SILBER UND STAHL. Nicole Seidel
Kleid an, "die Wunden sind nicht entzündet, eitern nicht. Ich hab mir das gestern Abend angesehen. Ich bin Nestra'hil, eine Heilerin, ich kümmere mich um die Verwundeten."
"Hannad, Nestra'hil." Iorweth hatte sich ein Stück Brot genommen und leerte sich etwas von dem über dem Feuer brodelnden Eintopf in eine Schale. Die Heilerin war ein sehr puppenhaftes Wesen, für eine Elfe mit einem sehr rundlichen Gesicht und großen braunen Augen ausgestattet.
Später lernte Iorweth den Scoia’tael-Unterschlupf genauer kenne. Er sprach mit Chireadan, der derzeit eine Beinwunde auskurieren musste. Außer der Heilerin und Toruviel gab es noch acht weitere Frauen. Weitere dreißig Scoia'taelkrieger beinhaltete diesen hier lebenden Trupp. Mal starben welche, mal kamen andere Freiheitskämpfer hinzu. Eigentlich war es ein ständiges Kommen und Gehen. Verwundete kurierten sich hier aus, um sobald wieder gesund, sich erneut in den Kampf zu stürzen.
Im gesamten südlichen Gürtel vom westlichen Brokilon, durch Temerien über Aedirn bis hin zum Dol Blathanna im Osten hatten die geächteten Elfen zum Kampf um Freiheit aufgerufen. Unzählige unorganisierte Trupps von zehn bis fast hundert Scoia'taels zogen durch die Königreiche und machten den Menschen das Leben schwer.
Iorweth badete sich im See mitsamt seiner Kleidung - er fühlte sich dreckig und seine feine Nase sagte ihm er stank erbärmlich. Er legte sich auf einen Felsen nahe dem Ufer und ließ sich von der Sonne trocknen. Er fühlte sich als einsam Gestrandeter. Seine Familie war fortgezogen, er hatte nichts mehr von ihnen gehört. Coinneach floh ebenfalls von hier, wohin konnte ihn keiner sagen. Er hatte sein altes Leben in Wyzima verloren, konnte sich dort nicht mehr sehen lassen. Es war sogar ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt worden, weil er die beiden Edelleute getötet haben sollte. Vor einigen Tagen war er auf die Schwarzschwalbeninsel gerudert, um die Herrin vom See wiederzusehen, aber auch sie zeigte sich nicht, blieb verschwunden.
Doch das schlimmste daran war seine Entstellung, sein Gesicht. Im Spiegel des unruhigen Wassers starrte ihn eine rotfleischige Fratze entgegen - das Loch in der Backe begann zu einem grotesken Narbengeflecht zusammenzuwachsen. Unterhalb der rechten, leeren Augenhöhle begann eine breite Narbe, zog sich bis hinab zur Oberlippe und endete dort. An der Stirn gab es eine weitere unschöne Wunde, von der eine Narbe zurückbleiben würde.
Sein muskulöser Körper zeigte schon die ersten Anzeichen der spärlichen Nahrung, der Entbehrungen hier im Unterschlupf, er wurde hager und zäh. Doch Iorweth neigte nicht zum Selbstmitleid und tolerierte seine derzeitige Situation. Es war ein Schicksalswink gewesen, dass er dies alles überlebt hatte.
Eines Tages - nach einem hoffnungsgetränkten Traum, den ihn die Herrin vom See geschickt hatte - schnitt sich Iorweth das lange Haar nackenkurz und begann verbissen mit seinem Kampftraining.
Die Habseligkeiten eines verstorbenen Scoia’tael wurden unter den anderen immer aufgeteilt. So gelangte Iorweth an eine Lederrüstung und einen zweigeteilten Bogen. Ein dunkelrotes Tuch hatte er sich um den Kopf und die rechte Gesichtshälfte geschlungen.
Mit seinem Freund Riordain und vier weiteren jungen Freiheitskämpfern, begann er die Gegend unsicher zu machen. In erster Linie galten ihre Überfälle auf die Menschen nur einem Ziel: zu überleben. Jetzt wo der Winter vor der Tür stand, hatten die Menschen ihre Vorräte gehortet, in freier Wildbahn zählte die Jagd. Essen, Nahrung auftreiben, war oberstes Gebot. Doch Spezialeinheiten, Bürgerwehr und die Miliz der nahen Hauptstadt erschwerten es ihnen.
Im kargen, kalten Winter, der diesmal bis in die südlichen Ebenen Schnee mit sich brachte, stellte sich Erstarrung ein. Hunger und Kälte zerrten an den ausgemergelten Leibern der Elfenkrieger. Die schwächsten überlebten nicht. Nur Iorweths kämpferischer Übereifer war es zu verdanken, dass nicht noch mehr starben, als jene, die eh gestorben wären. Bei einem seiner Überfälle auf einen fahrenden Händler aus Redanien, nördlich von Wyzima, erbeutete er einen Wagen voll mit Gewürzen, gegerbtes edles Wyverneleder zwei Fässer mit Toussainter Wein. Leder und ein Fass Wein behielten sie, die Gewürze und das zweite Weinfass tauschen sie gegen Lebensmittel im südlichen Dorf ein.
