiner Sinnierlaune geweckt.

      „Ich kann es nicht für möglich halten!“

      „Was können Sie nicht für möglich halten?“

      „Soweit ich es richtig verstanden habe, will die Alte, Ent­schuldigung, Frau Hengstenberg, Ihren Termin mit Herrn Si­nopret vereiteln."

      „Wie bitte?“

      Martin von Alzheim konnte schon ein eigenartiger Vogel sein. Wegen des ihm angeborenen Misstrauens, das sich sogar gegen gute Freunde richtete, um so mehr gegen ihm nicht sehr gewogene Vorgesetzte, suchte er nach allen Wegen, der beargwöhnten Person auf die Schliche zu kommen. Einer da­von war die Abhörtechnik. So stieg er im Falle Hengsten­berg auf eine kleine Leiter in seinem Büro, die immer an der gleichen Stelle positioniert war, um zum Schein ein Buch in seiner großen Bücherwand zu suchen, in Wirklichkeit aber, um sein Ohr zwischen den Büchern an eine Stelle zu legen, wo nach einem Rohrbruch die Wand nur oberflächlich mit einer Tapete saniert war und man deshalb nach dem Weg­räumen einiger Bücher die Gespräche im Nebenzimmer we­nigstens bruchstückhaft belauschen konnte. Dies war natür­lich ein mühsames, von Leon Petrollkowicz nicht goutiertes Unterfangen, weil er seinen Mitarbeiter nicht auf der Lei­ter, sondern hinter seinem Schreibtisch sehen wollte. Aber manchmal machte sich dessen Klettereifer schon bezahlt. Oft reichten wenige Worte aus dem Nebenzimmer, um sich auf ein Gespräch oder Telefonat einen Reim machen zu können. Von Alzheim hatte natürlich im Laufe der Zeit seine Bücher­wandbesteigungen an gewisse äußere Umstände gekoppelt. Wenn Emma Hengstenberg ausflippte oder besonders freund­lich war, wenn sie der Sekretärin zurief, zu einem wichtigen Gesprächspartner durchzustellen, wenn einer ihrer erlesenen Berater an der Außentür klingelte oder in ihrem Terminkalen­der vielverheißende Eintragungen mit Zeitangaben standen, dann läuteten bei ihm die Alarmglocken. Außerdem hatte er seine Seilschaften, die ihm aus Papierkörben, beiläufigen Gesprächen Schreib- oder Sprachfetzen übermittelten, die er dann auf mögliche Informationen für seinen Chef auswertete.

      Im konkreten Fall gab sich von Alzheim einsilbiger als sonst. Wahrscheinlich konnte er selbst nicht glauben, was er da gehört hatte.

      „Wenn ich richtig verstanden habe, hat die Dame Ihre Un­terredung mit der Kreditbank abgesagt.“

      Leon Petrollkowicz verspürte einen heißen Stich im Magen und schüttelte ungläubig den Kopf. „Abgesagt? Das versteht doch kein Mensch. Schließlich ist das zur Zeit unser bester potentieller Kunde.“

      Von Alzheim druckste herum. „Ich hörte was von ‚zu tief ins Glas geschaut’ und ‚Sie wissen schon, wie das so ist, wenn man sich die Nacht um die Ohren schlägt’ und ‚Männer unter sich’ und so weiter.“

      Leon Petrollkowicz konnte und wollte es nicht fassen. Er legte auf, steckte sich erneut eine Zigarette an und sah durch das Fenster in den wolkenverhangenen Himmel. Diese Hexe, dachte er bei sich, wird mir das wohl hoffentlich nicht an­tun. Er wusste, dass sie den Kontakt zu den Damen in den Vorzimmern einflussreicher Leute pflegte und auch ohne be­sonderen Grund hier und dort anrief, aber meistens doch nur, um für sich schön Wetter zu machen. Dass sie ihn so mas­siv kompromittierte, war eigentlich noch nie vorgekommen. Dafür war Emma Hengstenberg zu geschickt. Als nach einer halben Stunde rein gar nichts von irgendeiner Seite verlau­tete – nichts vom Sekretariat, nichts vom Empfang, nichts von seiner Kollegin – ging er zu seinem Schrank und zog sich den Mantel an, um den für das Geschäft so wichtigen Termin wahrzunehmen. Unterwegs wollte er noch von Alzheim eini­ge Instruktionen geben, aber dazu kam es nicht mehr. Emma Hengstenberg teilt ihm auf den Gang mit, dass das Vorzim­mer von Herrn Sinopret angerufen und um Aufschiebung des Termins gebeten hätte. Man würde sich rechtzeitig wieder bei ihm melden.

