Verlorenend. S. G. Felix

Verlorenend - S. G. Felix


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wäre sie nicht zufrieden mit seiner Antwort.

       »Wie heißt du?« fragte sie ihn schließlich. Dieses Mal war sie jedoch sichtlich interessierter an der Antwort, denn sie drehte sich halb zu Antilius um, sodass er aber immer noch nicht ihr Gesicht zu sehen bekam.

       Jemand fragt einen, wie man heißt, und man nennt seinen Namen. Was war daran so schwer? Antilius machte wie aus einem Reflex den Mund auf und … schloss ihn dann wieder. Er hatte sich an alle Namen der Inselwelten erinnern können. Doch an seinen eigenen Namen nicht. Auf seinem Weg nach oben zum Plateau kamen ihm viele Fragen in den Sinn, doch die wichtigste von allen hatte er verdrängt. Wie war sein Name? Wer war er?

       Antilius huschte ein gehetzt wirkendes Lächeln der Verlegenheit übers Gesicht und dann bekam er Panik. Sich nicht daran zu erinnern, wer er war, bedeutete für ihn ein schockierendes Gefühl des Kontrollverlusts.

       »Ich kann nicht. Ich kann mich nicht … erinnern. Ich …«

       »Schon gut«, sagte die Frauenstimme, jetzt ganz sanft. Antilius konnte spüren, wie erleichtert sie zu sein schien.

       »Das ist schon gut. Es ist alles gut«, sagte sie, erhob sich dabei und blickte Antilius durch eine bronzefarbene Maske an.

       »Wieso trägst du eine Maske? Wer bist du?«, fragte Antilius heiser.

       Die fremde Frau schaute kurz zu den Sternen auf und blickte dann wieder Antilius an. Die bronzene Maske, die sie auf ihrem Gesicht trug, hatte nur einen sehr schmalen über das Nasenbein durchgängigen Sehschlitz für beide Augen.

       »Es ist eine wunderbare Nacht für deine Rückkehr, findest du nicht?«, sagte sie.

       »Rückkehr? Wovon redest du? Wovon redest du nur? Was ist mit mir geschehen?«

       »Habe keine Angst. Jetzt beginnt für dich ein neues Leben. Frage nicht nach deiner Vergangenheit. Es wird dir vermutlich sowieso nichts nützen. Es wird wohl niemanden geben, der die Antworten kennt, egal, wen du fragen wirst. Ich hoffe jedenfalls, dass es so ist«, sagte die Fremde. Ihre Stimme war unglaublich beruhigend.

       »Wer bist du?«, wiederholte Antilius.

       »Ich bin nur jemand, der dir den Pfad in dein neues Leben weist. Die Maske trage ich, weil ich fürchte, du könntest dich doch noch an etwas erinnern, wenn du mein Gesicht erblickst. Hier, nimm das«, sagte sie und zog ein zusammengerolltes Stück Pergament aus ihrer Kutte hervor und gab es Antilius.

       Er rollte es hastig auseinander. Es war eine Urkunde, die dem Besitzer dieses Dokuments das Eigentum von einem Stück Land im nördlichen Teil von Bétha garantierte. Diese Art von Urkunden war sehr alt, das wusste Antilius.

       Er schaute die Fremde mit der Maske verdutzt und überrascht an.

       »Für dein neues Leben«, sagte sie. »Ich bin sehr froh, dass ich es geschafft habe, dich rechtzeitig zurückzuholen, gleichwohl es nicht meine Idee gewesen war. Ich wünsche dir, dass du jetzt ein friedvolles und unbekümmertes Leben führen kannst. Das wünsche ich mir mehr, als du dir je vorstellen könntest.

       Aber dennoch weiß ich, dass dich deine Vergangenheit wieder einholen kann. Und dass das Böse wieder zurückkehren kann. Hoffen wir, dass es nicht dazu kommt.

       Ich muss jetzt fort. Je eher, desto besser. Ich gehöre nicht hierher.«

       »Wer bin ich?«, fragte Antilius flehend.

       »Du bist ein Mann, der neu anfangen darf. Sei dafür dankbar. Frage nicht und sei einfach dankbar.

