Weihnachten? Um Gottes Willen!. Klaus Grammel
In der Nacht zum 6. Januar wurde dann das ganze Haus ausgeräuchert. Der Qualm von verbrennenden Mistelzweigen, Beifuß oder anderen geeigneten Pflanzen treibt das Böse aus, so versprach man es sich von dieser Aktion. Das klappte aber nur, wenn man entgegen dem Uhrzeiger durch die Räume ging.
Unter dem Einfluss der Kirche sollte man diese Zeit zur Besinnung nutzen, nicht nur sein Haus, sondern auch sein Leben aufzuräumen. Und zum Ausräuchern war Weihrauch in Priesterhand sicherlich auch wirkungsvoller.
Das erste Singen der Gemeinde konnte man etwa um 1200 herum hören. Bisher hatte nur der Priester gesungen. Sogenannte Leisen, in Deutsch gesungen, entwickelten sich. Die Bezeichnung ist vom Kyrie eleison abgeleitet.
Aus dem Schaukeln von Kinderkrippen entwickelte sich der Brauch des Kindelwiegens. Mädchen ziehen, während sie singen, an einem Band und bringen dadurch ein Babyschaukelbett in sanftes Schwingen. Das Lied „Josef, lieber Josef mein, hilf mir wiegen mein Kindelein …“ hat in diesem Brauch seinen Ursprung.
Im 13. Jahrhundert fing es mit den Krippenspielen an. Mit lebenden Personen und Tieren wurde die Weihnachtsgeschichte nachgestellt, woraus sich ein Spielen ergab. Die Hirten im Stall und die Weisen aus dem Morgenland begegneten sich.
In der Bibel begegnen sie uns so getrennt wie der Pinguin vom Südpol und der Eisbär vom Nordpol. Diese treffen sich erst im Zoo, so wie die Hirten und die Weisen sich nun in einer gespielten Weihnachtsgeschichte begegneten.
Die Weisen waren bereits zu den Heiligen drei Königen geworden und hatten seit dem 6. Jahrhundert auch schon ihre Namen: Kaspar, Melchior und Balthasar.
Ohne Franz von Assisi gäbe es das Krippenspiel nicht. Am 25. Dezember 1223 hatte er im Wald von Greccio begonnen, mit lebendigen Menschen, Ochsen und Eseln und Heu und Stroh der Gemeinde sichtbar vor Augen zu führen, dass Gott uns in Niedrigkeit und Armut begegnet. Zugleich wollte er aber auch zeigen, wie reich wir durch Gottes Zuwendung beschenkt worden sind und uns unsres Lebens freuen dürfen. Die Kinder sollen sich richtig satt futtern, hat er gemeint, keiner soll zu kurz kommen, selbst „die Wände sollen Fleisch essen.“
Weil nicht jede Gemeinde ein großes weihnachtliches Krippenspiel auf die Beine stellen konnte, kamen bald geschnitzte Krippen auf, meistens bemalt, ein Ersatz sozusagen.
Aber vor dieser mittelalterlichen Zeit, da war doch auch schon Weihnachten!
Ja, aber lediglich als Festtag im kirchlichen Kalender, mit seinem speziellen Inhalt und entsprechender liturgischer Ausprägung, aber ohne ein besonderes für das Volk interessantes Profil. Ostern und an vielen Orten Marienfeste waren wichtiger. Für das Weihnachtsfest brauchte man nur Jesus Christus, ohne den es kein Christentum geben würde, seine Geburt, durch die Gott Mensch wurde. Mensch freilich, nicht ganz so, wie wir Menschen sind. Seine Zeugung vollzog sich anders als bei uns Normalsterblichen. Es bedurfte dazu keines männlichen Spermiums mit Y-Chromosomen, das in die Eizelle eindrang. Aber davon wussten die antiken Geschichtenerzähler auch noch nichts. Für die Bevölkerung war an Weihnachten wichtig, dass nach der Messe oder Mette, wie man mancherorts auch sagte, endlich wieder nach Wochen des Fastens gegessen werden durfte. Am liebsten eine Mettensau, wenn man sie sich denn leisten konnte.
Dieses Weihnachten, als Geburt des auf der Erde erschienenen Gottes, der das Licht in unsere finstere Welt gebracht hat, war im vierten Jahrhundert entstanden. Für den 25. Dezember 354 ist es zum ersten Mal in Rom belegt. Ab 381 wurde das Fest allgemeingültig. Denn in diesem Jahr wurde die Absicht von Kaiser Theodosius zum verbindlichen Beschluss, das Christentum zur Staatsreligion zu erklären. Der 25. Dezember gilt seitdem als Geburtstag Jesu. Verpflichtend für jeden ohne Ausnahme wurde er, als Kaiser Justinian über hundert Jahre später diesen Tag zum gesetzlichen Feiertag erklärte.
Aber davor? Hat es da nicht auch schon ein Weihnachtsfest gegeben?
Bei den Christen nicht. Sie wurden vom Staat noch verfolgt und zogen sich bei Pogromen in ihre oft unterirdischen Verstecke zurück.
