Katharina - Der letzte Winter mit Wölfen und Bären im Buchenland. Anna-Maria Wessely
über einen Kamm scheren « , ergänzt ihr Vater.
Am nächsten Tag gehen die Gespräche und Besuche im Dorf weiter. Sie verabschieden sich von ihren rumänischen Freunden und Bekannten und sind der Hoffnung, dass die Familien irgendwie zusammenbleiben werden.
Von Hitler und Nazideutschland weiß man immer noch nicht viel, obwohl jetzt in den Räumen der Kommissionen Hakenkreuzfahnen und Hitlerbilder hängen.
Das einzige was die Menschen hier wissen ist, dass Deutschland vor drei Monaten 1000 Deutsche aus der Bukowina zum Studieren ins Reich geholt hat. Unter vorgehaltener Hand sagt man, dass die meisten bei der SS gelandet sind.
Spätestens hier trennen sich unter den Umsiedlern die Geister. Die meisten Älteren sind misstrauisch und traurig. Andere sind schon zu den Nazis übergegangen.
Die jungen Menschen, wie Katharina, sehen eine Chance in dieser Aktion. Irgendwie schließt sich der Kreis der deutschen Bewohner. Sie gehen wieder dort hin, wo sie mal hergekommen sind, nach Deutschland.
Katharina ist in den letzten Tagen abgetaucht und hält sich viel bei Viorel und Rosanah auf. Ihrer Mutter gefällt das nicht.
Zwei Wochen vor der Umsiedlung erfahren sie die Termine. Mit drei Zügen sollen sie gemeinsam mit den Deutschen aus Luisenthal abreisen. Am 1.11., am 15.11. und am 1.12.1940.
»Mama, wir müssen jetzt packen!«, kommt es aufgeregt von Katharina. »Ich weiß nicht was wir zuerst und zuletzt einpacken sollen?«, antwortet ihre Mutter. »Wir nehmen die große Truhe vom Speicher mit, hier passt Viel rein«, fällt Katharina ein. Als Katharinas Vater nach Hause kommt versucht er die beiden Frauen zu beruhigen: »Wir machen eine Aufstellung, um zu sehen was zusammenkommt«. An diesem Abend kommt nicht mehr viel zustande.
Am nächsten Tag setzten sich die beiden Frauen hin und erstellen eine Liste. »Wie wollen wir das alles mitbekommen«, stellen sie schnell fest. Als Katharinas Vater die Liste sieht, sagt er: »Das geht nicht. Wir gehen zur Umsiedlerkommission und hören was sie sagt?«.
In den nächsten Tagen gehen sie zur Umsiedler-kommission. Im Deutschen Haus geht man nicht auf ihre Fragen ein. Hier erwartet man nur vollständige Unterlagen für die Umsiedlung. Nun sind sie ganz durcheinander.
Zuhause angekommen kramt die Familie in den Schubfächern nach Geburts- und Heiratsurkunden. »Wir müssen unbedingt noch zum Pfarrer und ins Gemeindebüro. Uns fehlen Unterlagen«, stellt Katharinas Mutter entsetzt fest. In den nächsten Tagen sind sie auf den Ämtern. Hier müssen sie Schlange stehen.
Vom Pfarrer bekommen sie fehlende Heirats- und Geburtsurkunden. Über alles was der Pfarrer über die ausreisenden Familienmitglieder in seinen Büchern hat, stellt er Dokumente aus.
In der Zwischenzeit fangen sie zu Packen an. Wenn sie mit anderen Leuten sprechen kommen sie zu keinem Ergebnis. »Wir müssen uns auf die wichtigen Dinge konzentrieren«, stellt sich Katharinas Vater vor. Aber was ist wichtig? »Kleidung, Wäsche, Bettzeug sind auf jeden Fall wichtig«, stellt Katharinas Mutter fest und ergänzt gleich: »Ich möchte auch Erinnerungstücke wie Bilder und Hochzeitsgeschenke mitnehmen«. Bald stellen sie traurig fest, das viele Schätze zurückbleiben.
Katharinas Eltern haben für sich und die Kinder einen Koffer, eine große Holzkiste, eine Truhe und mehrere Rucksäcke vollgestopft. „Dann leihe ich mir für meine Sachen einen Koffer von Viorel“, stellt Katharina fest. Dabei bedenkt sie nicht, dass sie ihm den Koffer nicht zurückgeben kann.
Eines Tages erscheinen zwei Beamte zur Aufnahme des Vermögens. Entsetzt ist die Familie, als sie einen Zettel in die Hand gedrückt bekommt, auf dem steht neben der Anschrift der Eigentümer: „Ein Haus mit Stall, eine Sommerküche, eine Werkstatt. Alles mit Inventar. Ein Grundstück mit Zweitausend Quadratmeter Fläche“. Auf die Frage von Katharinas Vater: »Es fehlen noch die Tiere und andere Sachen», sagt man ihm: »Das ist nicht unsere Aufgabe». Ironisch weist Katharina daraufhin: »Die Kühe stehen noch auf der Weide«.