       Und wenn jemand dich nach deinem Namen fragt, dann sagst du: ‚Antilius’.«

       »Antilius? Ist das mein richtiger Name. Heiße ich so?«

      »Dein alter Name ist vergessen. Von nun an bist du Antilius. Es ist nicht irgendein Name. Er ist einzigartig. Einzigartig auf dieser Welt. Er wird dich vor unangenehmen Fragen beschützen und vor Bösem. Niemand wird sich über diesen Namen wundern, auch wenn es ihn nur einmal auf dieser Welt gibt.«

      Antilius wandte seinen Blick von der Fremden ab und schaute zum Meer. Sollte er das akzeptieren? Keine Fragen stellen und auf Bétha ein neues Leben beginnen?

       »Was ist, wenn ich, ohne Fragen zu stellen und Antworten zu suchen, nicht werde leben können?« fragte er nachdenklich, wobei er auf das ruhige Meer schaute.

       »Dann könntest du sterben«, sagte die Fremde gefasst. »Wenn es das Schicksal so will, dann wirst du herausfinden, wer du bist. Aber wenn das geschieht, dann wird Thalantia in Gefahr sein. Ich will nicht, dass es dazu kommt, aber vielleicht haben wir keine andere Wahl. Ich hoffe für dich, dass nichts geschehen wird, das dich dazu zwingt, nach Antworten zu suchen. Das hoffe ich wirklich.«

       »Leb wohl, Antilius.«

       Als er sich wieder umdrehte, war…

      »…sie fort. Sie war einfach verschwunden. Sie hatte sich in Luft aufgelöst oder sonst irgendwas. Ich weiß es nicht«, sagte Antilius mit einem sehr trockenen Mund.

      »Was meinte sie damit, dass du sterben könntest?«, fragte Gilbert beunruhigt und fasziniert zugleich.

      »Wenn ich das wüsste«, erwiderte Antilius betrübt.

      »Das ist wirklich die merkwürdigste Geschichte, die ich je gehört habe«, sagte Pais und rieb sich das Kinn.

      »Ich habe euch das nicht umsonst erzählt. Denn wegen meines Gedächtnisverlusts bin ich jetzt hier. Brelius bat mich, ihm zu helfen - das habe ich euch erzählt. Was ich euch nicht erzählt habe, war, dass er in dem Brief, den er mir geschickt hatte, schrieb, es könnte Antworten auf meine Fragen betreffs meiner Vergangenheit geben, wenn ich nach Truchten reise.«

      »Und statt Antworten zu finden, bist du auf noch mehr Fragen gestoßen«, fügte Pais hinzu.

      Antilius nickte. Er holte den Brief von Brelius aus seiner linken Hosentasche und gab ihn Pais zum Lesen. Pais las ihn laut vor:

       Sehr geehrter Herr Antilius,

       dieser Brief erreicht Euch in äußerster Dringlichkeit.

       Mein Name ist Brelius Vandanten. Ihr werdet mich nicht kennen, und eigentlich kenne ich Euch auch nicht, und doch weiß ich, wer Ihr seid.

       Mir sind in den letzten Tagen Ereignisse widerfahren, die ich mir nicht mit logischen Argumenten erklären kann. Ereignisse, die dazu geführt haben, dass ich gezwungen worden bin, etwas zu tun, das unabsehbare und furchtbare Konsequenzen haben könnte.

       Ich habe erfahren, dass Ihr, Herr Antilius, der Einzige seid, der mir noch helfen kann, ein großes Unheil, das über uns alle kommen könnte, zu verhindern.

       Deshalb bitte, nein, ich flehe Euch an, zu mir zu kommen. Ich lebe auf der Fünften Inselwelt Truchten in der Nähe der Stadt Fara-Tindu.

       Ich weiß, dass Ihr jetzt skeptisch sein und versucht sein werdet, mir keinen Glauben zu schenken, während Ihr diese Zeilen lest.

       Doch hört mich an: Ich kenne zwar nicht Eure Biographie, doch weiß ich, dass es etwas gibt, nach dem Ihr Euch sehnt. Die seltsamen und zugleich beängstigenden Dinge, die mir widerfahren sind, müssen in irgendeiner mir nicht nachvollziehbaren Verbindung mit Euch stehen. Eine Verbindung, von der Ihr selbst wahrscheinlich auch keine Kenntnis habt. Doch wenn Ihr hierher kommt, könnt Ihr dies ändern:

       Wenn Ihr Antworten auf Eure Fragen sucht, die Eure Vergangenheit betreffen, dann kommt zu mir.

       Mehr kann ich nicht


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