Weihnachten? Um Gottes Willen!. Klaus Grammel

Weihnachten? Um Gottes Willen! - Klaus Grammel


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      Ich gab mir Mühe, dass meine Antwort nicht ärgerlich klang.

      Eine Frau sagte, dass ihr das mit Jesu Geburt schon wichtig sei, auch wenn es vielleicht nicht genau der 24. Dezember war.

      Fast alle nannten die Geschenke, vor allem die an die Kinder, den Weihnachtsmann, den Weihnachtsbaum und ein harmonisches Zusammensein im Familienkreis und auch Kollegenkreis als wesentlichen Bestandteil des Weihnachtsfestes.

      „Das alles hat ja mit Kirche eigentlich nichts zu tun“, fasste der Leiter zusammen. „Im Grunde kann da doch keiner wirklich was dagegen haben.“

      „Aber einer hatte was dagegen!“ Ich schaute den Leiter an. „Und ihr habt gleich nachgegeben.“

      „Nun, gut, wir wollten tolerant sein. Wir wollten ihn nicht verletzen. Im Übrigen haben wir abgestimmt.“

      Dem Leiter war nicht wohl bei der Sache. Das sah man ihm an. Eine ältere Erzieherin versuchte, die beklemmende Situation zu verändern.

      „Ich finde, zu Weihnachten muss auch gesungen werden. Überhaupt Musik, Blockflöten und so …“ Ich sah sie interessiert an.

      „Und die Kinder sollen auch etwas aufsagen oder wenigstens vorlesen.“

      „Sagte sie das meinetwegen?“, fragte ich mich.

      „Es muss ja nicht unbedingt etwas aus der Bibel sein“, fügte sie noch hinzu. Mir war klar: Das sagte sie wegen ihrer Kollegen.

      Am Ende der Diskussion kam noch jemand mit der Wintersonnenwende. „Die sollte vielleicht auch in den Mittelpunkt gerückt werden.“

      „Würde dir ohne die Sonnenwende zu Weihnachten was fehlen?“, fragte ich nach.

      „Nicht unbedingt“, gab er zu.

      „Nun, ich will einiges klarstellen“, sagte ich. „Erstens: Der Weihnachtsbaum ist kein christliches Symbol. Im Gegenteil, in der Kirche wetterte man eine Zeit lang gegen den heidnischen Brauch, geschmückte Weihnachtsbäume aufzustellen, wie es die reichen Bürger in ihren Wohnungen taten. Den Adventskranz könnte man schon eher als Symbol des christlichen Glaubens verstehen, denn der Theologe und Erzieher Johann Hinrich Wichern war auf die Idee gekommen, ein ausgedientes Wagenrad mit kleinen Kerzen – für jeden Adventstag eine – und mit vier großen Kerzen, zusätzlich für die Adventssonntage, zu schmücken. Ich meine, es war so um 1840. Später kamen Tannenzweige dazu. Wichern hatte, wie ihr wisst, verarmte Kinder um sich gesammelt, mir denen er im „Rauhen Haus“ in Hamburg zusammenlebte. Jetzt konnten sich die Kinder selber ausrechnen, wann endlich Weihnachten ist, nämlich dann, wenn alle Kerzen brennen. Und warum Kerzen? Weil Gott mit Jesu Geburt Licht in die Welt gebracht hat. So hatte Johann Hinrich Wichern sich das gedacht. Von wegen, der Kranz ist neutraler als der Baum. Es ist genau umgekehrt, als ihr meint.

      Zweitens: was ihr für wesentlich beim Weihnachtsfest haltet: die Geschenke für die Kinder, das Singen von Liedern bzw. Musikmachen und überhaupt das Feiern in der Familie, das alles ist erst durch Martin Luther, also durch die Kirche, möglich geworden. Das gab es vorher überhaupt nicht. Luther hat für diese Entwicklung das Tor aufgemacht. So richtig entwickelt hat sich das dann allerdings erst später.“

      „Moment! Man hat sich vorher zu Weihnachten nichts geschenkt?“, unterbrach mich ein Erzieher.

      „Richtig. Nichts. Nicht einmal die Kinder haben was gekriegt.

      Weiter. Drittens: Den Weihnachtsmann würde es nicht geben ohne den Heiligen Nikolaus, der ein Bischof gewesen war, also ohne die Kirche.“

      „Moment mal. Der Nikolaus, der hat gelebt?“ Es war noch einmal derselbe Erzieher.

      „Ja, Nikolaus war der christliche Bischof von Myra. Die Stadt liegt heute in der Türkei und heißt Demre. Er ist am 6. Dezember 343 gestorben.“

      „Nach Christus oder vor Christus?“

      Ich schaute den Fragesteller verwundert an. Kann man heute nicht einmal die fundamentalsten Dinge voraussetzen?

