Der Tanz der Heuschrecken. Ulrich Fritsch

Der Tanz der Heuschrecken - Ulrich Fritsch


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den ganzen Tag nach. Sie spannte Stolperdrähte, und wenn der Gegner hinfiel, sorgte sie wie im Falle des letzten Auftritts dafür, dass sein Wutge­schrei für Dritte festgehalten wurde.

      Leon Petrollkowicz rannte zurück in sein Zimmer. Er warf sich auf die kleine Couch in der Raucherecke, sprang aber gleich wieder hoch und lief ins Freie. Er erstickte fast vor Wut und überlegte für Sekunden, ob er nicht umkehren und die­sem Weib fristlos kündigen solle. Aber er ließ den Gedanken gleich wieder fallen. Ohne das Votum der Gremien konnte er ohnehin nicht handeln, und außerdem musste er aufpas­sen, dass seine Aktionen ihm nicht mehr als dieser Intrigantin schadeten. Nein, er musste endlich anfangen, nicht mit der Axt, sondern mit machiavellistischen Volten die Gegnerin mit ihren Hintermännern in Schach zu halten.

      Hintermänner? Fest stand, dass ihr früherer Boss, der all­gewaltige Dr. Dr. h.c. Alexander Maibohm dieses Weib in sei­ne Firma gedrückt hatte. Er wollte es, Punktum. Die Bank war nicht nur wichtigster Kunde, sondern auch Drahtzieher zu allen tatsächlichen und potentiellen Auftraggebern. Ohne sie lief gar nichts. Wenn einer in diesem Konzert mitmischen wollte, musste er die Usancen kennen und sich ihnen unter­ordnen. Das geringste Aufmucken, und sei es noch so be­rechtigt, war tödlich. Man musste im Gegenteil durch einen vorauseilenden Gehorsam die Intentionen der Auftraggeber erkennen und so tun, als hätte man immer nur ihre Ziele im Auge gehabt und immer und ewig bis zur Selbstaufgabe dazu beitragen wollen, dass sie auch in der Praxis durchgesetzt würden. Leon Petrollkowicz musste wissen, was Dr. Maibohm mit seiner Firma vorhatte. Wollte man ihm im Interesse ei­ner übergeordneten Strategie zu Leibe rücken, dann würde er gnadenlos überrollt. Die Tatsache, dass ihm Emma Heng­stenberg aufs Auge gedrückt wurde, geschah ja nicht nur zu dem Zweck, diese für gewisse Aufgaben ungeeignete Person auf ein Abstellgleis zu schieben. Er wollte die Lage mit seinen Freunden durchsprechen, um vor Überraschungen gefeit zu sein. Was ihn stutzig machte war, dass sich seine Geschäfts­freunde auffallend zurückhaltend verhielten, so als wollten sie auf keinen Fall in etwas reingezogen werden. Verschwiegen sie ihm etwas? Er hatte ein ungutes Gefühl, in dem er durch das arrogant selbstsichere Auftreten dieser Person noch bestärkt wurde.

      Emma Hengstenberg führte irgendetwas im Schilde, sonst würde sie versuchen, sich zu arrangieren. Sie kämpfte aber ge­gen ihn, und er wusste nicht, wie er diesen Kampf gewinnen sollte. „Der Himmel stehe mir bei“, sagte er sich an diesem Vormittag und schaute in dräuende Wolkenschwaden, die Sturm und Regen ankündigten. Immer wieder das gleiche Bild: Straßenmusikanten, Passanten mit großen Einkaufs-tüten, Bettler, vorbeieilende Manager mit und ohne Handy, Frauen mit und ohne Frisur, Zeitungsverkäufer und natürlich diese Fifty-Fifty-Obdachlosen, die ihre magere Zeitung für etwas Geld an den Mann oder an die Frau bringen wollten. Warum arbeiteten diese Menschen nicht? Sie könnten doch die Bürgersteige säubern oder sich als Wachattrappen vor die Geschäfte stellen! Wer arbeitete heute überhaupt noch? Neu­lich hatte er gelesen, dass fünfzig Prozent der Bevölkerung die anderen fünfzig Prozent über Wasser hielten. Fifty-Fifty also. Ein Witz? Herrlich, dieser Staat. Hier verhungert keiner, aber irgendwann geht die Wirtschaft den Bach hinunter.

      Was wird aus ihm? Kann er die Firma halten? Wenn nein, was macht er dann? Malen oder als Journalist arbeiten? Er las die Überschrift auf dem Blättchen des Fifty-Fifty-Verkäufers: „Künstler helfen Obdachlosen“. Leon Petrollkowicz fand es gut, dass sich viele aus dieser Szene für die Armen engagierten. Sollte er nicht auch so ein Blättchen kaufen und damit den Jungen von der Parkbank das Konto aufbessern? Er kaufte. Und in dem Au­genblick, da er aus der Hosentasche einige Euro fischte und dafür das Blatt entgegennahm, erfuhr er eine weitere Demü­tigung. Emma Hengstenberg lief gemessenen Schrittes an ihm vorbei und quittierte mit einem unverschämten Lächeln die Aktion ihres Kollegen.

