Katharina - Der letzte Winter mit Wölfen und Bären im Buchenland. Anna-Maria Wessely

Katharina - Der letzte Winter mit Wölfen und Bären im Buchenland - Anna-Maria Wessely


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die Arbeiter nach Hause geschickt. Auch die rumänischen Arbeiter. Die Sprengkapseln und die Zündschnüre hat er im Bunker im Steinbruch eingeschlossen.

      Da sich viel Reisegepäck angesammelt hat, ist Katharinas Mutter damit einverstanden, dass Viorel sie mit seinem Pferdegespann zum Bahnhof bringt. Die Zeit des Abschiednehmens rückt näher. Einen Vorgeschmack davon haben sie bereits mitbekommen.

      Die nächsten Tage vergehen wie im Fluge. Die Treffen und Abschiede von Bekannten und Freunden bestimmen ihren Zeitplan.

      Bei der Verabschiedung des zweiten Transports sind sie nicht dabei, weil sie sich das Grauen nicht ansehen möchten. Sie bekommen es nur als Dorfgespräch mit.

      Katharina stellt auf dem Weg zu Viorel fest, dass an den Zäunen in Bahnhofsnähe weitere Zaunlatten fehlen. Sie denkt sich dabei: »Wenn unser Transport abfährt, werden die Zäune keine Latten mehr haben. Die Väter werden sie zum Bettenbauen zwischen den Zugbänken für ihre Kinder abgerissen haben « .

      Auch die Familie von Viorel und Rosanah ist jetzt ganz aufgewühlt, stellt Katharina bei ihrem Besuch fest. Um Katharina abzulenken, spannt Viorel die Pferde vor die Kutsche und fährt mit ihr davon. Wo sie hinfahren weiß niemand. Nach Stunden kommen sie wieder. Diese Kutschfahrten finden in den letzten Tagen häufiger statt.

      Ihrer Familie fällt das nicht auf, weil sie mit ihren Sorgen nicht fertig wird. Die Umsiedler fragen sich immer wieder, wo kommen sie hin und was wird mit ihnen geschehen? Jetzt können sie gar nicht mehr schlafen, auch Katharina nicht.

      Am 1.12. fährt Viorel mit dem Wagen und seinen Pferden vor. Sie haben soviel Gepäck, dass sie es mit dem Handwagen nicht mitbekommen hätten. Auch das Gepäck ihres Onkels laden sie auf.

      Am Bahnhof laden sie im großen Durcheinander die großen Gepäckstücke in den Gepäckwagen des mit Girlanden und Fahnen geschmückten Zuges.

      Katharina und ihre Familie suchen sich Sitzplätze im Personenzug. Ihr Vater macht das was die meisten Väter machen, er bringt einige Zaunlatten mit in den Waggon.

      In den Gepäcknetzen verstauen sie ihr Handgepäck. Damit bis zur Abreise niemand ihre Plätze belegt, passen die Kinder darauf auf.

      Katharinas kleineren Geschwister möchten am liebsten nicht mehr aus dem Zug aussteigen. Vielleicht ist das auch besser so, weil sie dann nicht verloren gehen.

      Während Katharinas Eltern noch einmal nach Hause gehen, um in Ruhe Abschied zu nehmen, fährt Katharina mit Viorel davon.

      Punkt 20:00 Uhr sind alle, bis auf Katharina, am Zug. Sie haben ihre Umsiedlerpässe um den Hals hängen und ihre Papiere bei der Hand.

      Als im Zug die Kontrolle beginnt, ist Katharina immer noch nicht da. Ihre Eltern sind zornig. Erst dreißig Minuten vor der Abfahrt trifft Katharina am Zug ein und muss sich eine Ermahnung von den Kontrolleuren gefallen lassen.

      Während bei der Abfahrt Katharina und ihre Geschwister fröhlich aus den Fenstern winken, sitzen ihre Eltern, wie alle älteren Mitreisenden, trübsinnig und versteinert auf ihren Plätzen.

      Endlich fährt der Zug mit der pfeifenden und schnaubenden Dampflokomotive ab.

      Den Steinkrug mit dem gebratenen Gänsefleisch, das Brot, die Getränke und anderes Essbares haben ihre Eltern, wie alle Mitreisenden, unter den Holzbänken des Zuges verstaut.

      Nach anfänglichem Getuschel sitzen sie nun still und müde da. Katharinas Vater holt jetzt die Zaunlauten hervor und baut für die Kinder das Nachtlager auf. Zwei gegenüberliegende Bänke haben sie für die Kleinen reserviert. Auf den Zaunbrettern zwischen den Zugbänken und Decken legen sich die Kinder hin, obwohl an Einschlafen nicht zu denken ist.

      Niemand hat ein Auge zugetan, als der Zug auf einem Bahnhof in Ungarn hält. In zwei Stunden werden sie so gut es geht mit Essen und Getränken versorgt. Schwestern des Roten Kreuzes kümmern sich um die älteren und kranken Mitreisenden.

