Katharina - Der letzte Winter mit Wölfen und Bären im Buchenland. Anna-Maria Wessely
einige Jahre in ihrem alten Haus. Hier fühlen sie sich wohl, weil sie alles schön hergerichtet haben. Auch der Tagesablauf funktioniert gut.
Inzwischen sind die Kinder, bis auf die beiden Kleinen, im Erwachsenenalter. Die Zwillinge Peter und Paul sind im Sommer 19 Jahre alt geworden. Nach der Schule haben sie im Sägewerk gearbeitet. Eine richtige Lehre konnten sie dort nicht machen. Ilona ist inzwischen 22 Jahre. Sie hat gerade ihre Lehre als Schneiderin abgeschlossen. Die 23jährige Elsa hat gleich nach der Schule in der Webstube angefangen.
Der auf der Flucht geborene Johannes ist sieben Jahre alt geworden und soll eingeschult werden. Katharinas Sohn Dieter geht seit drei Jahren in die rumänische Schule. Deutschunterricht bekommt er von Katharina.
Inzwischen sind alle Kinder im Ort verwurzelt. Katharina und ihre Mutter haben lange überlegt, ob sie sie aus ihrer Umgebung herausreißen sollen. Katharina drängt jetzt darauf, dass die Kinder und die inzwischen Erwachsenen eine bessere Zukunft haben sollen. Hier im Ort sieht sie keine Chancen.
Willi und Dora
Ihr wunderbares Leben in der Schweiz sollte nicht länger anhalten. Obwohl der Bäckermeister mit seiner kranken Frau froh ist, dass Willi und Dora ihn fleißig unterstützen. Er hat für das Ehepaar sogar eine Wohnung ausfindig gemacht.
»Soviel Glück kann ich gar nicht fassen « , brach Dora in Freudentränen aus, als sie sich die Dreizimmerwohnung ansehen. Willi nimmt sie in den Arm und macht ihr den Vorschlag: »Dann hat sich Mühe gelohnt. Von dem ersparten Geld können wir die Wohnung schön einrichten « . Aber jetzt haben sie wieder schlaflose Nächte. Sie haben es sich anders überlegt und werden weiter in den beiden Zimmern beim Bäcker wohnen bleiben. Als Juden sehen sie für ihre Kinder hier keine Zukunft.
Es zeichnet sich ab, dass der Krieg bald zu Ende sein wird. Es macht sich eine wunderbare Stimmung bei ihnen breit. Als ihnen der Bäckermeister, der keine Kinder hat, eröffnet, dass die Beiden später die Bäckerei übernehmen können, sollte ihr Glück vollkommen sein.
Willi und Dora leben sicher und zufrieden in der Schweiz. Eines Tages stellt Dora aber fest: »Es ist wunderschön hier, was ist aber wenn wir Kinder bekommen? Es wird kompliziert sie hier nach ihrem Glauben zu erziehen « . »Ja wir sind die einzigen Juden in diesem Ort. Ich glaube die Menschen wissen das hier gar nicht « , fällt Willi dazu ein.
Seit diesem Tage reift, vor allem bei Dora, der Wunsch in das gelobte Land Israel auszuwandern. Ein Gedanke mit dem sie sich schon lange Zeit beschäftigten. Auch bei Willi, der darüber nachdenkt den jüdischen Glauben anzunehmen, reift die Sehnsucht nach Israel auszuwandern.
Wieder haben Willi und Dora schlaflose Nächte, weil sie der Gedanke nach Israel auszureisen nicht loslässt. Nach langem hin und her fassen sie den heimlichen Entschluss, alles liegen und stehen zu lassen und nach Israel auszuwandern. Eine andere Möglichkeit sehen sie nicht.
Eines Tages kommt Dora mit der Information zu Willi: »Ich habe ein Schiff ausfindig gemacht, das mit Juden von Bari nach Israel ablegt « . »Auszuwandern, jetzt wo unsere Welt in Ordnung ist, fällt mir schwer « , gibt Willi Dora zu verstehen. Das ist aber nur der Anfang ihrer Diskussion ist.
Dora ist die treibende Kraft. »Wir haben doch genügend Geld zusammen und jetzt kann man Reisen wohin man will « , versucht Dora Willi zu überzeugen. »Denk doch nur an unser Versprechen gegenüber dem Bäckermeister « , kontert Willi.
Nach langem Hin und Her ist der Entschluss auszuwandern gefallen. Dora hat sich mit dem Schiffseigner in Verbindung gesetzt und die Zusage für zwei freie Plätze erhalten. Die Fahrkarten von der Schweiz nach Bari zu lösen, ist kein Problem.
Wieder laufen Vorbereitungen um sich davon zu machen. Willi behagt das gar nicht. Alles soll geheim bleiben. Sie nehmen Urlaub und erzählen dem Bäckermeister, dass sie nach Italien in den Urlaub fahren.
»Es ist doch kein Problem mit Koffern in den Urlaub zu fahren « , sagt Dora zu Willi, als es eines Tages soweit ist. »Ich hab ein mulmiges Gefühl « , gibt Willi Dora zu verstehen.
