Katharina - Der letzte Winter mit Wölfen und Bären im Buchenland. Anna-Maria Wessely
beiden Sommerfrischler aus Czernowitz, sind gerade aufgewacht.
Als sie ihre Handtücher nehmen und an ihnen vorbei gehen, müssen sie schmunzeln. Die beiden sind über dieses Verhalten irritiert, gehen aber weiter. Beim Frühstück werden sie ihnen von Katharinas Erlebnis berichten.
Sie decken den Frühstückstisch auf der Veranda. Die frischen Blumen aus dem Garten machen sich gut neben dem guten Geschirr und der bestickten Tischdecke.
Bei der Verabschiedung frühstücken sie immer gemeinsam mit den Gästen. Katharina freut sich auf die frischen Semmel und den Mohnkuchen. Butter, Käse und Marmelade hat Katharinas Mutter auf den Tisch gestellt. Die frische Milch und der Malzkaffee verbreiten ein angenehmes Aroma. Die Schale mit frischem Obst und Gemüse steht auf der Anrichte.
Sie haben den Tisch gerade fertig gedeckt, als die Beiden vom Fluss zurückkehren. Sie sagen nur: »Wir ziehen uns schnell an«, als sie in ihr Schlafzimmer gehen.
Eigentlich haben sie gleich in ihren Nachthemden gefrühstückt. Katharina hat nach ihrem frischen Bad großen Hunger und ihre Mutter auch.
Katharina und ihre Mutter können es nicht erwarten, dass die beiden aus ihrer Kammer kommen. Heute dauert aber alles sehr lange.
In den letzten Tagen war ihnen aufgefallen, dass sich ihre Gäste mehr und mehr zurückzogen. »Vielleicht bringt das heutige Gespräch eine Erklärung « , denken sie.
Nacheinander kommen die beiden Sommerfrischler an den Frühstückstisch. Katharina und ihre Mutter setzten sich dazu. Heute ist alles anders, stellen sie fest. In diesem Jahr waren die beiden sehr ruhig und zurückhaltend. In den Jahren zuvor waren sie ein fröhliches und glückliches Paar.
Obwohl Katharina großen Hunger hat, wartet sie darauf, dass die Gäste zu frühstücken beginnen. Gerade hat Katharina von dem frischen Semmel abgebissen und will ihre Geschichte von heute morgen erzählen, als ihre Mutter das Wort übernimmt und ihr die Vorstellung stiehlt. Sie kann sich nicht wehren.
Sie haben jetzt ein Gelächter erwartet. Die beiden nicken nur und frühstücken weiter. Plötzlich war die Stimmung am Frühstückstisch angespannt.
Dora und Willi hatten ihren Urlaub wegen der angespannten Lage in der Stadt schon abgesagt, haben sich dann aber anders entschieden und sind doch angereist. Vielleicht ist zu Hause etwas nicht in Ordnung, war die Vermutung von Katharina und ihrer Mutter.
Katharinas Mutter ringt sich zu der Frage durch: »Was hat es mit der Besetzung bei euch auf sich? « . Nach dieser Frage stellen sie fest, dass Dora Tränen an der Wange herunter laufen. Willi nimmt sie in den Arm und tröstet sie. Eine völlig unerwartete Situation!
Stockend fängt Willi an zu berichten: »Es ist alles viel schlimmer, als wir befürchtet haben. Wir haben größere Schwierigkeiten mit der Besetzung, als ihr das hier im Süden vermutet. Ist euch nicht klar, dass die Nordbukowina ab Juni zur Sowjetrepublik Ukraine gehört? Es ist plötzlich eine völlig neue Situation entstanden. Das sowjetische Militär geht nicht zimperlich mit den Menschen in Czernowitz um « , sprudelt es aus den beiden heraus.
»Ihr könnt euch nicht vorstellen, was in Czernowitz inzwischen geschehen ist « , fängt Willi an zu berichten. »Am Anfang haben wir gehofft, das sich alles wieder beruhigt. Es ist aber nicht so « .
»Nachdem das Militär einmarschierte, herrschte ein wildes Chaos in der Stadt. Weil die Gefängnisse geöffnet wurden, fingen die Strafgefangenen an die Geschäfte auszuplündern. Menschen aus der Bevölkerung schlossen sich den Plünderungen an. Es war eine Katastrophe, denn Angst und Schrecken breiteten sich aus. Viele verließen die Stadt « .
Jetzt schaltet sich auch Dora ein: »Wir mussten zusehen, wie unser Geschäft geplündert wurde. Zerschlagene Schaufensterscheiben und aufgebrochene Türen in den Geschäften waren überall zu sehen. Auch in den Nebenstraßen sah es nicht besser aus. Wir fragten uns, wo die vielen bösen Menschen herkommen? « .
