Katharina - Der letzte Winter mit Wölfen und Bären im Buchenland. Anna-Maria Wessely

Katharina - Der letzte Winter mit Wölfen und Bären im Buchenland - Anna-Maria Wessely


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der Zug an der nächsten Station hält, kommt Katharina zurück, um ihrer Mutter und den Mitreisenden zu erklären, welches Drama sich im Nachbarwaggon abspielt.

      »Mama, ich glaube wir müssen uns um die fremden Kinder kümmern, weil keiner die Verantwortung übernehmen will? « , bringt Katharina ihrer Mutter vorsichtig bei. »Kind, du siehst doch was hier los ist. Wie wollen wir das schaffen? « , fleht ihre Mutter sie an.

      »Ich gehe noch mal rüber in den Waggon mit den Kindern! « , sagt Katharina, bevor das Zugsignal erneut ertönt. Die kommenden Tage im Zug sind für alle sehr anstrengend. Zum Glück haben sie ihre Schmalzfleischdosen, von denen sie sich noch ernähren. Einige Dosen haben sie gegen Brot eingetauscht.

      In diesem Durcheinander sehen Katharina und ihre Mutter keine andere Möglichkeit, als sich um die Kinder der verstorbenen Mutter zu kümmern. So kommen zu den eigenen sechs Kindern sieben weitere hinzu.

      Zum Glück sind die Kinder zum Teil schon groß und selbständig. Trotzdem können sie diese schwierige Lage nur mit fremder Hilfe überstehen. Es geht um das nackte Überleben. In diesen Situationen wachsen Menschen über sich hinaus.

      Die Unruhe istd groß, als die Insassen erfahren, dass sie die rumänische Grenze überqueren. Obwohl bei ihnen alte Erinnerungen wach werden, wissen sie nicht was sie erwartet.

      Ihre Häuser können sie nicht wieder bekommen. Über die Deutschen, die jetzt zurückkehren, wird man sich nicht freuen. Keine guten Voraussetzungen, um in die Heimat zurückzukehren.

      »Dass alles so schlimm kommen wird, hätten wir nie gedacht. Was hat man nur mit uns gemacht? « , raunt es durch den Waggon.

      Nach einer langen Fahrt müssen sie mit der großen Kinderschar auf dem Bahnhof in Wama in Rumänien aussteigen. Sie werden absichtlich nicht an den Ausgangspunkt zurückgebracht. Als sich Katharina, ihre Mutter und die vielen Kinder mit dem Gepäck auf dem Bahnsteig befinden, steht nebenan ein Zug mit sowjetischen Soldaten.

      Ein russische Soldatin kommt aus dem Zug auf die Gruppe zu und nimmt die kleine Emilia auf den Arm und verschwindet im Zug. Alle sind schockiert, weil sie befürchten, dass das Mädel entführt wird. Nach einem kurzen Augenblick bringt sie das Mädel zur Gruppe zurück. Die Schürze der Kleinen hat sie bis obenhin mit Lebensmitteln vollgestopft. »Die waren alle lieb zu mir «, berichtet Emilia anschließend in der Gruppe.

      Inzwischen nähert sich ihnen auch der Bahnhofvorsteher, der die Situation erkannt hat und bietet seine Hilfe an. Mit den rumänischen Worten: »Ich kann euch nicht helfen, ich kann euch aber für ein paar Tage einen leeren Raum im Bahnhofsgebäude zur Verfügung stellen. Ihr müsst mir nur versprechen, dass ihr euch bei der Gendarmerie anmeldet « .

      Katharina stimmt in der Not sofort zu: »Dass reicht uns erstmal « . Sie gehen müde und hungrig die knarrende Holztreppe in das Dachgeschoss des Bahnhofsgebäudes hinauf und bauen sich mit ihren Mänteln und Jacken ein provisorisches Nachtlager. Katharina und ihre Mutter kümmern sich um die beiden kleineren Kinder. Mit dem was Emilia in ihrem Schürzchen hat, können sie den ersten Hunger stillen.

      »Hauptsache wir haben ein Dach über dem Kopf « , versucht Katharina die Kinder zu beruhigen. Im Bahnhofsgebäude können sie Toiletten und Waschraum benutzen.

      Am nächsten Tag gehen sie zur Gendarmerie, um sich anzumelden. Als sie ihre Unterlagen vorlegen sagt man Ihnen, dass sie bei der Umsiedlung sämtliche Rechte als rumänische Staatsbürger aufgegeben haben. Jetzt sind sie geduldete deutsche Ausländer. Katharina und ihre Mutter erhalten ein Blatt Papier, auf dem handschriftlich ihre Personalien vermerkt sind. Für die Kinder erhalten sie zwei Listen, eine für die fremden und eine für die eigenen Kinder.

      Trotz großer Schwierigkeiten strömen die größeren Kinder aus und sammeln oder erbetteln was sie bekommen können. Mit dem was sie heranschleppen können sie in den nächsten Tagen die größte Not stillen.

