Memento mori. Klaus Schneider Erich

Memento mori - Klaus Schneider Erich


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in der Woge der Begeisterung mit. Nun vegetierte er in diesem gottverdammten Land vor sich hin, verlassen vom großen Führer, der feige sich der Verantwortung, auch der Verantwortung für ihn, entzogen hatte. Verraten von den unzähligen Parteibonzen und Funktionären, die jede Verantwortung für dieses Debakel vehement abstritten und sich meist rechtzeitig in sichere Zonen absetzten. Alleingelassen mit seinem Schicksal, der Gnade oder Ungnade der Sieger ausgeliefert, rechtloses menschliches Le­ben, ganz so, wie das Großdeutsche Reich es vor kurzer Zeit noch selbst an den Menschen prakti­zierte. Wie übersteht man so einen tiefen Fall, so eine desolate Situation, ohne in tiefe Depression zu verfallen?

      Man stellt sich einfach dumm, hält die vertrauten Feindbilder hoch und setzt die Sieger gedanklich ins Unrecht. Gedanken sind frei, sind manipulierbar und können Hass erzeugen, Hass als Basis zum Überleben. Hass ist eine der stärksten menschlichen Emotionen, setzt ungeahnte Kräfte im Kampf ums Überleben frei und bewahrt zudem weitgehend vor zerfressenden, selbst zerstörenden Schuld­gefühlen.

      Es ist jedoch eine etwas perfide Auslegung der Tatsachen notwendig, um diese Überlebensstrategie zu praktizieren. Schon allein die Erkenntnis, dass das Gegenüber, der so genannte Feind, ein gleich macht- und rechtloses Werkzeug eines Systems ist, wie man selbst, bereitet durchschnittlich intelli­genten Menschen gedankliche Probleme. Sie waren oder sind doch alle eingepfercht in ein System, das schon einen Hauch von Menschlichkeit als Verrat ansah und entsprechend reagierte. Der verteu­felte Feind, ein Abziehbild des eigenen Schicksals!

      Ein Mann mit einer erwachenden Moral, der Erkenntnis oder besser der Ahnung, dem Unrecht ein weites Feld seiner Seele angedient zu haben, kann dabei schon zerbrechen. Was hätte alles passieren müssen um dieses Debakel nach der Rückkehr in die Heimat zu beseitigen? Wiedersehensfreude mit den Eltern, die Dankbarkeit überlebt zu haben, bestimmt schöne, auch gewaltige Gefühle, doch nicht mehr als ein Spritzer Wasser auf eine verbrannte Seele.

      Reden wollten wohl viele der Heimkehrer über ihre Erlebnisse, doch die Gesellschaft mochte von dem Debakel nichts mehr hören und folglich auch nicht mehr darüber reden. Sie kamen ja nicht als Helden zurück, diese jammervollen Gestalten, geschlagen, gedemütigt. Keine Siegertypen, sie pass­ten nicht recht in die Auffassung von „das waren doch nicht wir“, oder „lasst doch endlich die Ver­gangenheit ruhen“.

      Sie fanden eine fremde Heimat vor, die von neuen Wertvorstellungen und ebensolchen politischen Machtverhältnissen geprägt war. Ihre alten Ideale hatten den Wert eines abgetretenen Schuhes. Die Erlebnisse aus dem Krieg konnten sie, höchstens selektiert, aufbereitet für die neue Moral, wiederge­ben. Dazu mussten sie sich noch manchem vorwurfsvollen Blick von Menschen stellen, deren Sohn, Bruder oder Mann nicht wieder zurückkehrte. Sie bezahlten einen hohen Preis für den Grö­ßenwahn eines Despoten ihrer Gnaden.

      Nun stand er da in seiner Heimat, seinem Elternhaus. Die Familie betrieb eine kleine Landwirt­schaft als Nebenerwerb, sein Vater war Rentner und nicht mehr bei bester Gesundheit. Die Mutter schwer erkrankt, ihr Sterben war absehbar, sie lebte auch nur noch wenige Monate. Er, krank an Leib und Seele, doch die wirtschaftliche Situation der Familie erforderte zwingend und schnell sei­nen Beitrag,

      Er fand dann kurz nach seiner Rückkehr eine Arbeit als Schreiner, in einer nahe liegenden Stadt, wo die Fabriken der Uhrenindustrie Arbeitskräfte benötigten.

      Der Firma, die ihn damals einstellte, ist er sein ganzes weiteres Berufsleben treu geblieben. Berufli­ches Weiterkommen war für ihn nie von besonderem Interesse. In dieser Firma lernte er dann seine Frau kennen und durfte sie bald darauf, aus zwingendem Grunde, dem, der baldigen Niederkunft des ersten Kindes, ehelichen.

      Dieses erste Kind war er, der Sohn. Ob es eine Heirat aus Liebe, aus Verantwortung oder ein Ent­gegenkommen gegenüber dieser Frau war, behielt er zeitlebens für sich. Die Aufmerksamkeit und Zuwendung, die die Eltern ihrem Sohn zukommen ließen, sowie die spürbare Distanz des Paares zu­einander, würden jedoch einige Zweifel an einer Heirat aus Liebe zulassen. Er, der Sohn, verstand als Kind nicht, warum sich sein Vater so verhielt, warum er ihn nicht beschützte, ihm keine Zuneigung zeigte. Und obwohl er im Laufe der Zeit viele Erklärungen zu diesem Verhalten fand, kann er dem Vater keine Absolution erteilen.