      „Nach Christus“, sagte ich und verschluckte ein „Natürlich. Wie kann man so dumm fragen.“

      „Ausgerechnet am Nikolaustag ist der Bischof Nikolaus gestorben? So´n Zufall.“ Die Erzieherin, die den Zwischenruf gemacht hatte, sah mich erstaunt an.

      „Der 6. Dezember wurde zum Tag des Heiligen Nikolaus, weil es sein Todestag war“, klärte ich sie auf. Sie staunte noch immer. „Und warum nahm man ausgerechnet den? Und nicht den Geburtstag?“

      „Weil den Christen der Geburtstag nicht wichtig war. Den haben sie nicht gefeiert. Das machten nur die Heiden. Da euch diese Formulierung vielleicht diskriminierend erscheinen mag, sage ich mal lieber statt Heiden: die Nichtchristen.

      Und damit bin ich bei Punkt vier: Die Geburt Jesu am 24. Dezember ist eine Legende, die die römischen Kaiser aufgebracht haben. Dass man ein Weihnachtsfest feiern sollte als Geburtstag Jesu Christi und das noch dazu am Tag der Wintersonnenwende, das war den Christen überhaupt nicht in den Sinn gekommen. Über dreihundert Jahre lang nicht. Ostern war ihnen wichtig. Aber nicht Weihnachten. Nun aber, nach 381, als das Christentum von den römischen Kaisern zur Staatsreligion erklärt worden war, wurde Weihnachten zu einem staatlichen christlichen Fest.

      Ich fasse mal zusammen: Alles, was ihr an Weihnachten für wesentlich haltet, und womit ihr euch absetzen wollt von der Kirche, hat seine Bedeutung durch die Kirche. Und das, was ihr für typisch kirchlich haltet, den Weihnachtsbaum, der gerade stammt nicht aus der Kirche!“

      Schweigen.

      „Ich nehme noch mal was von deiner Stolle“, sagte endlich jemand. „Wenigstens die ist ja neutral.“

      „Die Stolle kam im 14. Jahrhundert auf und sollte das gewickelte Jesuskind widerspiegeln.“ Ich sagte das ganz sachlich ohne triumphalen Unterton. Aber wurde es auch so gehört?

      Wieder Schweigen.

      Endlich meldete sich der Kitaleiter zu Wort. Er versuchte, sein Team in Schutz zu nehmen.

      „Klaus, jetzt hast du es uns mal so richtig gegeben, denkst du. In Wahrheit hast du hier nur den Oberlehrer raushängen lassen, um uns zu erniedrigen. Ich finde, so etwas ist nicht kollegial. Das, was du gesagt hast, ist deine persönliche Meinung, deine ganz subjektive Sicht. Man kann das auch anders sehen.“

      „Und wie?“

      „Ich bin da kein Experte. Aber es gibt nie nur eine Meinung.“

      „Jeder hat seine persönliche Sicht. Natürlich“, erwiderte ich. „Aber deshalb kann nicht jeder behaupten, was er will. Was ich gesagt habe, kann jeder wissen, der es wissen will. Und das sollte auch jeder wissen, zumal, wenn er verantwortlich ist, fürs Weihnachtsfeiern.

      Auch wenn die Geschichtswissenschaft nicht ganz so sichere Urteile erlaubt wie die Naturwissenschaft – an dem, was ich gesagt habe, kann keiner vorbeigehen, der ernst genommen werden will. Wenn ihr das für eine Belehrung haltet – gut, dann war es eine, aber keine, mit der ich euch erniedrigen wollte.“

      „Es mag ja stimmen, dass der Weihnachtsmann aus dem Heiligen Nikolaus entstanden ist. Ich will, das gar nicht bestreiten.“ Der jüngst eingestellte Erzieher ergriff das Wort. Angriff ist die beste Verteidigung, wird er sich gedacht haben. „Aber man muss doch fragen: warum denn? Vielleicht wollte man an Heilige nicht mehr glauben? Ich behaupte mal: Der Weihnachtsmann ist das Ergebnis einer Emanzipation. Er ist die befreite weltliche Variante des alten kirchlichen Heiligen. Den brauchen wir nicht mehr. Wir haben den Weihnachtsmann!“

      Das Wort Weihnachtsmann klang wie eine Fanfare.

      „Ja, das stimmt“, gab ich zu. „Die Figur des Weihnachtsmanns hat sich nach der Aufklärung entwickelt. Wobei freilich verschiedene Aspekte bei diesem Prozess eine Rolle gespielt haben. Zum Beispiel die der groben, bedrohlichen Gestalten des Winters. Im norddeutschen Raum der Knecht Ruprecht, im fränkischen der Pelzmärtel oder, besonders schlimm, der Krampus in den Alpengebieten. Ich denke schon, wie du, dass man den Weihnachtsmann unter dem Gesichtspunkt einer Befreiung von kirchlicher


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