Weihnachten? Um Gottes Willen!. Klaus Grammel

Weihnachten? Um Gottes Willen! - Klaus Grammel


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n. Chr. feierte man im Römischen Reich ein Kaisersonnenkultfest. Danach wurde daraus ein Christuskultfest, nachdem die Christen bis dahin die Geburt Jesu Christi überhaupt nicht gefeiert hatten.

      Ohne Ostern kein Christentum, ohne Weihnachtsfest schon! Das Weihnachtsfest im Dezember ist also überhaupt keine christliche Erfindung.

      Mit diesem Blick, der Jahrtausende übersieht, entdecke ich, dass das Fest in unseren Tagen seinen Charakter als Christuskultfest verliert. Damit geht wieder einmal eine lange Epoche des Festes zu Ende. Man könnte das Fest, wie es sich zurzeit weltweit etabliert, ein Weihnachtsmannkultfest nennen.

      Bleibt die Frage: Was feiere ich, wenn ich Weihnachten feiere? Was ist mir ein ausreichender Grund für dieses Fest? Die Sonne? Die Familie? Die Geschenke? Oder dieser Jesus Christus? Oder was sonst? Oder ist mir das völlig egal? Hauptsache feiern?

      Ich muss dieses Buch schreiben. Ich muss das alles darlegen und die Leserinnen und Leser mit dieser Frage konfrontieren: Was feierst du, wenn du Weihnachten feierst?

      Mein Buch wird nichts bringen, was nicht jeder wissen kann und viele ja auch wissen, darunter nicht wenige, die es besser wissen als ich.

      Mein Buch soll zur Klarheit verhelfen. Mit diesem hilflosen Herumschwimmen zwischen gar nicht mehr wirklich verstandenen Traditionsresten und Gewohnheiten will ich mich nicht abfinden.

      Der Gedanke an das Buch hat sich in mir eingenistet. Ab jetzt wird kein Tag mehr vergehen, ohne dass ich nicht daran denke werde, was da alles hinein muss und wie ich das alles darstellen soll.

      Ich machte so etwas wie einen ersten Probelauf und setzte kurzfristig einen Vortrag in der Gemeinde an.

       „Weihnachten – was feiern wir da eigentlich?“

      Heute ist Sonnabend. Morgen kann ich die Veranstaltung in den beiden Gottesdiensten ankündigen. Mit zwei, drei Leuten kann ich eine Telefonkette in Gang setzen. Die Kita werde ich persönlich informieren.

      Etwa 20 Personen erschienen zu meinem Vortrag. Damit konnte ich zufrieden sein. Aus der Kita kamen zwei. Na ja.

      Als Einstieg erzählte ich von meinem Besuch in Newgrange, im Sommer dieses Jahres, wo man vor fünftausend Jahren schon am Tag der Wintersonnenwende im Dezember eine geweihte Nacht erlebte und das Leben feierte.

      Eine Reise in die Vergangenheit

      Opa, pass auf!“, rief mein hinter mir gehender Enkelsohn Luca.

      „Was ist?“, fragte ich im Weitergehen, während ich mich nach ihm umdrehte. Da stieß mein Kopf auch schon gegen einen leicht in den Gang ragenden Felsen.

      Der Führer unsrer kleinen Gruppe fragte mich, ob alles in Ordnung sei. „Mind your head“, ermahnte er uns noch einmal. Bloß auf den Kopf achthaben!

      Langsam, leicht gebückt, gingen wir hintereinander den etwa zwanzig Meter langen Gang weiter, der ins Innere des gewaltigen Hügelgrabes führte, der einen Durchmesser von mindestens 75 Metern aufwies, wie ich in einem Flyer gelesen hatte. Der Gang wurde an den Seiten und oben von unbehauenen Felssteinen gebildet. Mein Eindruck war, dass er leicht aufwärts führte.

      An seinem Ende öffnete er sich zu drei Kammern, je eine links und rechts und eine vorn als Abschluss. Unwillkürlich musste ich an ein dreiblättriges Kleeblatt mit einem langen Stiel denken. In Irland unvermeidlich. In der Mitte türmte sich ein konisch zulaufender etwa fünf Meter hoher Innenhohlraum auf.

      Mir kam eine zweite Assoziation. Wie in einer Kathedrale mit Längsschiff, Querschiff, Apsis und Vierung, dachte ich. Dabei ist Newgrange 3000 Jahre älter als das Christentum, älter als die berühmtere Steinzeitkultstätte Stonehenge, älter sogar als die Pyramiden.

      Meine Assoziation begegnete mir nicht einmal eine Minute später wieder, aber nun als kulturgeschichtliche Behauptung des Führers. Die christliche Kirchenbauform sei nicht vom Kreuz Christi herzuleiten, sondern von dieser Ganggrabanlage hier in Irland.

