SILBER UND STAHL. Nicole Seidel
Die Ankunft des Schiffes blieb nicht unbemerkt. Iorweth bekam schnell Nachricht von seinen Spähern, als Vernon Roche, sein ärgster Feind aus alter Zeit, mit seiner blaugestreiften Truppe unterhalb Flotsam vor Anker ging. Der Kommandant der Spezialeinheit war in Begleitung des weißhaarigen Hexers Geralt von Riva und der rothaarigen Zauberin Triss Merigold. Die drei folgten einem Uferweg, der verschlungen an grauen Klippen vorbeiführte. Die Sonne schien friedlich, die Vögel zwitscherten und das liebliche Lied einer Flöte drang an ihre verwunderten Ohren.
Die drei Angereisten blieben unterhalb des Baumastes stehen, auf dem ein Elf saß und sein Lied zu Ende spielte.
Iorweth erhob sich und begrüßte seinen blaugewandeten Feind mit theatralischen Gesten. "Vernon Roche. Seit vier Jahren Anführer der Temerischen Sondereinheit. Diener des Teme-rischen Königs. Verantwortlich für die Befriedung des Mahakam-Vorlands." Er wusste viel über seinen Feind und gab es gerne preis. "Elfenjäger. Mörder von Frauen und Kinder. Zweifach ausgezeichnet für Mut auf dem Schlachtfeld." Die letzte Bemerkung unterstrich der Elf indem er in die behandschuhten Hände klatschte.
"Iorweth, gewöhnlicher Hurensohn", grüßte Vernon Roche mit hasserfüllter Stimme zurück.
Den arrogante Mut des Scoia'tael-Anführers zollten die drei Personen am Boden, in dem sie noch immer nicht zu den Waffen griffen.
Iorweth breitete seine Arme aus und redete weiter. "Ich habe so lange auf diese Begegnung gewartet. Pläne geschmiedet. Fallen gestellt. Und dann tauchst du mir nichts dir nichts in meinem Wald auf."
"Du hast dem Mörder meines Königs geholfen", klärte Roche ihn wütend auf.
"König oder Bettler, wo ist der Unterschied? Nur ein Dh'oine weniger!"
"Seit wann bedienen sich die Eichhörnchen gedungener Mörder?" mischte sich nun auch der weißhaarige Hexer mit grabeskalter Stimme in das Gespräch mit ein. "Ein Dh'oine im Dienste der Scoia'tael. Tief seid ihr gesunken!"
"Gedungener Mörder, ja, so kann man ihn wohl nennen." Iorweth faltete die Arme vor der Brust und blickte auf die drei Menschen herab. "Aber ganz gewiss nicht Dh'oine." Die letzte Aussage hatte er dem Hexer mit den gelben Katzenaugen gewidmet.
"Hier geht es doch nicht um Rassenzugehörigkeit", maulte Geralt von Riva und überhörte die Anspielung auf seine Hexermutation.
"Und ob das der Zankapfel ist", eine leichte Wut schwang in der Stimme des Elfen mit. "Wir haben spitze Ohren, ihr runde. Wir sind langlebig, aber nur wenige. Ihr dagegen vermehrt euch massenhaft, doch glücklicherweise krepiert ihr schnell. Jeder will beweisen, dass gerade seine Ohren die richtige Form haben. Darum dieser Rassenkrieg. Deswegen bekriegen sich Menschen und Elfen seit über vier Jahrhunderten. Wegen der Form ihrer Ohrmuscheln!"
"Du bist einer der Greise in Jünglingsgestalt, die hinter gewählten Worten die Wahrheit zu verbergen suchen", forderte Geralt den Elfen weiter heraus.
"Die Wahrheit?"
"Es geht nicht um Rassen oder Freiheit. Nicht einmal um Rache", offenbarte ihm der Hexer. "Ihr seid hier, weil es euch irgendein Einflussreicher befohlen hat. Von dem ihr einfach benutzt werdet. Vielleicht trägt er eine Krone oder ein Zauberstab. Vielleicht herrscht er über eine Gilde. Sicher ist, dass ihn eure Freiheit und Angelegenheiten ebenso wenig scheren, wie eure Ohren. So war es in Nilfgaard und so ist es auch jetzt. Irre ich mich?"
Meinte er Letho? Doch Iorweth wollte es nicht wahrhaben und antwortete trotzig: "Du irrst dich! Die Zeiten sind vorbei, niemand benutzt mehr die Scoia'tael."
"Wem willst du das verkaufen. Mir? Dir? Oder deinen Schützen im Gebüsch?" Der weißhaarige Hexer deutete nach oben in Richtung seiner unsichtbaren Bogenschützen.
"Hör auf zu schwafeln", wandte plötzlich Vernon Roche ein und griff nach seinem Messer. "Stirb!"
