7/4. Jack Timber
wenn Mike sehr viel von Eigenschutz hielt, Angriff war noch immer die beste Verteidigung.
Mike sprang über die Stolperdrähte und stürmte auf die linke Tür zu. Nach seinen Berechnungen würden die beiden anderen Teams eher auf der anderen Seite ihrem Job nachgehen.
Mike stieß die Tür auf und hechtete mit einer Rolle in den Raum. Noch bevor er wieder aufstand konnte er im Augenwinkel eine Bewegung ausmachen. Sofort knickte er seine Füße ein, um sich in diese Richtung drehen zu können. Was er sah, war sicherlich keine Geisel. Geiseln hatten kein Messer in der Hand und sprangen den rettenden Helden nicht an. Reflexartig drückte Mike den Abzug seiner Walther PPQ und brachte den Terroristen noch im Anflug zu Fall.
„T minus zwei.“ Diesmal war es Mike, der die Meldung an seine Kollegen weitergab.
Noch in der Rollbewegung sichtete Mike den Raum. Schließlich kniete er mit seiner Waffe im Anschlag. Nichts weiter zu sehen. Mike wechselte blitzschnell die Waffen. Er wollte lieber mit einem vollen Magazin in den nächsten Kampf gehen.
Dann machte er im hintersten Eck des Raumes doch eine Geisel aus. Ein Sprengstoffgürtel bekleidete den Mann. An seiner Brust lief eine Digitaluhr schnell herunter. Noch 30 Sekunden.
Im Laufschritt spurtete Mike zur Geisel. Beim Vorlaufen sicherte er den kompletten Raum. Keine weiteren Auffälligkeiten. Bis auf das Ticken der Uhr. Mike schaute auf den Gürtel. Ein übliches Modell, wie er es schon mehrfach zu Gesicht bekommen hatte. Während seiner Ausbildung hatte er schon viele dieser Gürtel entschärft. Er musste nur sehr vorsichtig sein. In der Regel explodierten die Dinger, wenn man sie versuchte abzulegen. Es gab meistens Drähte, die den korrekten Sitz kontrollierten. Wurde einer unterbrochen, bumm.
Mike riss die Abdeckung des Zünders auf. Noch fünfzehn Sekunden.
Er sah die Kabel, die zum Zünder gingen. Insgesamt vier Stück. Im Gegensatz zu den zahlreichen Actionfilmen hatten diese aber keine Farben. Mike kam somit nicht in die Verlegenheit sich zwischen dem blauen oder dem roten Draht entscheiden zu müssen.
Noch zehn Sekunden.
Zwei der Drähte führten zur Batterie, die anderen beiden zum Sprengstoff.
Noch acht Sekunden.
Mike nahm sein Messer aus dem Holster am Hosenbein und kappte das Kabel, das zur Batterie führte.
Die Uhr blieb bei vier Sekunden stehen. Zum ersten Mal sah er der Geisel ins Gesicht. Erleichterung machte sich breit.
„T minus eins“, hörte Mike aus dem Knopf im Ohr. Team Alpha schien ganze Arbeit zu leisten.
Gerade als Mike der Geisel helfen wollte aufzustehen, hörte er ein Rufen.
Er erkannte sofort die Stimme von Arschkopf. Na prima, mit dir habe ich eh noch ein Hühnchen zu rupfen, dachte Mike.
„Ich habe gesagt keine Tricks, ihr Schweinehunde.“
Mike blickte in die Richtung aus der die Stimme kam. Arschkopf hatte sich eine Geisel geschnappt und sie als menschliches Schutzschild vor sich gehalten. In seiner rechten Hand hielt er einen Auslöser. Die Kabel verliefen zur Sprengstoffweste, die um die Geisel geschnallt war. Auf Grund der hellen Hautfarbe seines Daumens von Arschkopf hielt er den Auslöser wohl schon einige Sekunden gedrückt. Eine Totmannschaltung.
Lässt er sie los, bumm.
„Damit habt ihr Pissköpfe nicht gerechnet, was?“
Ein beachtliches Repertoire an Schimpfwörtern hat der Gute auf Lager, dachte Mike.
Arschkopf war sichtlich angespannt. Er schwitzte stark und seine Hände zitterten leicht.
„Ok, du hast gewonnen. Was willst du?“, fragte Mike.
„Alle raus. Wenn ich in einer Minute noch einen von euch Pennern in diesem Haus sehe, fliegt die Geisel in die Luft. Und das wollen wir beide doch nicht. Haut ab und ich werde die Geisel bis nach Mexiko nehmen. Dann bleibt sie am Leben. Und schmeiß deine billige Cowboypistole weg.“
Mike betrachtete den Raum, in dem sie sich gerade befanden. Etwa vier auf vier Meter. Ein Fenster links hinter ihm. Arschkopf stand etwa zwei bis drei Meter diagonal vor ihm. Die vom Fenster einfallende Sonne musste ihn also leicht blenden.