»Das Militär schritt nicht ein « , ergänzt Willi. »Und dann ging es weiter. Im Erdgeschoss unseres Hauses zog ein sowjetischer Major mit mehreren Soldaten ein. Wir sind dann freiwillig in das Obergeschoss gezogen, in der Hoffnung, dass sie wieder ausziehen werden. Aber nein, sie haben sämtliche Schlüssel vom Haus eingesammelt und üben nun das Hausrecht aus « , fährt er fort.
»Auch sonst hat sich die Welt bei uns verändert. Hinter verdeckter Hand verläuft eine Welle der Enteignungen. Zunächst werden Fabriken und ds Großvermögen enteignet. Heute wissen wir, dass es nur noch Staats- oder Volkseigentum gibt. Die in Magazinen gehortete Waren werden von den Machthabern verkauft. Hausdurchsuchungen des Militärs stehen auf der Tagesordnung. Wir sind entmündigt und wissen nicht, wie es weitergehen soll? « , sind die Worte von Willi.
Katharina und ihre Mutter sind sprachlos und verängstigt zugleich. Czernowitz war bis zum Ende des Ersten Weltkriegs die Hauptstadt der Bukowina.
Dora macht deutlich: »Dieses Chaos war der Grund, warum wir unseren Urlaub bei euch abgesagt hatten. Nun
überlegen wir, ob wir überhaupt zurückreisen sollen? « .
Katharinas Mutter ringt nach Luft: »Das ist ja alles viel schlimmer, als wir uns das vorgestellt haben! « .
Dora bricht in Tränen aus: »Wir wissen nicht was wir machen sollen. Die Menschen in der Stadt sind verunsichert. Die Russen haben unser Textilgeschäft geschlossen. Die Soldaten sortieren Kleidung für ihre Frauen aus. Die russischen Frauen gehen tagsüber in unseren Seidennachthemden in der Herrengasse spazieren. Wir haben nichts mehr zu sagen. Im Augenblick kümmert sich Onkel Max um alles. Gestern haben wir ein Telegramm vom Postamt geholt. Aus dem verschlüsselten Inhalt lesen wir, dass wir nicht zurück kommen sollen « .
Willi erzählt Katharina und ihrer Mutter, dass seine Vorfahren aus Wien stammen. Die meisten österreichischen Beamten hatten die Bukowina bereits nach dem Ersten Weltkrieg verlassen. »Jetzt aber zieht es uns den Boden unter den Füßen weg. Ihr wisst, dass Dora Halbjüdin ist. Nachdem wir gehört haben, was die Deutschen mit den Juden machen, sind wir total verunsichert « .
»Obwohl überall Stalinbilder hängen, lassen die Sowjets die Juden bislang zufrieden. Im Gegenteil, die Juden sehen sie als Befreier. Nachdem sie die Synagoge geschlossen haben, glauben wir aber nicht mehr daran « , berichtet Dora mit Tränen in den Augen.
»Das rumänische Militär hat die Nordbukowina bei der Besetzung Hals über Kopf verlassen. Auch viele Einwohner sind geflüchtet. Die Menschen vermuten, dass Hitler und Stalin dahinter stecken? « , fügt Willi hinzu.
Katharinas Mutter ist nun völlig durcheinander und befürchtet: »Dieser Kelch wird auch an uns nicht vorübergehen. Wir haben gehört, dass Hitler die Deutschen am liebsten umsiedeln will « .
In dieser schwierigen Situation bietet ihnen Katharinas Mutter an hier zu bleiben, bis sich die Situation entspannt hat. Dabei stellen sie fest, dass sich die Gesichter der Beiden etwas entspannen. Erleichtert nehmen sie das Angebot an. Allen ist inzwischen der Appetit vergangen.
Nachdem sich die beiden wieder in ihr Zimmer begeben, räumen Katharina und ihre Mutter den Tisch ab. Da die Gäste ihr Angebot angenommen haben, machen sie sich Gedanken was zu tun ist.
Ihr Tagesablauf ist durcheinander geraten, obwohl es ein schöner Morgen werden sollte. Während Katharina zu Ende abräumt, geht ihre Mutter zu Tante Rosa. Rosa und ihr Mann sind Nachbarn. Onkel Johann, der Bruder von Katharinas Vaters, arbeitet ebenfalls im Steinbruch.
Obwohl das Verhältnis unter Nachbarn manchmal angespannt ist, halten sie in der Not zusammen. Da der Besuch ihrer Mutter länger dauert, stellt Katharina inzwischen das Mittagessen auf den Herd.
Es dauert lange, bis Katharinas Mutter mit der Botschaft zurückkommt, dass Willi und Dora drüben unterkommen können. Sie haben mehr Platz im Haus, weil ihre Kinder schon ausgezogen sind. Die Unterbringung ist gesichert, die Gäste können bleiben.
Denn Katharinas Mutter erwartet bereits neue Gäste aus Bukarest. In den nächsten Tagen versuchen Willi und Dora mehr von zu Hause zu erfahren. Es ist alles sehr mühsam. Und was sie