Katharina - Der letzte Winter mit Wölfen und Bären im Buchenland. Anna-Maria Wessely
fragen, ob sie auch Milch mitgebracht hat. Die ist bei der staubigen Arbeit wichtig. »Natürlich habe ich daran gedacht « , erwidert sie. Frisches Wasser holen sich die Männer aus der Quelle am Berg.
Während die Männer zu essen beginnen, setzt sich Katharina zu ihnen und fängt ein Gespräch an. Sie spürt, dass die Männer in Eile sind, weil Pferdefuhrwerke auf die Beladung warten.
Katharina kommt es sehr entgegen, denn sie möchte sich auf den Rückweg machen. Als sie dass Geschirr verstaut sieht sie wie Arbeiter mit langen Eisenstangen und riesigen Hämmern Löcher in den Felsspalten schlagen.
»Was machen die Männer mit den Eisenstangen? «, fragt sie ihren Vater: »Sie schlagen Löcher für die Dynamitkapseln in den Felsen. Wenn sie fertig sind werde ich mit dem Seil hochsteigen und sie in die Löcher stecken und mit Zündschnüren verbinden. In zwei Stunden, wenn die Fuhrwerke weg sind, werden wir sprengen « .
Jetzt sieht sie auch das große Signalhorn an der Schuppenwand hängen, mit dem ihr Vater die Sprengungen ankündigt. Das Signal hören sie manches Mal auch zu Hause. Einmal kam ihr Vater mit Schürfwunden und blauen Flecken am Körper nach Hause, weil sich bei feuchtem Wetter die Sprengung verzögert hatte und er nachschauen musste.
Jetzt fällt ihr die Verabredung mit Viorel wieder ein und sie verabschiedet sich schnell. Auf dem Rückweg macht sie einen kleinen Umweg.
Viorel wohnt mit seiner Familie im Tal Vale Putna, gleich hinter der Bahnstrecke. Ein breites Tal mit Bauernhöfen.
Katharina benötigt noch einen halben Kilometer bis zum nächsten Bahnübergang. Hier gibt es keine Schranken. An diesem Übergang ist im letzten Jahr ein Pferdefuhrwerk mit Schotter vom Steinbruch verunglückt.
Obwohl der Kutscher den Zug gesehen hatte, sind seine Pferde in Panik geraten und auf den Gleisen stehen geblieben. Statt abzusteigen, versuchte er die Pferde weiter anzutreiben. Der Zug ist in das Gespann gerast und hat es hunderte Meter mitgeschleift.
Es muss ein schreckliches Unglück gewesen sein. Noch heute spricht man im Dorf darüber. Während sie sich diese Situation vorstellt, überquert sie die Schienen.
Nach einem Kilometer steht Katharina vor dem Elternhaus von Viorel. Vor dem Haus pfeift sie eine vereinbarte Melodie. Es dauert nicht lange bis Viorel in Holzschuhen aus dem Stall kommt. Er hat gerade den Kuhstall ausgemistet, da seine Eltern bei der Heuernte sind.
Die Beiden setzen sich auf die Bank vor dem Haus, die bereits im Schatten steht und sprechen über belanglose Dinge. Irgendwann erzählt sie Viorel, dass sie ihrem Vater das Essen vorbeigebracht hat und schon länger unterwegs ist.
Katharina erwähnt, dass sie zu Hause erwartet wird weil Sommergäste eintreffen.
Gäste aus Czernowitz
Ein schöner Sommertag und die Vorfreude auf das Treffen mit Viorel lösen bei Katharina Übermut aus. Sie hat frei und sich viel vorgenommen.
Als die ersten Sonnestrahlen ihr Bett erreichen und sie von ihrer Mutter geweckt wird, kommt ihr bereits ein angenehmer Duft aus der Küche entgegen. Frisches Brot und Semmel wurden für die Sommergäste gebacken.
Ihre Mutter ist früh aufgestanden. Das schlechte Gewissen treibt Katharina aus den Federn. Als sie aus dem Bett hüpft, sagt ihre Mutter zu ihr: »Sei leise, damit du nicht die Gäste aufweckst? « . Sie lächelt: »Gut, dass du mich daran erinnerst, dann kann ich mir heute Zeit lassen um mir noch einen Wunsch zu erfüllen « . »Wunsch erfüllen? « , fragt ihre Mutter.
»Wirst du gleich sehen! « , sagt Katharina zu ihr, als sie aufsteht. Sie beeilt sich, weil sie zum Bach hinunter will, um wie die Sommergäste ein morgendliches Bad zu nehmen.
Die beiden Urlauber, die in diesem Jahr zum zehnten Mal ihren Sommer hier verbringen, liegen noch in ihren Betten. Sie werden bald aufstehen und das warme Wasser im Krug stehen lassen.