Sie gehen abwechselnd zur Umsiedlerkommission ins Deutsche Haus. Schon vor dem Haus warten Menschen. Sie spüren, dass die Berater hinter den Tischen überfordert sind. An die Hitlerbilder und Plakate in den Räumen können sie sich nicht gewöhnen.
Als die Familie auf dem Weg zur Umsiedlerkommission am Haus von Oskar Vogel vorbei kommt, geht das Fenster auf und Maria Vogel ruft sie hinein: „Kommt rein, ich habe etwas Schönes für euch“. Sie gehen rein. Im Haus riecht es nach frischen Krautbuchteln. So ist es hier, du gehst irgendwo vorbei und wirst zum Essen in ein Haus gerufen. Jetzt wo sie auch hier über die Umsiedlung sprechen denkt Katharina wehmütig an ihre Kindheit: »Es ist schön hier. Ich werde viel vermissen. Ich werde mich an Vieles erinnern«.
In Etappen erhalten die Ausreisenden jetzt ihre offiziellen Papiere. Jeder erhält einen Umsiedlerausweis, den er sich an einem Band um den Hals hängen soll.
Da es nach dem Alphabet geht werden Katharina und ihre Familie mit dem letzten Zug fahren. Die Deutschen sind soweit von der Wirklichkeit entfernt, dass sie alles nur für einen Traum halten. Trotzdem müssen sie noch viel erledigen.
Da Katharina und ihre Familie erst mit dem letzten Transport ausreisen, sind sie mit vielen Anderen bei der Verabschiedung des ersten Transports dabei. Was sie hier sehen verschlägt ihnen den Atem.
Schon Stunden vor der Abreise steht ein mit Fahnen und Girlanden geschmückter Personenzug auf dem Bahnhof. Die Menschen sind kopf- und sprachlos. Mit Pferdefuhrwerken und Handwagen schleppen die Umsiedler ihr Gepäck heran. Bis auf das Handgepäck, dass sie unter den Sitzen oder in Gepäcknetzen verstauen, werden Kisten und Bündel in den Gepäckwaggons untergebracht.
Einige nehmen sogar Möbelstücke mit. Jede Person soll einen Sitzplatz erhalten und Familien sollen zusammenbleiben, heißt es.
Es gibt Menschen, die schon sehr früh erscheinen, es gibt aber auch Menschen, denen man den schweren Abschied anmerkt. Es gibt unzählige Abschiedsszenen und es fließen Tränen.
Die Rumänen stehen an den Seitenrändern und sehen sich das Schauspiel an. Manche haben ebenfalls Tränen in den Augen und manche sind vielleicht froh, dass sie die Deutschen los sind. Das gleiche findet auch auf deutscher Seite statt.
Katharinas Familie erlebt mit, wie eine Nachbarfamilie auf ihren Vater wartet, der sich nicht von seinem Haus trennen kann. Vor dem Haus liegen die neuen Schindeln für das Dach. Anderswo schreien Kinder, weil sie ihre Eltern verloren haben.
Bei einigen Hundert Abreisenden dauert es lange, bis es ruhiger wird. Es geschehen eigenartige Dinge. Väter brechen Zaunlatten von angrenzenden Zäunen, um für ihre Kinder Liegeflächen zwischen den Holzbänken im Waggon zu schaffen.
Um 20:00 Uhr beginnt die Kontrolle der Kommissionsbevollmächtigten. Die Personen und die Papiere werden genauestens überprüft.
Als um 22:00 Uhr der Zug abfahren soll, ist der fehlende Vater der Nachbarin immer noch nicht im Zug. Die Familie schickt ihre älteste Tochter zum Nachsehen.
Nach einer halben Stunde kommt sie aufgelöst und weinend zum Zug und erzählt aufgeregt ihrer Mutter: »Tata wollte mitkommen. Als er die Hoftür zugemacht hat und sich zum Haus umdreht, fällt er plötzlich um « .
Die herbeigeeilten Nachbarn stellen fest, dass er ohnmächtig geworden ist. Die Familie muss nun ohne ihren Vater abreisen. Er wird nach Kimpolung in das Krankenhaus gebracht. Später erfahren sie, dass er einen Herzinfarkt erlitten hat. Die Familie wird ihn nicht wieder sehen.
Nach diesem Drama verlassen die meisten Menschen den Bahnhof. Insassen des Zuges, die das schreckliche Geschehen nicht mitbekommen haben, winken aus den Fenstern und wundern sich über die zaghafte Erwiderung.
Da es inzwischen dunkel geworden ist, entschließen sich Katharina und Familie den Nachhauseweg anzutreten.
Statt Erleichterung erleben sie wieder eine unruhige Nacht. Zu Hause sitzen sie auf gepackten Koffern und wissen nicht, wo die Reise hingeht.
Die nächsten Tage sind für alle Beteiligten ein Martyrium. Sie erleben diese Tage wie in Trance.
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