Mike wandte einen alten Zaubertrick an. Wenn immer ein Magier das Objekt das er gleich verschwinden lassen wollte ganz offensichtlich mit einer Hand nach oben hob, um es den Zuschauern zu zeigen, konnte man sich sicher sein, dass die eigentliche Magie in diesem Moment in der anderen Hand passierte. Mike fiel das immer wieder auf, wenn er in Meetings sich selbst beobachtete. Sobald jemand mit der Hand auf eine Karte oder eine Grafik zeigte, wanderte der Blick automatisch mit der Handbewegung. Man musste sich schon sehr unter Kontrolle haben, um diesem Automatismus nicht bedingungslos zu folgen.
Mike nahm seine Walther PPQ von der rechten in die linke Hand. Dabei richtete er den Lauf der Waffe an die Decke und streckte sie weit nach oben. Die nun freie rechte Hand verschwand langsam und unauffällig unter seinem Anzug. Seine Hand ertastete die vollgeladene neue Waffe. Mit dem Daumen entsicherte er sie bereits.
Arschkopfs Blick folgte wie zu erwarten der Waffe in Mikes linker Hand.
„Ok, wie du willst.“
Mike warf die Waffe aus der linken Hand in einem hohen Bogen von sich Richtung Fenster.
Als die Waffe den höchsten Punkt der Flugbahn erreicht hatte, fügte er noch einen Satz hinzu.
„Ich bin übrigens nachtragend, Kallepuk.“
Mit dem letzten Wort krachte die Waffe durch das Fenster.
Arschkopf war sichtlich überrascht. Zum einen wegen Mikes Verhalten und dann darüber, dass er gerade in seiner Landessprache als Hohlkopf beleidigt wurde.
Diese zehntel Sekunde der geistigen Inaktivität von Arschkopf nutzte Mike gnadenlos aus. Er zog seine Waffe und schoss der Geisel in die linke Schulter. Noch bevor einer der beiden reagieren konnte, setzte Mike den zweiten Schuss direkt zwischen Arschkopfs Augen und hinterließ virtuell ein Riesenloch. Jetzt machte sein Spitzname wirklich Sinn.
Die Geisel flog durch die Schockwelle des Gerätes auf die Hand des inzwischen toten Geiselnehmers. Mike sprintete auf die beiden zu. Er wollte sicher gehen, dass sich die Schulter der Geisel bei der Landung noch immer auf dem Auslöser des Bombengürtels befand. Er erreichte die beiden noch bevor sie auf den Boden krachten. Die Schulter der Geisel kippte bedrohlich zur Seite und würde den Auslöser in den nächsten Sekundenbruchteilen nicht mehr drücken. Doch bevor es soweit kommen konnte, hatte sich Mike bereits entschieden, sich den Auslöser selber zu krallen. Im nächsten Moment war es nun Mike, der den Totmannschalter fest umklammerte.
„T minus 0. Over and Out.“
Eine halbe Stunde später versammelten sich alle Teilnehmer der Übung wieder hinter der großen Düne.
Tom ergriff das Wort.
„Gratulation meine Herren. Ich würde mal sagen, nicht optimal gelaufen, aber sehr gut auf die neuen Umstände reagiert.
Die Vorarbeit war passabel. Auf Grund der begrenzten Zeit aber nicht besser durchzuführen.
Die Stürmung des Hauses verlief koordiniert und diszipliniert. Bis auf, äh, Mike, kannst du uns die Eliminierung des Anführers selber schildern? Du hast doch nicht tatsächlich auf die Geisel geschossen, oder?“
Mike wusste, dass so etwas noch kommen musste. Bisher war er mit Toms Manöverkritik sehr zufrieden gewesen. Wer Tom kannte, wusste, dass bei ihm ein nicht schimpfen genug Lob war.
„Nun ja, das war eine ziemlich verzwickte Geschichte. Dadurch, dass uns die Kerle mit den Heizdecken reingelegt hatten, war der Überraschungsmoment erst mal dahin. Im weiteren Verlauf der Erstürmung hat mich dann das Oberhaupt eiskalt erwischt. Meiner Einschätzung nach hätte er mich in der Realität sowieso nicht gehen lassen. Die Geisel hätte er auch sicher hier in dem Haus nicht so mal eben sterben lassen wollen, denn dann wäre er niemals nach Mexiko gekommen, geschweige denn Muhammed