Trotzdem brechen sie auf. Offiziell fahren sie nach Bari in den Urlaub. »Bari, hatten wir das nicht schonmal? « , kann sich Willi erinnern. Dora beruhigt ihn: »Aber dieses Mal ist alles anders « .
Die Abreise in den Italienurlaub ist so gelegt, dass sie gut das Schiff in Bari erreichen können. Dieses Mal müssen sie nicht schwarz über die Grenze. Sie müssen auch nicht im Dunkeln aus dem Haus schleichen. Alles ist offiziell. Ihre Bahnfahrt wird direkt in Bari enden.
Alles klappt wie am Schnürchen, als sie in Bari auf dem Auswandererschiff an Bord gehen. Das Schiff ist voll mit israelischen Auswanderern, von denen viele den Holocaust überlebt haben. Sie haben wieder eine Kabine gebucht, dieses Mal an Oberdeck. »Ich find es eigenartig hier. Hoffentlich ist das kein Seelenverkäufer? « , gibt Willi Dora zu verstehen.
Es scheint aber alles in Ordnung zu sein, als das Schiff in See sticht. Die Kost an Bord erinnert sie an Israel. Als Palästina in Sichtweite ist, geschieht etwas Sonderbares. Zwei englische Kriegsschiffe legen bei und englisches Militär kommt an Bord. Es steuert direkt auf den Kapitän zu.
Beklommenheit macht sich bei den Passagieren breit. Willis Kommentar: »Ich hab geahnt, das hier etwas nicht stimmt « , geht im Tumult unter.
Niemand ahnt, dass die Briten ihre Finger im Spiel haben. Weil sie mit ihrem Mandatsvertrag für Palästina die Einrichtung einer Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina haben, sind sie mit den illegal eintreffenden Schiffen mit Juden überfordert. Sie bemächtigten sich dieser Schiffe und leiteten sie nach Zypern um. Die Engländer scheuen sich nicht Frachtschiffe zu versenken.
Nun verhindern die Engländer die Weiterfahrt ihres Selenverkäufers. An Bord ertönt plötzlich die Durchsage des Kapitäns, in der das Militär mitteilen lässt, dass das Schiff in Begleitung der englischen Kriegsschiffe in einem Hafen von Zypern anlegen wird. Das klingt wie eine Gefangennahme.
»Willi, das ist alles so schrecklich, was hier geschieht. Warum haben wir das nur gemacht? « , quillt es aus Dora heraus. Obwohl Dora und Willi bereits in Sicherheit waren, kommen jetzt wieder Ängste auf. Mit den anderen Schiffspassagieren sind sie sehr gespannt, was jetzt geschieht.
Es dauert längere Zeit bis ihr Schiff einen zyprischen Hafen ansteuert. Im großen Durcheinander erfahren sie, dass sie als jüdische Einwanderer ein Internierungslager gebracht werden. »Das hat uns gerade noch gefehlt « , kann Willi noch sagen, als sich Dora blass vor Aufregung und einer Ohnmacht nahe an ihm festhält.
»Es ist nicht zu verstehen, dass uns judenfreundliche Briten in ein Lager stecken « , sagt Willi. Nun geht alles wieder von vorn los. Auf engstem Raum leben sie mit vielen Landsleuten zusammen. Obwohl sie gut versorgt werden, begreifen sie die Situation nicht. Sie wissen auch nicht, wie lange sie festgehalten werden.
Es ist das Jahr 1947. Die Engländer bringen weitere Schiffe auf. Sie müssen weitere Lager einrichten, weil immer mehr Menschen, darunter viele Juden die den Holocaust
überlebt haben, unterbringen müssen. Auch viele Kinder und Jugendliche befinden sich unter ihnen. Im Lager werden täglich Kinder geboren. Berichte von Lagerinsassen, die den Holocaust überlebt haben, zermürben Willi und Dora. Ihnen geht psychisch und physisch schlecht.
»Wie konnten wir nur diesen Fehler machen? « , wirft Willi Dora an den Kopf, die nun ganz verzweifelt ist. Die Zustände im Lager werden immer schlechter. Die Engländer scheinen überfordert zu sein. Inzwischen hat auch die Welt von den katastrophalen Zuständen auf Zypern erfahren und übt weiter Druck auf die Briten aus. Im Lager spricht man von Schiffen, die durchgekommen sind. Auch das Juden wieder in die Herkunftsländer gebracht werden sollen. Über Fünfzigtausend Juden sitzen in den Lagern fest.
Die Geschehnisse in den Lagern und die bekannt gewordene Operation Oasis, mit der Zwangsrückführung der Juden in ihre Herkunftsländer, führen zum Ende der Mandatszeit der Engländer in Palästina und zur Unabhängigkeit Israels. Im Jahre 1948 werden die Lager auf Zypern aufgelöst. Willi und Dora können jetzt nach Israel ausreisen. Am Ende treten die Engländer ihr Mandat an