      Sie grüßte nicht, sie sagte nichts, sie griente ganz einfach, so als wollte sie diesem Käufer des Fifty-Fifty-Blattes zu verstehen geben, dass er gut daran tue, sich schon mal mit diesem Milieu vertraut zu machen. So meinte jedenfalls Leon Petrollkowicz das Mienenspiel dieser Frau deuten zu müssen. En passent, versteht sich, aus den Augenwinkeln heraus, beobachtete er dieses unverschämte Weib, das von seiner unternehmerischen Aufbauleistung profitierte und ein fürstliches Gehalt einsteck­te. Und wofür? Um ihn zu desavouieren, vor den Augen seines besten Kunden zu kompromittieren, ihn quasi als Säufer hin­zustellen. Wohin ging sie eigentlich zu dieser Mittagsstunde? Es war nicht die normale Route zur Kantine der Cassa No­stra AG, ihrem früheren Arbeitsplatz, sondern die Richtung Parkhotel. Er folgte ihr. Warum Parkhotel? Hatte sie sich zum Schluss mit Louis Sinopret zum Essen verabredet? Aha! War es nicht denkbar, dass sie statt seiner jetzt selbst den Termin wahrnehmen wollte, um zu zeigen, dass sie es besser als er kön­ne? Wenn ja, dann hätte er ihr vielleicht teilweise Unrecht ge­tan. Aber letztlich war ihr Verhalten so oder so unentschuld­bar, weil sie seine Würde in den Schmutz gezogen hatte und er Mühe haben würde, diese Unverschämtheit aus der Welt zu räumen.

      Sie ging tatsächlich ins Parkhotel, aber dahin konnte er ihr nicht weiter folgen, ohne sich nicht zuviel zu vergeben. Er machte kehrt und marschierte die Schadowstraße hinunter zur Imbissbude, um sich dort wieder seine Kartoffel abzuho­len. So ungerecht konnte die Welt sein. Der Chef holte sich eine Kartoffel und seine Angestellte, die sie formaljuristisch schließlich war, ging in das feinste Hotel, um zu lunchen und anschließend in einem separaten Raum die Modalitäten der Imagekampagne zu besprechen. Natürlich, natürlich. Oder war es doch anders?

      Am Kartoffelstand stand wieder eine Frau vor ihm. Dies­mal eher ein indischer Typ. Er bewunderte das farbenfrohe Gewand, er sog den Duft der Haare in sich auf. Würde gleich wieder etwas Außerplanmäßiges passieren? Aber warum im­mer gleich so negativ denken? Vielleicht war alles ganz anders. Frau Hengstenberg traf sich mit ihrer Mutter zum Mittagessen im Hotel, und die Lady vor ihm benahm sich völlig normal, kaufte ihre Kartoffel und verschwand.

      Es kam doch anders. Die Inderin stürzte die Schar der Wartenden für lange Minu­ten in ein Nirwana der Ratlosigkeit. Sie wollte ihre Kartoffel mit der Scheckkarte bezahlen und wunderte sich, dass die Ver­käuferin auf bargeldlosen Zahlungsverkehr nicht eingestellt war. Sie rannte zum nächsten Geldautomaten. Die nunmehr verwaiste Kartoffel wurde aber nicht an Leon Petrollkowicz weiterverkauft, sondern auf die Seite gelegt, weil es die letzte Kartoffel dieser Backserie war und die Inderin betonte, dass ihr und nur ihr „dieses Mahlzeit“, wie sie sagte, zustand. Und so wartete Leon Petrollkowicz eben, bis die nächste Backse­rie fertig war, ohne zu murren, er war schließlich weder frau­en- noch ausländerfeindlich, machte sich nur gelegentlich so seine Gedanken. An diesem Tag hatte sich wohl alles gegen ihn verschworen, aber er versuchte es einigermaßen gelassen zu nehmen. Schließlich redete er sich sogar ein, dass es ein erfolgreicher Tag gewesen sei, weil er dieser blöden Megäre im Büro endlich die Zähne gezeigt und sie damit in die Schran­ken gewiesen hätte. Er wollte kämpfen, koste es, was es wolle. Eines Tages würde dieses Weib sich im Staube der Straße vor ihm krümmen, um Verzeihung bitten, und er würde sie gna­denlos abweisen. Er bahnte sich einen Weg durch die Avenue der Gastarbeiter, wie er die Schadowstraße gerne nannte, und fuhr nach Hause. Per Handy gab er seinen Mitarbeitern noch einige Anweisungen.

      Kapitel 3

      Leon Petrollkowicz hatte in Meerbusch bei Düsseldorf ein wunderschönes Zuhause. Er wohnte in der Poststraße, keine der ganz noblen Straßen wie die Hindenburgallee, wo sich die ganz Reichen eingenistet hatten und auch Dr. Maibohm eine Prunkvilla besaß, aber in einer schönen Straße im Ortsteil Bü­derich. Seine Wohnung hatte über zweihundert Quadratmeter. Sie war repräsentativ, aber nicht protzig, sondern trotzig. Mit ihr wollte er zeigen, dass er es zu etwas gebracht hatte, als um­sichtiger, kompetenter Unternehmer, und wenn es sein mus­ste, sollte sein Eigentum auch Neid hervorrufen. Schließlich war er wie viele andere tüchtige Firmengründer, die sich dem harten Wind des Wettbewerbs stellten, ein Aushängeschild der Marktwirtschaft. Allen Widrigkeiten zum Trotz wollte er über­leben und andere ermuntern, es ihm gleichzutun. Mit dieser Einstellung brauchte man sich seines Lebensstandards nicht zu schämen. Dazu gehörte, sich Personal zu leisten, ein edles Auto zu fahren, schöne Reisen zu machen, in gute Restaurants zu ge­hen, Klamotten zu kaufen, die Lebensgefährtin zu verwöhnen und seine kulturellen Bedürfnisse zu befriedigen.

      Leon Petroll­kowicz ärgerte sich darüber, dass viele ganz anders dachten.


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