Memento mori. Klaus Schneider Erich

Memento mori - Klaus Schneider Erich


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Schmerzen und aus Kummer über seinen Zustand. Er lag in einem kleinen Zimmer, auf einem alten Bett mit fast aufgerichtetem Oberkörper. Er bemerkte den Jungen nicht immer, der da wortlos stand, und darauf wartete, dass die Mutter kam und ihm die Medizin gab, die ihm die Schmerzen nahm und ihn einschlafen ließ.

      Das letzte Bild, die letzte Erinnerung an seinen Opa, ist der Anblick des Toten mit hochgebunde­nem Unterkiefer. Hochgebunden mit einem zu großen weißen Tuch, welches das halbe Gesicht be­deckte und auf dem Kopf mit einer großen Schleife geschlossen war.

      Der Opa wurde in dem Familiengrab, neben seiner Frau, bestattet. Das Totenbett mitsamt Matrat­zen und Decken verbrannte der Vater sofort, was sich später, wegen des immensen Wertes dieses Möbelstückes, als sehr strittig herausstellte. Damit war die sachliche Abwicklung einer Existenz be­endet.

      Es sollte noch an dieser Stelle, eine der wenigen, dem Sohn sichtbaren positiven Eigenschaften der Mutter erwähnt werden. Sie pflegte den Opa in einem gewissen Grade fürsorglich, er kann sich an keine missmutigen Worte erinnern, er glaubt, sie hat ihn wirklich geachtet, eine für sie doch schon außergewöhnliche Gefühlsregung, fand wenigstens er.

      Peinliche Aversionen unter den verbliebenen Nachkommen, der Vater hatte noch zwei Geschwis­ter, bestimmten nun fortan das Verhältnis, der im Dorf lebenden Verwandtschaft. Eine der Haupt­akteurinnen verkörperte natürlich die Mutter, die andere Amazone seine Tante. Sie stritten um ein Nichts, keine wirklich materiellen oder auch ideellen Werte standen zur Aufteilung. Es waren viel­mehr die unter dem Mantel der Zwangsharmonie verborgenen Antipathien, die nun an den Tag tra­ten.

      Die zwei Kontrahentinnen benötigten zu Beginn der dummen Feindseligkeiten nur die Erde über dem Grab. Die ersten Scharmützel begannen sie jedoch schon, nachdem gewiss war, dass der alte Mann nicht mehr lebte und nichts mehr von ihrem Gezanke mitbekam. Die Mitglieder der gegneri­schen Familien wurden dann zwangsverpflichtet und mussten den Fahneneid auf die jeweili­ge Megä­re und ihre dummen, engstirnigen An- und Absichten ablegen.

      Der Krieg um das Nichts, er zählte zu den längeren der Familiengeschichte, dauerte so runde zehn Jahre. Anschließend herrschte weitere zehn Jahre eine etwas labile Waffenruhe, dann, mit der auf­kommenden Altersweisheit oder der Müdigkeit der Kampfhennen, folgte eine friedliche Koexistenz der Familien. Dabei wurde das Gewesene einfach totgeschwiegen, das war auch besser so.

      Für den Jungen, und er denkt auch für seinen Vater, brach mit der Streiterei ein Teil der eher dürf­tigen sozialen Kontakte weg, was vom Vater resignierend, vom Sohn mehr traurig hingenommen wurde, oder hingenommen werden musste. Es schmerzte ihn nicht so wegen der Tante. Der Onkel, zu dem eine nicht näher erklärbare Verbindung bestand, fehlte ihm auf irgendeine Weise. Als dieser Mann später starb, er selbst war damals schon so zwanzig Jahre, lag er lange weinend auf seinem Bett, so sehr schmerzte ihn der Verlust dieses Mannes, zu dem er jahrelang nie einen intensiven Kontakt hatte. Diese seltsame Verbundenheit ist ihm bis heute ein Mysterium geblieben.

      Verbundenheit, ein konturloser Begriff, da er doch von den Menschen in ihrer Verschiedenheit ebenso unterschiedlich interpretiert und verstanden wird. Er fragt sich nachdenklich, wem er sich in seiner Kindheit und Jugendzeit, außer dem Opa und dem Onkel, jemals aus einem inneren Gefühl heraus, bewusst und ohne jeglichen existenziellen Zwang, verbunden fühlte. War er überhaupt ein­mal jemandem bewusst und frei verbunden, ohne praktische Notwendigkeit oder existenzielle Ab­hängigkeit?

      Er lässt sie vor seinem Auge Revue passieren, die Personen und Gesichter jener Zeit. Es sieht nicht gut aus mit bejahenden Ergebnissen seiner Recherche. Verheerend schlecht wäre noch treffen­der formuliert. Taucht ein Gesicht auf, zerfällt es nach Momenten der kritischen Betrachtung, gleich­gültig, wie die Person ihm gewogen war. War die wohlige Wärme einer Regung fühlbar, so glich er dieses Empfinden mit den Erfahrungen in ähnlichen Situationen ab. Das Risiko einer Fehlinterpreta­tion stufte er dann meist, auf Grund von vergleichbaren, aber schlechten Erfahrungen, als zu groß ein und beendete die Suche.

      Es war schlicht weg ein Mangel an verfügbarem Vertrauen zu sich und seiner menschlichen Umge­bung vorhanden. Was ihn dazu animierte, sich mit der intimen Gesellschaft seines näheren Umfel­des, in rein theoretischer Art und Weise, sehr kritisch auseinander zu setzen und es danach in die Kategorie, “lebensnotwendiges Übel“ einzustufen. Er gewann seine Überzeugungen nicht aus dem Ergebnis seiner Bemühungen um Akzeptanz, die er mit dem Wissen eines Schülers, sowieso nicht nachvollziehen konnte, sondern aus den Erfahrungen seiner Kindheit.

      So begegnete er den Menschen schon damals mit Distanz und verhaltener Ablehnung. Diese Erkenntnis ermöglichte sicherlich keine Aufarbeitung der überwiegend unerfreulichen Kindheit oder ein fruchtbares Erleben der Rekonvaleszenz in den nachfolgenden Jahren, doch als Basis für die Bewertung und Bewältigung kommender Widernisse erwies sie sich durchaus als zweckdienlich.

      Seine Erinnerungen, stellt er nachdenklich fest, lassen oft eine Chronologie vermissen. Fast wirr, teilweise zusammenhanglos, tauchen sie in seinem Bewusstsein auf. Soll er den Versuch wagen, sie zu ordnen, zu verknüpfen, ihnen eine chronologische Logik zu verpassen?

      Er hegt große Zweifel an der Umsetzbarkeit und auch Sinnhaftigkeit eines solchen Ansinnens. In dieser Reihenfolge, seien sie nach sachlicher oder emotioneller Wichtigkeit geordnet, sich aus diesem oder jenem Grunde wiederholend, hat er Zugang zu den Archiven seines Unterbewusstseins erhal­ten. Er findet, er sollte dies so akzeptieren und der Selbstzensur seiner Psyche vertrauen.

      Sicher bleiben Fragen, sogar drängende Fragen aus dunklen Ahnungen verschwommener Bilder offen. Nur, wer fragt, sollte sich vor der Frage überlegen, ob er auch die Antwort erträgt. Eine Antwort, die unter Umständen wenig schmeichelhaft oder gar erschreckend sein kann. Er hätte kein gu­tes Gefühl dabei, den Geistern der Vergangenheit ungefiltert Eintritt in seine heutige labile Psyche zu gewähren.

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