      Was in aller Welt kann er dafür, dass sich eine ganze Generation von Schwachköpfen verführen und missbrauchen ließ! Menschen, die ihr Gefühl, ihre Ratio von markigen Worten unsinniger Ver­sprechen abkaufen ließen, um dann nach dem Zerplatzen all ihrer Illusionen und Werte, in einer Welt zwischen gestern und heute taumelnd, keine Kraft oder keine Courage mehr besaßen, ihren Kindern das zu geben, auf was diese ein Anrecht hatten, Liebe und Zuneigung.

      Einzig sein Opa vermittelt ihm zuhause Wärme und Zuneigung. Ein damals schon alter Mann mit weißen, schütteren Haaren, hagerem, gebeugtem Körper und einem natürlich sanften Wesen. Er setzte sich zu ihm, hörte zu und tröstete ihn bei all seinem Kummer. Alles mit einer anrührenden Bedächtigkeit, nie hörte er von ihm ein böses Wort. Der einzige Mensch aus seiner Vergangenheit, den er wirklich vermisst.

      Ein bescheidener Mann von außergewöhnlichem Charakter. Er stellte seine eigene Bedeutung, ohne den geringsten Verlust seiner Würde, bis zur schieren Unkenntlichkeit zurück, war sich nicht zu schade, nicht zu stolz, anderen seinen Platz zu überlassen, zur Seite zu treten, wenn der Weg zu eng wurde. Er, der erste und lange Zeit einzige Mann aus seinem Heimatdorf, einer bäuerlichen Ge­meinschaft von ärmlichen Menschen, der den Mut aufbrachte, einen Beruf, in der damals aufkei­menden Uhrenindustrie zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, zu erlernen. Er gestaltete und mal­te Zifferblätter von Uhren. Wunderschöne Handarbeiten, die viel Talent und handwerkliches Ge­schick erforderten.

      Er weiß nicht mehr viel über diesen Mann, seine Geschichte ist mit ihm gestorben, er weiß nur das, was der Vater erzählte. Als Sohn eines dem Alkohol nicht abgeneigten Dorfbüttels, wuchs er in ärmlichsten Verhältnissen auf. Dem Makel seiner Geburt widersetzte er sich und begab sich nicht auf das charakterliche und soziale Niveau seines Vaters. Er erlernte schon zu Ende des neunzehnten Jahrhunderts, gegen viele Widerstände, den besagten Beruf,, heiratete, gründete eine Familie und er­warb ein bescheidenes Haus.

      Ein einfaches Haus mit kleinen, niederen Zimmern, einem angebautem Stall und einer Scheune. Die Toilette war ein an der Außenseite zum Garten integrierter Bretterverschlag, mit einer kreisrund ausgeschnittenen Holzplatte über einer offenen Grube. So präsentierte sich das Haus noch als der Enkel die ersten vierzehn Lebensjahre dort verbrachte. Ein Badezimmer oder eine Waschküche war in dieser Art von Häusern nicht vorgesehen. Die gesamte hygienische Aktivität spielte sich in der kleinen Küche ab.

      Die Bezeichnung Hygiene sollte im Konsens dieser Zeit gesehen werden, das heißt: im Wochen­rhythmus baden, in einer Zinkwanne, die Samstagnachmittag in die Küche geschafft wurde. Das dafür erforderliche warme Wasser musste über einem Holzherd erhitzt werden, was wiederum die Erklärung dafür ist, dass dieses Badewasser gleich mehrere Personen nutzten.

      Im Winter froren die Bettdecken in den eiskalten Schlafzimmern oft an, da sich die Räume nur mühsam und nach heutigem Verständnis, auch nur unzureichend erwärmen ließen. Es war ein sehr einfaches, bescheidenes Leben in diesem Haus. Dass es in der Erinnerung doch eher nostalgisch, verklärt erscheint, liegt sicher an der Vielfalt der Tiere, die den Rest des Anwesens belebten. Schwei­ne, Ziegen, zwei Kühe, Hasen, Hühner und teilweise sogar ein paar Schafe drängten sich in Stall, Scheune und auf der Wiese hinter dem Haus. Ob diese Tierhaltung eine Passion des Opas war, oder ein Relikt aus einer Zeit, in der die Tiere zur Versorgung der Bewohner notwendig waren, er weiß es nicht. Die Anzahl der Tiere reduzierte sich mit dem Alter des Opas. Zum Schluss waren praktischer Weise nur noch die Fleisch- und Wurst- sowie die Eierlieferanten verblieben, also Schweine und Hühner.

      Der Opa, er war schon über achtzig Jahre alt, starb unter furchtbaren Schmerzen zu Hause. Er litt ein Leben lang unter quälenden, chronischen Kopfschmerzen. Diese rührten von einem Schwall ko­chend heißes Wasser, das ihm als Kind über den Kopf geschüttet wurde. Dies Unglück geschah bei der damals üblichen Entsorgung von Abwasser. Küchenfenster auf und Abwasser raus auf die Stra­ße.

      Der alte Mann lag oft in seinem Zimmer und wimmerte vor Schmerzen. Schmerzen, die im fortge­schrittenen Alter nur noch durch die Einnahme von Morphium etwas gemildert wurden.


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