      Katharinas Mutter geht es gesundheitlich schlecht. Als Folge ihrer Niederkunft und den Strapazen im Zug machen sich bei ihr starke Erschöpfungszustände bemerkbar. Jetzt ist Katharina gefragt. Zum Glück überstehen sie im Bahnhofsgebäude die nächsten Tage ohne schwerwiegenden Folgen.

      Die Rückkehr

      In dieser schwierigen Situation kommt ihnen der Gedanke, den alten Heimatort aufzusuchen, obwohl sie das nicht dürfen. Vielleicht macht sich Katharina Hoffnung, dass Viorel ihnen hilft. Hier in Poschoritta kennen sie sich auch aus.

      Nach einigen Tagen kommen sie mit dem Zug in ihrem Heimatort an. Hier hat sich inzwischen Vieles verändert. Die von den deutschen Familien verlassenen Häuser werden inzwischen von rumänischen Familien bewohnt. Nur wenige Deutsche sind zurückgeblieben. Sie bekommen mit, dass man hier nicht auf sie wartet.

      Als Erstes gehen Katharina und ihre Mutter zur Gendamarie, um sich anzumelden. Hier schickt man sie zur Gemeindeverwaltung. Dort legen sie ihre Ersatzpapiere vor: »Diese Bescheinigungen haben wir bei der Einreise in Wama erhalten«. Hier sagt man ihnen wieder, dass sie als „geduldete ausländische Deutsche“ registriert werden. »Jetzt haben wir es schwarz auf weiß, dass wir Deutsche sind«, stellt Katharinas Mutter beim Hinausgehen fest.

      Katharina hat eine Idee: »Dann gehe ich mit dem Kind zu Viorel! « . »Und was machen wir? « , fragt ihre Mutter. »Ich will sehen, wie er reagiert, wenn er mich und den Jungen sieht? « , beruhigt sie ihre Mutter.

      Bei Bekannten, die wegen ihrer Mischehe in der Bukowina geblieben sind, kommen sie unter. Obwohl diese ein größeres Anwesen haben, sagt ihnen der Mann, der mit einer Rumänin verheiratet ist: »Ihr könnt aber nicht lange hier bleiben. Ich werde sehen, ob ich ein verlassenes Haus für euch finde « . Damit macht er ihnen Hoffnung.

      Katharina hat sich inzwischen mit ihrem vierjährigen Jungen auf den Weg zu Viorel gemacht. Voller Wehmut nimmt sie unterwegs die Gegend wahr, die sie an bessere Zeiten erinnert.

      Unterwegs trifft sie Bewohner, die sie anspricht. Dabei stellt sie fest, dass man im Dorf weiß, dass sie mit ihrer Mutter und vielen Kindern eingetroffen sind. Bei der Frage nach Viorel halten sie sich zurück.

      Auf dem Weg zu Viorel erinnert sich Katharina daran, wie sie vor sechs Jahren mit ihrer Laterne durch den tiefen Schnee gegangen ist, um ihre Freundin Rosanah zu besuchen. Vielleicht kann sie auch dieses Mal mit Rosanah sprechen, wenn Viorel nicht zu Hause ist.

      Als sie vor dem Haus ankommen und sich bemerkbar machen, bleibt alles totenstill. Nach einiger Zeit brechen sie den erfolglosen Besuch ab und treten den Heimweg an. Ihrer Mutter erzählt Katharina, dass sie niemanden angetroffen haben.

      Inzwischen hat der Bekannte ein leerstehendes Haus ausfindig gemacht. »Morgen können wir uns das Haus ansehen « , erzählt Karl den Neuankömmlingen.

      Als sie sich mit der Kinderschar auf den Weg dorthin machen, kommen sie an ihrem ehemaligen Haus vorbei. Sie nehmen sich vor auf dem Rückweg vorbeizuschauen.

      Auf einem zugewucherten Grundstück finden sie das besagte Haus. Es ist nicht nur ein verlassenes und leerstehenden Haus, es ist auch eine halbe Ruine. Zum Teil ohne Fenster und Türen. Das Dach scheint in Ordnung zu sein. Drinnen steht noch der Kohleherd.

      »Karl, da sollen wir einziehen? Du meinst, dass Haus kannst du wieder in Ordnung bringen? « , fragt Katharinas Mutter. Karl meint etwas verlegen: »Ich werde es versuchen « .

      Ihnen wird schnell klar, dass sie keine andere Möglichkeit haben, wenn sie noch rechtzeitig vor dem Winter einziehen wollen. Sie müssen sich beeilen.

      Zum Glück hat Karl Zeit und kennt Leute, die bei der Arbeit anpacken werden. Das fehlende Material bekommt er auch zusammen.

      Auf dem Rückweg klopfen sie an die Eingangstür ihres alten Hauses. Mit den Kindern, die vor dem Haus spielen, haben sie bereits Kontakt aufgenommen.

      Eine junge Frau macht ihnen die Tür auf, wahrscheinlich die Mutter der vor dem Haus spielenden Kinder. Als sie auf rumänisch sagen wer sie sind, ist die Überraschung groß. Die Frau weiß jetzt nicht wie sie sich verhalten soll. Sie bittet die fremden Gäste


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