      Leon Petrollkowicz sagte nichts. Er ging zurück in sein Zim­mer und rief seinen Vertrauensmann in der Staatsbank an, ei­nen alten Freund, den er noch aus den Tagen seines Studiums kannte. Dieser versprach sich umzuhören und wieder zurück­zurufen. Tatsächlich kam nach wenigen Minuten auf seiner Di­rektleitung, die nur wenigen Leuten zugänglich war, der Rück­ruf. Sein Gewährsmann konnte nichts Konkretes erfahren. Feststand, dass der Termin abgesagt wurde, aber nicht von Sei­ten der Bank. Damit war für Leon Petrollkowicz klar, dass sei­ne Gegenspielerin ihn in unerträglicher Weise kompromittiert haben musste und ihm gar keine andere Möglichkeit blieb, als ihr den Garaus zu machen. Jetzt versuchte er erst einmal über die Sekretariate den für die Firma so wichtigen Gesprächster­min zu retten. Aber der Chef der Bank hatte angeblich anders disponiert und war schon auf dem Weg zum nächsten Termin, um dann von dort aus für mehrere Tage ins Ausland zu fliegen. Natürlich erfuhr Leon Petrollkowicz nicht, was Louis Sinopret im einzelnen vorhatte, wann er zurückkommen würde, ob er überhaupt noch einmal eine Chance bekäme, den mit größe­ren Aufgaben befassten Vorstandsvorsitzenden persönlich zu Gesicht zu bekommen. Dafür hatte der Boss seine Stabsabtei­lungen. Er war schließlich für das Großkundengeschäft zustän­dig und musste den Kontakt zu den Spitzenleuten pflegen und nicht unbedingt zu den Dienstleistern im Umfeld seiner Bank.

      Leon Petrollkowicz war in einer prekären Situation. Der Werbechef der Staatsbank war ein übler Genosse. Man mun­kelte, dass er zuweilen die Ausschreibungen so geschickt mani­pulierte, dass eben einer seiner Freunde und Helfer zum Zuge kam. Leon Petrollkowicz musste also nicht ihn, sondern den Chef der Bank überzeugen, dass er in Stil, Kreativität und Ko­sten den Mitbewerbern überlegen war. Dieser Weg war zunächst einmal verbaut. Seine Wut, sein Hass auf Emma Hengstenberg, war nicht mehr zu kontrollieren. Er rannte in das Zimmer sei­ner Kollegin, baute sich vor ihr auf und legte wutentbrannt los:

      „Sie perfide Person! Was fällt Ihnen ein, mein mühsam aufgebautes Unternehmen kaputt zu machen! Was wollen Sie überhaupt hier? Wenn man Sie in der Bank nicht mehr ge­brauchen kann, dann suchen Sie sich einen anderen Job, aber lassen Sie uns mit Ihren bösartigen Intrigen in Ruhe! Ihnen haben wir es zu verdanken, wenn wir den nächsten Auftrag vielleicht nicht mehr bekommen. Damit gefährden Sie die Ar­beitsplätze vieler Mitarbeiter. Wie können Sie es wagen, mich quasi als Trunkenbold hinzustellen und einen meiner wich­tigsten Termine platzen zu lassen? Ausgerechnet Sie, die sich jeden Morgen schon einen Whisky hinter die Binde kippt, natürlich schön kaschiert mit Orangensaft, damit es keiner merkt! Ich werde Sie wegen übler Nachrede belangen und Sie rausschmeißen!“

      Emma Hengstenbergs Gesichtsfarbe änderte sich, soweit man das unter der Puderschicht überhaupt feststellen konnte, nur geringfügig, ihre eiskalten blauen Augen waren nur noch als Schlitze auszumachen, ihr Busen bebte leicht und signali­sierte ihrem aufgebrachten Gegenüber, dass sie sich als Frau missverstanden fühlte.

      „Woher wissen Sie? Aber egal. Ihr Ausbruch zeigt doch nur, dass ich mit meiner Entscheidung richtig lag, Sie in diesem Zu­stand nicht auf wichtige Kunden loszulassen. Wenn Sie nüch­tern sind, können Sie sich bei mir entschuldigen. Ich habe übrigens ein Tonband laufen. Also übernehmen Sie sich nicht mit Ihren Verwünschungen.“

      Auch das noch. Dieses Weib dachte strategisch, aber nur in einer Richtung. Nicht etwa, wie man das Unternehmen för­dern könnte, sondern nur, wie man


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