Aber bei den Römern.
Sie feierten am 25. Dezember die Geburt eines göttlichen Kindes, eines Knabens namens Mithras, der Licht in die Welt bringen sollte. Mit seiner Strahlenkrone auf dem Kopf galt er als unbesiegter und wohl auch unbesiegbarer Sonnengott. Ein Vatergott schickte ihn auf die Erde, um den Stier, Symbol des Bösen, zu töten. Er wurde in einer Felsengrotte geboren, von einer Jungfrau; deshalb nannte man ihn auch den Felsgeborenen. Hirten waren Zeugen der Geburt. Die geschah am längsten und dunkelsten Tag des Jahres, am 25. Dezember.
Wer zur Kultgemeinde gehören wollte, musste Wasser-, Feuer- und andre Mutproben bestehen. Getauft wurde man mit Stierblut. Hierarchische Weihegrade luden zur Karriere ein. Sein heiliger Tag war der Sonntag. Mithras selbst reichte vor seinem Tod zwölf seiner Anhänger ein letztes Abendmahl, Brot und Wein.
Es wurde erzählt, dass aus dem Schwanz des getöteten Stieres Reben und Getreide gewachsen sind. Nach seinem Tod erlebte Mithras seine Auferstehung.
Der ursprünglich in Persien beheimatete Gott Mithras wurde in der Kaiserzeit rasch im ganzen Römischen Reich bekannt, vor allem durch Legionäre, die vielfach diesem typischen Männergeheimkult beitraten. Seinen Höhepunkt erreichte der Kult um 200, nachdem Kaiser Commodus (180 – 192) sich ihm angeschlossen hatte.
Die Verbindung zu dem einheimischen altrömischen Sonnengott Sol wurde immer enger. Letztlich waren beide eins, zumindest in der Wahrnehmung der meisten. Mithras hieß bald ganz offiziell SOL INVICTUS MITHRAS.
Ich frage mich: Warum wissen die Menschen in den Gemeinden das nicht? Es würde ihnen sehr bekannt vorkommen.
Weil die Sonne mit ihrer Macht und ihrem Glanz sich herrlich als Symbol für Herrschaft eignet, war mit der Verehrung des Sonnengottes sehr schnell auch die Verehrung des jeweils herrschenden römischen Kaisers mitgemeint.
Mit welchem Argument sollte man dieses römische Kaisersonnenkultfest nicht ein Weihnachtsfest nennen, kein christliches, aber ein römisches?
Es wurde 219 durch den römischen Kaiser Elagabal angeordnet. Nach dessen Ermordung wurde es 274 durch Kaiser Aurelian erneut und nun endgültig etabliert.
Als 381 n. Chr. der römische Kaiser Theodosius eben dieses längst schon vorhandene Sonnengottfest zum Christusfest erklärte, dürfte im Empfinden so mancher römischer Bürger der Unterschied zu vorher gar nicht so groß gewesen sein. Was hatte sich denn schon groß geändert? Kaum mehr als der Name.
Und davor? Gab es da auch schon ein Weihnachten?
Ich denke ja. Denn es gab Feiern zur Wintersonnenwende im Dezember, wie verständlicherweise auch zur Sommersonnenwende im Juni. Tausende von Kultstätten für solche Feiern sind bekannt.
Goseck in Sachsen-Anhalt, etwa 5000 Jahre vor Christus entstanden, ist der älteste Sonnenkultort auf europäischem Boden, Stonehenge in Südengland wohl der bekannteste.
Wenn Menschen in der kalten, dunklen, längsten Nacht im Dezember der Kälte und Finsternis, ganz wörtlich und auch im übertragenden Sinne, ebenso wie ihre Hoffnung auf Wärme und Helligkeit, entgegensetzten und sich so Mut machten zum Leben – darf man das nicht eine geweihte Nacht nennen, eine Weihnacht?
Diese Kraft zum Dennoch gewannen die Menschen früher aus ihren Erfahrungen, die sie mit der realen Sonne am Himmel machten. Diese war für sie eine göttliche Macht, denn von ihr hing ihr Leben ab.
Wie anders gewinnen wir Menschen denn sonst unseren Lebensmut?
Doch immer nur aus Erfahrungen. Aus Erfahrungen, die uns tragen und Hoffnung geben. Dafür ist uns die Sonne das vielleicht wichtigste Symbol. Die Sonne geht jeden Abend unter und geht dennoch nie wirklich unter. Und selbst die langen kalten Wintertage bringen sie nicht um.
Ich mache mir das Ergebnis meiner Überlegungen klar:
Die lange, lange Geschichte des Festes im Dezember nimmt mir die Einäugigkeit, mit der man kirchlich auf das Weihnachtsfest blickt, als sei es das Fest der Geburt des Gottessohnes Jesus Christus und nichts anderes. Und erst recht nimmt es mir jede Lust, mich mit dem heutigen Weihnachtsmannweihnachten abzufinden