7
Als der Frühling wiederkehrte, drangen die Schwarzen Reiter von Nilfgaard über die Jaruga und eroberte Brugge und Sodden - zwei Provinzen im Süden Temeriens. Nachdem sie zuvor Cintra und weite Teile Angren in verbrannte, tote Wüsten verwandelt hatten. Aus dem nahen Gebirge Mahakams kamen die Zwerge den Menschen zu Hilfe. Die ganzen nördlichen Königreiche schienen König Foltest von Temerien zu Hilfe zu eilen, schickten ihre Armeen und Zauberinnen. Auf der Anhöhe von Sodden kam es zu einem folgeschweren Kampf, an dem sich vierzehn Zauberer beteiligten und das Blatt zu Gunsten Temeriens änderten. Davor hatte es fast so ausgesehen, als siegten die schwarzen Krieger aus dem Süden.
Nur widerwillig gab der Kaiser von Nilfgaard die nördlichen Gebiete des Grenzflusses Jaruga auf. Er hatte in Kovis einen zahlungskräftigen Verbündeten und die Königin von Lyrien hatte ihm schon recht früh den Treueeid geschworen. Im Schatten der vier nördlichen Königreiche Temerien, Redanien, Kaedwen und Aedirn hatte sich Kovis unbemerkt zu einem mächtigen Land hochgehandelt, in dem es sich das uneingeschränkte Monopol auf den Seehandel unter den Nagel riss und auf den großen Handelsstraßen dominierte. Kovis konnte die letzten Jahre so viel Geld anhäufen, dass es sich Unabhängigkeit und Macht kaufen konnte.
Es mussten Kompromisse gemacht werden. Brugge und Sodden fiel Nilfgaard zu, und wurde von diesen besiedelt. Lyrien unterstand dem Kaiser ebenfalls und die Elfenzauberin Francesca Findabair bekam das Gebiet, das als Blumental - Dol Blathanna - bekannt war. Mit einer traurigen Auflage allerdings: Die meisten jungen Elfen - die zu den Scoia'tel zählten - durften in ihr freies Elfenland nicht einkehren.
In den zwei Jahren in der der Krieg zwischen Nilfgaard und den nördlichen Königreichen gedauert hatte, organisierte Iorweth die freien Elfen neu. Er schloss die einzelnen Scoia'tel-Truppen zu einer flächendeckenden Organisation von Freiheitskämpfern zusammen. Doch ihr eigentliches Ziel verlor sich im Chaos des Krieges. Stattdessen wurden sie zum Spielball zwischen den Fronten, kämpften auf beiden Seiten unerbittlich gegen die Menschen, die Dh'oine, wie sie sie nannten. Iorweth wurde zu ihrem Anführer, wegen seiner Gnadenlosigkeit und seines markanten Aussehens, hatte er bald den Ruf eines hässlichen Schlächters bekommen. Und wurde in allen nördlichen Königreichen mit einem hohen Kopfgeld gesucht.
Ein besonders dreister Scoia'tel-Trupp überfiel am Rand eines Schlachtfelds die Lazarette und töteten dort die Verwundeten. Abgeschaut hatten sie sich das von der Nilfgaarder Elfen-Brigade Vrihedd - Iorweth fand heraus, dass kein geringerer als Coinneach Dá Reo diese kaltblütigen Elfen anführte. Was neuen Hass gegen die Elfen schürte. Überall wurde Jagd auf die Eichhörnchen gemacht. Bekam man welche zu fassen, wurde sie sogleich am nächsten Baum aufgehängt.
Die weniger kriegerischen Elfen, assimilierten sich und lebten meist in ärmlichen Ghettos zusammen mit anderen Anderlingen, wie Zwergen und Halblingen. Man hatte ihnen nicht nur den Reichtum und die Freiheit geraubt, sondern auch ihre Würde und ihre Hoffnung auf eine friedvolle Zukunft.
Und erneut war es das Temerische Gebiet in dem die Unruhen begannen intensiv zu brodeln. Als die Nilfgaarder Gefahr abgewandt war und ein zweifelhafter Frieden unter den Königreichen erkauft worden war, war nur kurz Ruhe.
Aydan La Valette, der Neffe von König Foltest, besetzte ein Gebiet im Norden Temeriens und forderte so seinen Onkel heraus. Der hatte schon genug eigene familiäre Probleme, da er keinen legitimen Thronfolger hatte. Nur sehr zögerlich ließ er sich auf den Kampf mit seinem Neffen ein, in der Hoffnung ihn doch nochmals zur Vernunft zu bringen.
Als Demawend - König von Aedirn - einem Meuchelmörder zum Opfer fiel. Veranlasste das den König des nördlich gelegenen Kaedwen, König Henselt, dazu ins Pontartal vorzudringen. Obwohl der Aedirner Thron noch leer blieb, weil sich die Adligen und Würdenträger des Reiches nicht für Prinz Stennis erwärmen konnten, dem Sohn von Demawend's Schwester, hatte niemand mit den dort ansässigen Bewohnern gerechnet, die zur Revolution aufriefen. Das Volk war es, das sich tapfer gegen das Eindringen ihres Nachbarn aus Kaedwen wehrte. Bauern, Handwerker und freie Bürger griffen beherzt zu den Waffen und bald war von einer Anführerin die Rede, die das ganze Pontartal gegen den Eindringling König Henselt aufhetzte: Saskia