      »Seht ihr, in der Bukowina hat sich niemand um uns gekümmert « , kann sich Katharina nicht verkneifen. Stattdessen fragt ihre Mutter: »Wo warst du so lange. Wir haben schon gedacht du willst bei Viorel bleiben? « . »Nein, Viorel und ich wollen aber in Kontakt bleiben und uns schreiben « , ist ihre Antwort. »Na ja, mal sehen? « , sagt ihr Vater dazu.

      Ihre Geschwister sind immer noch ganz aufgedreht. »Heute Nacht werden die Kinder bestimmt einschlafen « , vermutet besorgt ihre Mutter. Inzwischen ist durchgedrungen, dass ihr Transport nach Marienbad in der Tschechei geht.

      Gegen Abend trifft der Zug in Bruck an der Leitha in Österreich ein. Hier werden sie mit Musik empfangen und besonders gut versorgt. Es gibt geschmierte Brote und Getränke. Die Kinder bekommen Milch, während die Krankenschwestern sich wieder um Kranke und ältere Personen bemühen. Ihnen wird gesagt, morgen kommt ihr in Reichstadt an, dann könnt ihr aussteigen. Alle sind neugierig, was sie dort erwartet.

      In Reichstadt werden sie mit den Klängen einer Militärkappelle von fähnchenschwenkenden Menschen empfangen.

      Die Ankunft im Lager

      Umso größer ist dass Entsetzen, als sie sich in kleinen Zimmern mit ringsherum aufgebauten Doppelstockbetten in einem Sammellager wiederfinden. Katharinas Familie hat Glück im Unglück, weil sie allesamt in einem Zimmer unterkommen.

       Katharinas Vater kann sich den Kommentar nicht verkneifen: »In anderen Räumen müssen drei Familien zusammenleben. Da haben wir noch Glück gehabt « .

      In anderen Zimmern befinden sich zwei und mehr Familien. Erst hinterher müssen sie feststellen, dass sie hier fasst zwei Jahre ausharren müssen.

      Katharina ist so entsetzt, dass sie laut schimpft: »Wo sind wir hier gelandet? « . Ihr Vater ist auch wütend und fragt sich: »In diesem Zimmer mit acht Doppelstockbetten sollen wir jetzt leben? « . »Ich hab ja gleich gesagt, dass die uns belügen « , bricht Katharina in Tränen aus. Jetzt gibt auch noch Otto seinen Senf hinzu: »So kann ich nicht leben, alle auf einem Haufen « .

      In den Räumen in dem alten Schloss werden mehr als Tausend Umsiedler untergebracht. Nur einmal in der Woche dürfen sie nach einem Plan zum Duschen ins Waschhaus. Mütter mit Kleinkindern dürfen hier täglich rein.

      »Wenn ich mich morgens wasche, müssen alle aus dem Raum raus « , gibt Katharina zu verstehen. Die anderen Familienmitglieder stehen stumm da und blicken auf den Tisch, auf dem eine Blechschüssel und ein Wasserkrug stehen.

      Ihr mitgebrachtes Gepäck können sie nur unter den Betten verstauen oder in einem Magazin einschließen lassen.

      Alle sind so schockiert, dass sie sich auf den Betten niederlassen. Die Kinder laufen in der Zeit durch die Flure und erkunden das Gebäude. Das löst bei Katharinas Mutter die Befürchtung aus: »Hoffentlich finden die Kinder zurück? «

      Am Ende führt es dazu, dass sie sich nur zum Schlafen, Waschen und Anziehen in die vollgestopften Räume begeben. Gott sei Dank gibt es einen großen Aufenthaltsraum, den sie benutzen können. In diesem Raum werden auch die Mahlzeiten eingenommen.

      In einem Wartesaal treffen die Umsiedler zusammen und lassen ihren Frust ab. Sie sind kopf- und sprachlos. Die eingesetzten Helfer greifen nicht ein.

      Die Mahlzeiten werden eine halbe Stunde vorher schrill von elektrischen Klingeln auf den Fluren eingeläutet. Da nicht alle Menschen auf einmal Platz haben, werden drei Schichten gebildet, die zu unterschiedlichen Zeiten das Essen einnehmen. Um das Chaos in Grenzen zu halten, sind die Sitzplätze nach Familien zugeordnet.

      Ein Mal gibt es eine riesige Aufregung, weil in dem Gedränge ein Kind von den Armen der Mutter in den großen, heißen Suppentopf gestürzt ist. Niemand kann dem Kind helfen. Es stirbt.

      Auch das Essen ist für die Menschen gewöhnungsbedürftig. Morgens besteht es aus ein bis zwei Scheiben Brot mit Margarine, die sie bisher nicht kannten, Marmelade und Milchkaffee. Mittags gibt es meist Suppen und zum Abendbrot wieder ein bis zwei Scheiben Graubrot mit Margarine, Wurst und Tee. Ihre geliebte Milchsuppe, die Mamaliga (Polenta) und die


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