      Ich habe das schon öfter erlebt, dass die Hüter großer Kulturgüter dazu neigen, ihre Schätze zum Maßstab für alles und jedes zu machen. Er erklärte auch die rechte Kammer zu einer Art Taufkapelle, weil sie eine wunderschön geschliffene Steinschale aufwies. Sie muss im Innern hergestellt worden sein, da sie gar nicht durch den Gang gepasst hätte. Ob es sich nicht auch um eine Opferschale handeln könnte, gab eine Frau zu bedenken. Der Führer räumte ein, dass das keiner genau wissen könne.

      „Vielleicht haben die da auch Menschen geopfert, Opa. Kann doch sein oder?“ Im Moment interessierte sich mein Enkel sehr für vergangene Völker. Ägypter, Römer, Kelten, Germanen, die Wikinger, die Slawen. Gestern erst hatte er mir ein Buch über die Mayas gezeigt. Verständlich, dass er so fragt.

      „Luca, das halte ich für sehr unwahrscheinlich“, antwortete ich ehrlicherweise.

      In der anderen Kammer befand sich ein großer Stein. Ich dachte an einen Altar. Die obere Fläche wies eine Mulde auf, die Vorderseite wunderschöne Gravuren. Die habe ich auch schon auf anderen Steinen und Steinplatten gesehen. Besonders der große drei Meter lange Stein am Eingang des Ganges mit seinen Spiral- und Kreislinien fand meine ganze Bewunderung.

      „Guck mal, Opa, das sind immer drei.“ Mein Enkelsohn versuchte, eine der verschlungenen Linien in der Luft nachzuzeichnen. Es gelang ihm nicht.

      „Vielleicht haben die damals an Geburt, Leben und Tod gedacht“, gab ich zu bedenken. „Das ergibt doch drei.“

      „Oder … oder … an Vergangenheit und Gegenwart und Zukunft.“ Luca war stolz, dass ihm das eingefallen war. Jetzt war kein Halten mehr. „Oder … oder … Vater, Mutter, Kind, oder Körper, Seele und Geist oder …“

      „Okay, Luca. Toll, was dir einfällt. Aber lass es gut sein“, bat ich.

      „Ob das eine Schrift ist?“ Die Linien faszinierten ihn.

      „Nach bloßen Verzierungen, die einfach nur schön sein wollen und nichts mehr, sieht mir das nicht aus. Aber was?“ Ich wusste es nicht.

      Da ging plötzlich das spärliche Licht aus, das in der Anlage angebracht war. Es war stockfinster. Instinktiv griff der Zwölfjährige nach meiner Hand. Der Führer bat uns, aufmerksam auf das zu achten, was jetzt gleich geschehen werde.

      Und das muss ich zugeben: Was jetzt erfolgte – ich lernte in der steinzeitlichen Anlage von Newgrange zu staunen, gründlich und ergriffen zu staunen. Ich bekam einen Eindruck von dem, was hier am 21. Dezember beim Aufgang der Wintersonne passiert, in jedem Jahr, etwa fünfzehn Minuten lang.

      Ein Lichtstrahl fiel von Außen in den Gang und endete auf dem Boden, vielleicht einen Meter vor der steinernen Schlusswand. Was man für uns nur simulierte, war damals echt.

      Der Guide erzählte uns, dass Professor Michael O´Kelly der erste Mensch der Neuzeit war, der hier dieses Naturschauspiel der aufgehenden Sonne am Morgen nach dem längsten Tag des Jahres erlebte. Der Professor hat hier in der stockdunklen Kammer gesessen, erklärte er uns, als am 21. Dezember 1967 um 09.58 Uhr britischer Sommerzeit ein erster Sonnenstrahl durch die Öffnung, die sich oberhalb des Eingangs befindet, in den Gang eindrang. Jetzt war mir klar, dass der Gang leicht nach oben führen musste, wenn das Licht auf den Boden treffen soll.

      Der Lichtstrahl sei nach Schilderung des Professors immer größer geworden, erzählte uns der Guide. Dadurch habe das Grabinnere einen geradezu dramatischen Eindruck bekommen, weil die reflektierenden Einsprenkelungen in den Granitsteinen einen irisierenden Lichteindruck schufen. Da sich im Laufe der über fünftausend Jahre die Erdachse etwas verschoben habe, dürfte dieser Effekt früher noch größer gewesen sein als heute. Denn da müsste der Lichtstrahl direkt auf die hintere Kammerwand gefallen sein. Der Professor hatte in seinem Bericht vermerkt, sagte uns der Guide, dass der Lichtstrahl allmählich wieder schmaler geworden sei und ab 10.15 Uhr nur noch das spärliche Tageslicht in den engen Gang fiel.

      Mir schien, als sei der tiefe Graben zwischen mir und den Menschen der Jungsteinzeit gar nicht mehr so tief. Die Botschaft ist doch überzeugend. Die Sonne schafft es! Sichtbar. Erfahrbar.


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