Die Klinge flog dem Elf entgegen, doch Iorweth sprang mit einer geschickten Drehung zur Seite und brüllte seinen wartenden Bogenschützen einen elfischen Befehl zu. "An'vaill!"
Etwa sechs Bogenschützen traten von den erhöhten Klippen aus dem Dickicht und zielten auf die drei Menschen.
Bevor die tödlichen Geschosse ihr Ziel trafen, sponn die Zauberin ein Schutzschild um sie. Doch sie hatte es so schnell entstehen lassen, dass es über ihre Kräfte ging und sie in Ohnmacht fiel. Der Schutzschild jedoch blieb bestehen. Orangene Schmetterlinge flatterten aufgeregt im Lichtbogen und verpufften.
Geralt bat Roche, Triss zu tragen und er wollte sich um die Elfenkrieger kümmern, die versuchten in den magischen Kreis zu kommen.
Einige Scoia'tael streckte der Hexer nieder. Während der blaugestreifte Kommandant mit der Zauberin über der Schulter dem Weg nach Flotsam weiter ging. Geralt folgte ihm, kreuzte noch einige Male Elfenklingen und wehrte Pfeile ab, die es in den Schutzschild hineingeschafft hatten. Schließlich kam die kleine Stadt am Fluss in Sicht.
Iorweth befahl seinen Elfenkriegern, die Verfolgung aufzugeben. Aus seiner Deckung heraus beobachtete er den Hexer, der mit einem vielsagenden Blick zu ihnen hinaufsah - aber sie eigentlich nicht sehen konnte. Auch diesen Hexer zierte eine unschöne Narbe, die quer über sein linkes Auge ging.
"Ihr kennt euch?"
Letho trat in diesem Moment an Iorweths Seite und blickte dem anderen Hexer nach. "Oh ja, aber davon weiß er nichts mehr. Darum konnte ich den Hexer auch überraschen, als ich Foltest tötete. Keine Sorge, Elf. Ich kenne Geralt, besonders seine Schwächen."
Iorweth schwieg. Er ahnte, dass Geralt von Riva mit seiner Behauptung gar nicht so verkehrt lag.
Wenige Tage später fanden zwei magere Scoia'taelkrieger und ein Zwerg - denn auch etliche Zwerge hatten sich den Freiheitskämpfern angeschlossen - drei tote Banditen in den alten Elfenruinen Cal'naveth, die südlich eines Wasserfalls lagen. Einer der Elfen kniete sich neben einen der Leichname und untersuchte dessen Verletzungen.
"Eine Hexerklinge", erläuterte er. "Letho kommt gerne hierher."
"Aber im Moment ist er nicht da", entgegnete der Zwerg mit dem geflochtenen Bart, der am Eingang der Ruinen stehengeblieben war. "Also können wir wieder gehen." Furchtsam blickte er sich um.
Der Elf erhob sich und wanderte zu der Statue zweier Liebender, die zwischen den hier wild blühenden Rosen hervorragte. "Sie haben uns die Geschichte von Eldan und Cymoril gestohlen. Wie sie jetzt die Rosen der Erinnerung stehlen. Sie haben daraus ein schwachsinniges Märchen gemacht. Ein verwunschener Wald und ein entzückendes Elfenmädchen, das darin lebte. Bis dann ein Menschenprinz erschien, auf einem milchweißen Ross. Bloéde Dh'oine. Wir Aen Seidhe wissen wie es war. Grenzenlose Hingabe. Aufopferung und Leidenschaft."
Ein leises Stöhnen entrann der Statue.
"Die Legende sagt, dass die Seufzer jener Liebenden in diesen Stein gebannt sind. Und nur Verliebte können sie hören." Die Elfen verließen die Ruinen.
"Singende Büsche. Rülpsende Steine. Typischer Elfenquatsch", maulte der Zwerg und blickte sich lauschend um.
Das Stöhnen wurde zu einem erquickenden Liebesseufzer.
"Ach du Scheiße." Der Zwerg nahm seine kurzen Beine in die Hand und stolperte seinen Kameraden hinterher.
Wie hätte er in diesem Moment auch ahnen können, dass sich ein echtes Liebespärchen unterhalb der Statue in einer verwunschenen Grotte ihrem Liebesspiel hingab? Es waren Geralt und Triss.
Auf Drängen des Hexers willigte der Zwerg Zoltan Chivay ein und führte seinen Freund Geralt zu den Scoia'tael, mit denen er heimlich gemeinsame Sache machte. Der Hexer musste unbedingt mit ihrem Anführer reden, da dieser genau wusste, wo sich der Königsmörder aufhielt.
So machten sich die ungleichen Freunde auf den Weg durch den dichten Wald und folgten schmalen Pfaden.
Unerwartet blieb der Hexer plötzlich stehen und stoppte den rotgewandeten Zwerg mit einer Handbewegung. "Zoltan, halt. Wir sind da."
"Also Geralt, du bist wachsam wie ein Kranich. Aber jetzt