Stattdessen werfen sie viel lieber ihre Handtücher über die Schulter und marschieren Hand in Hand in ihren schönen Nachthemden barfuss durch das Gras runter zum Bach.
Es ist ein klarer und kalter Gebirgsbach, der direkt hinter dem Garten vorbei fließt. Dort angekommen, ziehen sie ihre Nachthemden aus und gehen vorsichtig über die großen Steine in das eiskalte Wasser, um sich zu erfrischen.
Vergnügt und frisch kommen sie zurück und setzten sich an den gedeckten Tisch.
Katharina hat das häufig beobachtet und sich gefragt, wie das wohl ist. Heute, da die Gäste abreisen wollen, wird sie es ausprobieren. Sie behält gleich das Nachthemd an und wirft sich, wie die Gäste, ein Handtuch über die Schulter. Leise geht sie an der Küche vorbei in den Garten.
Ihre Mutter hat das bemerkt und ruft ihr nach: »Wohin willst du? « . Katharina hält ihrer Mutter das Handtuch entgegen. Jetzt lacht auch ihre Mutter, weil sie ihr Vorhaben erkannt hat. »Verkühl dich nicht! « , ruft sie ihr hinterher.
Es ist ein schönes Gefühl barfuss durch das taufrische Gras zu gehen. Vorbei an den Blumen, die noch ihre Augen verschlossen halten, vorbei an den Sträuchern, deren taubeladenen Blätter tief herunter hängen. Sie wollen nicht hinschauen, bildet sie sich ein.
Bevor Katharina die Gartenpforte erreicht, kommen ihr die beiden Kühe entgegen, die im Sommer die Nacht auf der Wiese im Garten verbringen. Sie möchten sicher wissen, was sie heute früh hier her treibt, vermutet sie. Sie behalten Katharina im Blick, bis sie hinter der Böschung verschwindet. Sie ist froh, dass sie sie nicht mehr sehen können.
Vorsichtig geht sie über die großen Steine ins knietiefe eiskalte Wasser. Es ist viel kälter, als sie sich das vorgestellt hat. Als sie so da steht und nicht weiß, ob sie vor Kälte zittern, sich waschen oder besser doch umkehren soll, bekommt sie Mut. Umkehren möchte sie auf keinen Fall.
So zieht sie ihr Nachthemd aus und wirft es in das Gras. »Oh Gott ist das kalt « , denkt sie und schaut nach rechts und links, um sich davon zu überzeugen, dass niemand an diesem Schauspiel teilnimmt.
Der Morgen ist frisch und unberührt, es ist kein Mensch weit und breit zu sehen. Sie beißt die Zähne zusammen, nimmt frisches Quellwasser in beide Hände und wäscht sich den Schlaf aus den Augen. Sie ist so aufgeregt, dass ihr nicht mehr kalt ist.
Aus reinem Übermut will sie über die Steine noch tiefer ins Wasser. Hierbei rutscht sie aus und gleitet sanft in den kalten Bach.
Als Kind hat sie zugesehen, wenn ihr Vater mit bloßen Händen die Forellen unter den Steinen fing.
Nun war es ihr egal und sie genoss es, sich von dem glasklaren kalten Wasser umspülen zu lassen. Jetzt ist sie Stolz darauf, dass sie es geschafft hat.
Endlich hat sich Katharina einen lang gehegten Wunsch erfüllt. In aller Ruhe geht sie an den Rand der Böschung, nimmt das Handtuch um sich abzutrocknen. Als sie sich das Nachthemd wieder anzieht, wird es ihr warm. In dem Fluss spült Katharinas Mutter die Wäsche und legt sie zum Bleichen auf die Rasenfläche.
Nun tritt sie den Rückweg an. Die beiden Kühe, Lisa und Anna, nehmen sie in ihr Blickfeld. Sie haben die ganze Zeit darauf gewartet, dass sie zurück kommt. Ihren Blicken folgend geht sie zum Haus.
Die Sträucher und Blumen haben inzwischen ihre schwere Last abgelegt und strahlen in voller Pracht in der Morgensonne. Sie denkt, eine schöne Begrüßung. In ihrem Überschwang pflückt sie im Vorbeigehen einen kleinen Blumenstrauß von den am Rande stehenden Steinnelken, um ihn ihrer Mutter zu geben.
Jetzt muss sie sich beeilen, weil ihre Mutter schon auf sie wartet. Denn bald stehen die beiden Gäste auf. Als ihre Mutter in der Tür steht, überreicht sie ihr die Blumen. »Für dich « , sagt sie. »Oh wie schön « , sagt ihre Mutter und stellt die Blumen in einer Vase auf den Gästetisch.
Als sie Katharinas langen, nassen Haare sieht, weiß sie gleich Bescheid. »Bist du reingefallen? « , fragt sie. Als sie ihr das bestätigt, müssen beide laut lachen. »Leise! « , sagt ihre Mutter, »die Beiden schlafen noch « .
Katharina